"Die Revolution dauert noch zehn Jahre“

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Bouaida Mbarka ist eine marokkanische Politikerin und Frauenrechtlerin. Ein Gespräch über die Revolution, die Islamisten und die Jugend Arabiens. Das Gespräch führte Stefan Schennach

Für die FURCHE sprach Stefan Schennach mit der marokkanischen Politikerin Bouaida Mbarka, gebürtige Sahraoui, engagierte Außenpolitikerin, ehemalige Abgeordnete, heute Betreiberin einer privaten Radiostation in Casablanca, über die Situation der Frauen nach dem Arabischen Frühling und über populistische Revolutionen.

DIE FURCHE: In Syrien findet ein blutiger Bürgerkrieg statt, Libyen ist weit von einem Frieden entfernt, in Ägypten, Tunesien und Marokko sind die Islamisten auf dem Vormarsch. War das Ihr Traum einer arabischen Revolution für mehr Demokratie?

Mbarka: Die Arabische Revolution war und ist wichtig. Auch wenn es für uns Frauen, so seltsam es für europäische Ohren klingen mag, vorerst einen bitteren Rückschritt bedeutet. Die Despoten haben ihre Länder mit einem Privatbesitz beherrscht, insbesondere Gaddafi. Aber die Frauen hatten zunehmend starke Positionen, in Marokko oder in Tunesien etwa. Zum Arabischen Frühling gibt es keine Alternative, auch wenn es für die Frauen zehn bis 15 Jahre Rückschritt bedeutet. Es ist ein Skandal, dass in der verfassungsgebenden Versammlung in Ägypten keine Frau vertreten war, obwohl am Tahrir-Platz mehr als 50 Prozent Frauen waren. Der arabische Aufstand war jedoch eine populistische Revolution, mit einer stark sozialpolitischen Komponente. Europa ist bis heute verwirrt darüber, muss es jetzt doch gänzlich seine Politik ändern und ist vorerst mit seinen eigenen Finanzkrisen beschäftigt. Europa war zu sehr mit den Diktatoren wirtschaftlich verbandelt.

DIE FURCHE: Werden die arabischen Länder auf absehbare Zeit keine Ruhe finden?

Mbarka: Nein, den die Entwicklung von Demokratie braucht Zeit. Das ist ein Prozess, der nicht verordnet werden kann. Außerdem führen populistische Revolutionen ja nicht Intellektuelle an. Das alles ist inhomogen, sie alle eint nur die Ablehnung der früheren Regime. Jetzt beginnt der Lernprozess. Auch für die einstigen Parteien, die mit den Regimen verbunden waren und tief in der Korruption steckten. Wir müssen nun unseren Weg selber finden, die Parteien müssen sich erneuern und die islamische Bewegung hat gegenwärtig den Vorteil in der Hand. Das bedeutet, wir Frauen müssen uns vernetzen, in den arabischen Staaten, und wir müssen dagegenhalten. Wir brauchen dafür aber internationale Unterstützung und Solidarität. Am Ende muss eine Frauenrevolution herauskommen.

DIE FURCHE: Derzeit versuchen die Türkei und die Saudis, Einfluss zu bekommen.

Mbarka: Ja, die Türken klopfen um die Führung an. Sie sind der Meinung, dass sie der arabischen Welt Visionen und Führung geben und ihre Märkte entwickeln können. Sie sind stark, sie können jedoch niemals Führer sein. Die Saudis haben Angst, dass der Arabische Frühling auch an ihrer Tür anklopfen wird. Sie wollen ihre Herrschaft schützen. Doch Saudiarabien ist ein schlechtes System, das leider für die gesamte arabische Welt von Nachteil ist, denn sie verfügen vor allem über wirtschaftliche Macht. Sie bekämpfen die Modernisierung und damit die Demokratisierung. Dabei gehen sie eigentlich Hand in Hand mit ihrem Erzfeind, dem Iran.

DIE FURCHE: Das bedeutet schlechte Aussichten für die Frauen.

Mbarka: Wir haben derzeit keine Frau in einer Führungsposition in der arabischen Welt. Es gibt aber tapfere und mutige Frauen. Frauen müssen trotz des derzeitigen Rückschritts Führungspositionen begehren. Wir arabische Frauen träumen nicht nur von Gleichberechtigung, wir hören auch nicht auf, darum zu kämpfen.

