"Die politische Botschaft heißt: Scharf!"

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Terezija Stoisits hat der Innenministerin nach 75 Tagen mit dem neuen Fremdengesetz auf parlamentarischem Weg 75 Fragen gestellt - auf die Antworten wartet die Grüne Abgeordnete und Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses noch; die Furche begnügt sich mit weniger Fragen und Stoisits Antwort lässt sich auf ein Wort zusammenfassen: "grauenhaft".

Die Furche: Frau Abgeordnete, seit drei Monaten gilt das neue Fremdengesetz - sehen Sie Ihre Befürchtungen vor dem Gesetz bestätigt?

Terezija Stoisits: Dieses gesamte Fremdenrechtspaket ist ärger als ich es mir vorgestellt habe - und glauben Sie mir: Meine Erwartungen waren sehr schlimm. Dieses Gesetz war ein schlafendes Monstrum, solange es noch nicht gegolten hat, aber seit dem 1. Jänner regt sich dieses Monstrum - und es ist grauenhaft.

Die Furche: Was schreckt Sie am meisten?

Stoisits: Dass die Rechtsanwender völlig paralysiert sind ...

Die Furche: Warum paralysiert, das Gesetz wird doch angewendet, einige sagen sogar: exzessiv angewendet?

Stoisits: Deswegen paralysiert, weil das ganze Regelwerk ein nicht auf seine Anwendung durchdachtes Monstrum ist, ein Beispiel: Asylwerber werden abgeschoben, obwohl der Verwaltungsgerichtshof aufschiebende Wirkung ausgesprochen hat; dann gibt es also ein Papier, wo drauf steht, der darf da sein, andererseits ist er oder sie aber schon des Landes verwiesen - und die Behörden wissen nicht, was zu tun ist.

Die Furche: Hauptsache weg - "tolles Gesetz" werden sich da gar nicht so wenige denken ...

Stoisits: ... und ausschließlich mit dieser politischen Absicht wurde dieses Fremdenrechtspaket auch verhandelt und beschlossen: Man wollte der österreichischen Bevölkerung Stärke gegenüber Ausländern beweisen. Die Rechtsanwender haben jetzt nur die Möglichkeit, die politische Botschaft umzusetzen - und die heißt: Scharf! - auf allen Ebenen.

Die Furche: Das Innenministerium verbucht den starken Rückgang an Asylanträgen in diesem Jahr auf das Konto des neuen Fremdengesetzes.

Stoisits: Die Asylwerberzahlen gehen in ganz Europa zurück. Zu sagen, dieses Fremdenrecht sei erfolgreich, weil die Asylzahlen zurückgehen, ist vermessen und entspricht in keinster Weise den Tatsachen. Laut UNHCR sind seit 2001 in den 50 Industriestaaten der Welt die Asylanträge um 49 Prozent zurückgegangen, und die EU hat gerade die niedrigsten Asylwerberzahlen seit 1988. Das von der österreichischen Politik gezeichnete Bild von "Asylwerberflut" und "Flüchtlingsstrom" stimmt überhaupt nicht mit der Realität überein - das ist Angstmache. Dieses Gesetz hat keine Legitimation, wenn man es auf eine nüchterne Zahlenbasis stellt.

Die Furche: Was die Schubhaft betrifft, sind die nüchternen Zahlen jedoch schon schlimm genug.

Stoisits: Die Schubhaft hat einen klaren gesetzlichen Zweck: Sie dient zur Vorbereitung einer Abschiebung und ist immer das äußerste Mittel; alle anderen, alle gelinderen Mittel sind vorher anzuwenden. Wenn jetzt, nur weil es den Stichtag 1. Jänner gegeben hat, die Schubhaftzahlen plötzlich um 35 Prozent ansteigen, dann kann da mit der Anwendung dieses Maßes etwas nicht mehr stimmen. Es sitzen Menschen in Schubhaft, bei denen wurde keine Sekunde lang an gelindere Mittel gedacht. Die kommen nach Österreich und in Schubhaft.

Die Furche: Weil sie sonst abhauen, das hat man doch gesehen, würde ich Ihnen antworten, wenn ich der Sprecher des Innenministeriums wäre.

Stoisits: Seien Sie mir nicht bös: Sie nehmen jemand in Haft, weil er sonst vielleicht eine Verwaltungsübertretung begeht. Die Mittel der Gewaltanwendung stehen hier doch in überhaupt keinem Verhältnis mehr zum Eingriff in fundamentale Menschenrechte.

Die Furche: Und wenn ich schon in der Rolle des Ministeriums-Sprechers bin, entgegne ich: Die beschleunigten Asylverfahren für kriminelle Asylwerber sind auch ein Grund für die steigenden Schubhaftzahlen.

