Die Raubzüge der Wohltäter

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Daniel Hösls Film "WInWIn" ist eine bittere Gesellschaftspersiflage und eine abrechnung mit den Rittern des ungebremsten kapitalismus.

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Daniel Hösls Film "WInWIn" ist eine bittere Gesellschaftspersiflage und eine abrechnung mit den Rittern des ungebremsten kapitalismus.

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Was, wenn alles ganz anders gelaufen wäre, damals bei der Schöpfung? Man stelle sich vor: Im Anfang war das Wort und danach aus dem Wort das Meer und das Land, der Himmel, die Sterne, die Pflanzen, die Fische und die Tiere des Landes und die Vögelein und schließlich der Mensch als Krönung. Was, wenn der höhere Zweck von all dem ein ganz anderer gewesen wäre? Nämlich, dass das göttliche Überich den Menschen schuf, um der Katze zu dienen?

Klingt doch absurd. Dass der Mensch und sein Bewusstsein geschaffen worden wären, um der Katze Komfort zu schaffen. Deshalb habe er die Fischerei eingerichtet und das Kissen erfunden und Sofas zum Zerkratzen, er habe die Heizung gemacht und das Dosenfutter. Für wen? Für die Katz. Und damit er für all das sorge, habe die Katze ihm das Bewusstsein gegeben, dass Eigentum notwendig sei und Wettbewerb und Kapital. Wenn die Investorin Frances Sandberg (Stefanie Cumming) in Daniel Hösls Film "WINWIN" diese Geschichte erzählt, lächeln ihre Kollegen freundlich und wiederholen das Gesagte verwundert. In Wirklichkeit ist es aber gar nicht so verrückt. Man müsste nur statt dem Wort "Katze" das Wort "Geld" in die Geschichte einsetzen und schon wäre der Istzustand erreicht, wenn er auch krankhaft erscheint: Geld, der scheinbare Diener des Menschen, dem der Mensch nun dient, der Fetisch, der die Wirklichkeit formt und sich seinen Schöpfer dienstbar macht.

Die Engel des Reichtums

So ordnet sich diese neue, verstörte Welt in Hösls radikaler Kapitalismuskritik durch Glück oder Unglück bei Kauf und Verkauf von Objekten oder Menschen. Die Fürstinnen und Ritter dieser Welt wohnen nicht in Schlössern. Sie umkreisen im Learjet die Erde und steigen herab, wo immer sie ein Ziel für ihre Profitzwecke ausgemacht zu haben glauben -und wo sie Verehrung finden, bei den dummen Erdlingen.

Letztere werden kontrolliert und manipuliert. Das beginnt schon beim Vokabular, das einzig dazu dient, Unwahres zu behaupten und die eigentlichen Motive zu verschleiern. Da wird beständig vom "gemeinsamen Weg" gefaselt, den man zu beschreiten gedenkt, den "nachhaltigen Strategien", der "Inspiration und Innovation", dem "Aneinem-Strang-Ziehen" zum Wohle aller. Und natürlich heißt es dann auch: "Es geht nicht ums Geld. Es geht uns um das Mensch-Sein." Klingt doch alles sehr vertraut und harmlos. Bei Hösl aber ist es der Anklagetext in einem Tribunal gegen das System.

Auch wenn die Engel des Kapitals permanent eine Win-Win-Situation versprechen, bei der angeblich alle gewinnen. Das einst schön erdachte Harvard-Konzept zur Lösung von Konflikten ist ja längst zum abgedroschenen Schlagwort verkommen. So auch im Film, in dem nur die Herabgestiegenen Profit schlagen und aus dem angeblichen Win-Win ein Nullsummenspiel machen, bei dem Gewinner und Verlierer längst feststehen. Diese Welt ist sehr berechenbar für jene, die das große Geld haben. In der Vision von "WINWIN" bestehen sie aus Verhandlungszimmern, die Verhörräumen gleichen und sterilen Hotelzimmern. Wo immer die Engel des Investments mit der Wirklichkeit in Kontakt kommen, lässt Regisseur Hösl die Dinge gespenstisch formal und schablonenhaft erscheinen. Alles gerinnt zu rechten Winkeln und wird zweidimensional: so sind die Schauspieler beinahe ausschließlich von vorne oder im Profil zu sehen. Die Welt ist ein unwirklicher Platz geworden.