DIE FURCHE: Sie haben gerade im November bei den Wahlen Ihr Mandat im Parlament verloren.

Mbarka: Ich gebe den Kampf für ein demokratisches Marokko und für eine moderne Gesellschaft, in dem nicht religiöse Fragen die Politik bestimmen, nicht auf. Aber in Marokko wurden die bisherigen Parteien bestraft und abgewählt, für deren Korruption und die Starrheit. Wir konnten unsere Parteien nicht ausreichend reformieren und ihr Image korrigieren. Die Islamisten, ausgestattet mit einem perfektem Kommunikationsapparat, haben die Gunst der arabischen Stunde genutzt. Sie haben letztlich das türkische Modell ins Spiel gebracht und haben gewonnen. Ich werde nun bei der regionalen Wahl in Casablanca erneut mein Glück versuchen, denn viele, die einmal mehr aus Frustration nicht wählen gingen, sind jetzt geschockt vom Ergebnis.

DIE FURCHE: Einer ihrer Parlamentskollegen hat von einem islamistischen Tsunami gesprochen.

Mbarka: Das ist übertrieben. Ich finde ja auch Positives am Ergebnis. Wir haben mehr junge Leute im Parlament und sogar mehr Frauen. Rund 40 Prozent der Abgeordneten sind neu. Das ist ein Erfolg, auch wenn ich derzeit draußen bin. Wir müssen an der Verfassung weiterarbeiten und der König muss weiter seine wirtschaftlichen Interessen von der Führung des Landes entflechten. Er hat immerhin seine Anteile an der größten Firma, die ein Monopol hatte, verkauft, denn diese Firma galt auch als korrupteste.

DIE FURCHE: Trotzdem gab es von Jänner 2011 bis Jänner 2012 mehr als 100 Selbstverbrennungsversuche und Proteste in Marokko und eine sehr zornige Jugend.

Mbarka: Diese Zahl kenne sogar ich nicht, aber es gab viele, das stimmt. Es gibt eine zornige Jugend, die sehr uneinheitlich organisiert ist und sehr unterschiedliche Ziele verfolgt. Die einen wollen eine parlamentarische Monarchie europäischen Vorbilds, andere eine komplette Entflechtung von Monarchie und Wirtschaft. Seit 2007, seit ich im Parlament war, gab es keinen Tag ohne Demonstrationen. Viele wollen nur einen Job in der Verwaltung oder Bürokratie, eine Prestigesache. Aber auf die Zivilgesellschaft wird es ankommen, nicht nur in Marokko, auch in der gesamten arabischen Welt. Das ist der eigentliche Arabische Frühling, die Erweckung der Zivilgesellschaft. Das heißt nicht, dass ich alle Ziele der Demonstranten teile.

DIE FURCHE: Marokko hat eine sehr hohe Analphabetenrate. Wie wirkt sich dies für die Demokratie aus?

Mbarka: Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen Analphabetismus und islamischen Parteien. Die Anhänger der Islamisten verfügen meist über keinen High-School-Abschluss. Sie sind leichter manipulierbar aber auch motivierbar - vor allem im Kontext sozialer Fragen. Vergessen wir nicht, dass es in den arabischen Ländern sehr hohe Arbeitslosigkeit gibt.

DIE FURCHE: Sie sind Sahraoui und in der marokkanischen Politik aktiv. Wird es endlich zu einer Lösung für die Westsahara kommen?

Mbarka: Der Arabische Frühling könnte sogar dazu beitragen, dass der Westsahara-Konflikt positiv gelöst wird. Ziel muss eine Autonomie sein. Die völlige Unabhängigkeit ist illusorisch, die Westsahara kann ökonomisch nie unabhängig sein. Ich fühle mich, wie die Mehrheit der Sahraouis, als Marokkanerin, habe aber niemals die Anliegen der Sahara vernachlässigt. Eine Autonomielösung mit Marokko kann eine wunderbare Sache sein, dann kann die Sahara in der Zukunft eine wichtige Rolle in der Region spielen.

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