Stoisits: Es hat immer schon kriminelle Asylwerber gegeben, ich bin die letzte, die das abstreitet, aber die Kriminellen waren und sind die Ausnahme; bei diesen hohen Zahlen geht es um die Regel - und das sind Unbescholtene, die aufgrund des neuen Gesetzes in Schubhaft sitzen: Da gibt es Minderjährige, da gibt es Traumatisierte, da gibt es Familien, die auseinander gerissen werden, da gibt es Tragödien sonder Zahl - all das gibt es jetzt in Schubhaft, was es angeblich nicht geben darf.

Die Furche: Offiziell gibt es Hungerstreiks und Zwangsernährung und weitere Grauslichkeiten auch nicht.

Stoisits: Warum werden dann dauernd Menschen aus der Schubhaft in Spitäler der Haftanstalten überstellt, wenn es das Problem angeblich überhaupt nicht gibt?

Die Furche: Weiß ich nicht, fragen Sie die Frau Innenministerin?

Stoisits: Hab' ich schon gemacht - ich warte nur noch immer auf ihre Antwort.

Die Furche: Am meisten betroffen machen muss Sie aber doch, dass es eine breite politische Mehrheit für dieses Gesetz in Österreich gibt.

Stoisits: Es hat eine breite Mehrheit für dieses Gesetz gegeben, aber ich schwöre Ihnen: Das war der größte Fehler, den die SPÖ machen konnte. Dieses Anbiedern an den Populismus funktioniert nicht, denn die Wähler gehen zum Schmied und nicht zum Schmiedl.

Die Furche: In Ihrer Anfrage an die Frau Innenministerin thematisieren Sie auch den "Verein Menschenrechte Österreich" - was haben ausgerechnet die Grünen gegen eine NGO?

Stoisits: Was ist das für eine Nicht-Regierungsorganisation, wenn sie ausschließlich im Sold von Innen-und Justizministerium steht; ich kenne keine Aktivitäten, die der Verein Menschenrechte Österreich darüber hinaus als NGO entwickelt hat - das ist eine Firma und keine NGO. Und die ganze Geschichte, wie dieser Verein die Schubhaftbetreuung in Innsbruck bekommen hat, stinkt zum Himmel. Erfolgreiche Arbeit mit Flüchtlingen ist davon abhängig, dass ich die Empathie der Bevölkerung dafür kriege - und das können nur in der Bevölkerung breit verankerte wirkliche NGOs. Wenn ich Flüchtlingsbetreuung ausschließlich als Geschäft sehe, kann das nicht funktionieren. Dann sind Flüchtlinge wirklich nur mehr ein "Kostenfaktor auf zwei Beinen" - und das ist fatal.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

Gefährliches Pflaster Schubhaft: Häftlinge sehen oft nur mehr in Selbstmord oder Selbstschädigung einen letzten Ausweg. von thomas hartl

Der Fall des im Herbst letzten Jahres verstorbenen 18-jährigen Schubhäftlings Y. C. wirft die Frage auf, ob Schubhäftlinge während der Zeit ihrer Anhaltung, medizinisch betrachtet, besonders gefährdet sind, und ob diese Gefährdung reduziert werden kann. Y. C. befand sich im Hungerstreik und verstarb. Der Afrikaner war im Frühjahr 2005 in Wien wegen eines Drogendelikts verurteilt und Mitte September bedingt aus der Haft entlassen worden. Da seine Identität vorerst nicht bekannt war, wurde er in Schubhaft genommen und aus Platzgründen nach Linz überstellt. Dort trat er in der Haft "ohne Angabe von Gründen" in den Hungerstreik.

Aggressiv wegen Krankheit?

Y. C. wurde schließlich ins Linzer AKH gebracht, wo er angeblich eine Krankenschwester mit den Füßen getreten hat. Der Mann landete daraufhin wieder im Anhaltezentrum der Bundespolizeidirektion. Dort wurde er wegen aggressiven Verhaltens in einer Sicherungszelle untergebracht. Am 4. Oktober wurde er bei einem Kontrollgang tot aufgefunden.

Was sich derart abstrakt, trocken und unpersönlich anhört, verbirgt eine menschliche Tragödie mit systemimmanenten Hintergründen: Wie sich nach dem Tod herausstellte, hat der Verstorbene an einer erbbedingten Anomalie im Blutfarbstoff gelitten, die im Zusammenwirken mit Flüssigkeits-und Kalorienmangel eine Verklumpung des Bluts und ein Herz-Kreislauf-Versagen verursachte. "Es war damals medizinisch nicht erkennbar, dass sich der Mann in Lebensgefahr befunden hat", sagt Staatsanwalt Dietmar Gutmayer. Die Staatanwaltschaft Linz sieht keine Gründe, weitere Ermittlungen zum Tod des Afrikaners zu führen und hat das Verfahren eingestellt.