Österreich ist ein unwirklicher Platz geworden, und das vielleicht nicht bloß im Film -so realitätsnah sind die Gespenstergeschichten in "WINWIN". Eine Ministerin (Johanna Orsini-Rosenberg) wird von einem Investor (Christoph Dostal) mit teuren südamerikanischen Wasserschweintaschen bestochen. Dafür wird sie zur Komplizin und bindet der Justiz und der Polizei die Hände. Aber die Investoren haben damit nicht genug. Sie korrumpieren den gesamten Staatsapparat, kaufen sich Kunst und Künstler zum Zwecke der Rufpolitur. Sie beschwatzen Bezirkspolitiker (mutmaßlich des Burgenlandes), die sich durch Windparks das Paradies erhoffen und sich ihre Landschaft verschandeln lassen. Die Natur wird abgekauft für ein paar Arbeitsplätze, eine Tischtennishalle und ein bisserl Geld für die Blasmusik.

Die Medien kriechen ebenfalls zu Kreuze und versprechen der neuen Kundschaft Marketing samt Berichterstattung. Man könnte sagen, das ist pure Fantasie, inszeniert von einem zynischen Geist, wenn da nicht so viele Erinnerungen an die Wirklichkeit wach würden, beginnend bei der Hypo Alpe Adria und endend im Hier und Heute der Gratis- und Gefälligkeitsmedien. So blasen die Investoren allen anderen den Marsch. Und wehe, es kommt ihnen einer in die Quere. Alexander Tschernek spielt Anton Tanner, den Besitzer eines Traditionsunternehmens, der zum Verkauf gezwungen wird. Am Abend feiern die Investoren dann ihren Erfolg mit einem "Gelage", bei dem die feinsten Speisen wie Kunstwerke von Arcimboldo auf den Tellern drapiert sind, aber die Kühle des Raumes und der Menschen eher Ekel keimen lässt, als lukullische Freude.

Die Kehrseite der Schuldenkrise

"WINWIN" kann auch als eine Parabel auf die Schuldenkrise verstanden werden. Erzählt diesmal nicht aus der Position des Schuldners, also der Griechen, der Europäer, der Haushalte, der Staaten, der Verschwender und Sünder, wie das für gewöhnlich geschieht. "WINWIN" erzählt aus dem Blickpunkt des Kapitals. Und das ist gut gewählt. Denn eines der wenigen Gesetze, die ökonomisch unbestritten sind, ist: Je tiefer das Schuldenmeer, desto höher das Kapitalgebirge. Was also die einen sich geliehen haben, steht auf der anderen Seite der Bilanz als Investment oder Kredit.

Wenn man den Bogen noch etwas weiter spannen möchte, dann sind Investoren jene, die bereits mehr vom Kuchen haben als andere und danach trachten, noch mehr zu bekommen. In dieser Weltsicht war die Krise langfristig eine ganz wunderbare Angelegenheit. Denn die existenzielle Arithmetik sagt: die Macht des Investoren steigt, wo das Vermögen der Staaten schrumpft.

Am Ende treffen sich die Verlierer im Naturhistorischen Museum vor ausgestopften Tieren und wirken ähnlich vergangen wie die schon ausgerotteten Wesen in den Vitrinen. Die Welt ist unfruchtbar geworden - und am Ende dieser Frustration erwischt es einen der Investoren selbst, weil hinter der maskenhaften Leere der Existenz doch noch etwas steckt: tiefe Depression.

Wenn "WINWIN" eines nicht aufgreift, dann die peinliche Wahrheit, dass das Big Money der Investmentfonds oft aus den Ersparnissen der kleinen Leute gespeist wird, deren Pensionsfonds und Versicherungen mitnaschen wollen am Gewinn. So gesehen sind es dann doch mehr als nur die Investoren, die großzügig darauf verzichten, der eigenen Gier ins Auge zu blicken -und das ist eine No-Win-Situation.

WINWIN

A 2016. Regie: Daniel Hösl. Mit Stefanie Cumming, Christoph Dostal, Bernard Efferant Stadtkino. 84 Min., www.winwin.party

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