"Er konnte nicht Deutsch"

Diese Einstellung wird vom Anwalt des Verstorbenen kritisiert: "Ich habe angeregt, ein ernährungswissenschaftliches Gutachten einzuholen sowie den bisher nicht befragten Polizeiamtsarzt unter Beiziehung eines Sachverständigen gerichtlich vernehmen zu lassen. Die Staatsanwaltschaft hat in ihrer Antwort an meine Kanzlei lapidar mitgeteilt, alles sei durch ein umfassendes Gutachten bereits geklärt", sagt Rechtsanwalt Helmut Blum.

Laut Untersuchungsbefund der Ambulanz des AKH Linz (erstellt am Todestag von Y. C.) sei die "Flüssigkeitszufuhr nicht eruierbar" und die "Kommunikation schwierig" gewesen, weil der Patient nicht Deutsch gesprochen habe. Außerdem habe er "trockene Lippen" und die "Augen stets geschlossen" gehalten. Insgesamt habe sich der "Patient unkooperativ" erwiesen, doch "mit Führung" schien ein "Gehen möglich". "Bei Verschlechterung des Allgemeinzustandes" sei jedoch eine "Zwangsernährung (Psychiatrie!)" erforderlich.

Bestand demnach keine Gefahr für Leib und Leben oder wurde die kritische Situation falsch eingeschätzt? Y. C. hat laut Aussage eines Zellengenossen vor seinem Tod zwölf Tage weder gegessen noch getrunken. 76,5 Kilogramm wog er am ersten Tag des Hungerstreiks, 59 am Tag seines Todes. Das phasenweise aggressive Verhalten des 18-Jährigen könnte damit erklärt werden, dass sich der junge Mann schon in einer Art "delirischem Zustand" befunden hat. "Diese Anzeichen wurden offenbar falsch gedeutet", sagt Alfred Grof vom Unabhängigen Verwaltungssenat (UVS) Oberösterreich.

Senats-Kritik am System

Den Gewichts-und Substanzverlust allein hätte der Häftling vermutlich noch einige Zeit überstanden, doch er litt zudem an einer Sichelzellenanämie. Das war nicht bekannt, aber müsste es bekannt gewesen sein? "Es ist eine typische Krankheit für Menschen aus dieser Region", sagt Grof, und weiter: Die Stunden und Tage des Sterbens müssen für Y. C. sehr qualvoll gewesen sein. "Die Blutzellen sind zerfallen."

Das UVS-Erkenntnis übt heftige Kritik: Nicht an den handelnden Personen, sondern am System. Einerseits war die Verhängung der Schubhaft über den jungen Afrikaner rechtswidrig. Andererseits verstoße es gegen das durch Artikel 3 Europäische Menschenrechtskonvention gewährleistete Recht auf eine menschenwürdige Behandlung, wenn es der Staat unterlässt, Menschen aus Risikogebieten im Falle eines Hungerstreiks ohne ausreichende medizinische Untersuchung weiter in Haft zu halten. Laut Grof muss jeder Schubhäftling untersucht werden. "Es ist seit den 1980er Jahren einschlägig bekannt, dass Gambia zu den Risikogebieten der Sichelzellenanämie gilt." Warum das die Ärzte nicht wussten, sei ein Rätsel. "Die Beamten in der Schubhaft wissen davon natürlich nichts und können es nicht wissen", sagt Grof. Lediglich ein Erlass des Innenministeriums könne Abhilfe schaffen.

Y. C. starb unter menschenunwürdigen Umständen, in einer düsteren Zelle, alleine gelassen. Hätte sein Tod verhindert werden können? Eine Untersuchung auf Sichelzellenanämie kostet 40 Euro. Ein Bluttest zur rechten Zeit hätte die Gefahr aufgezeigt. Seit dieser Tragödie wird Schubhäftlingen aus Schwarzafrika, die in Hungerstreik treten, eine Blutuntersuchung auf Sichelzellenanämie angeboten. Ob sie Leben retten kann? "In der Praxis wird die Blutabnahme und damit die Untersuchung vielfach durch die Schubhäftlinge verweigert. Y. C. hätte eine derartige präventive Untersuchung wohl abgelehnt", sagt Günter Ecker vom Verein Menschenrechte Österreich. Der Verein betreut die Flüchtlinge in der Linzer Schubhaft.

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