Die Rinke hat lecht gehabt

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Frank Schirrmacher, der Großmeister des deutschen Feuilletons, hat gesprochen: Die von ihm artikulierten Selbstzweifel, "ob man richtig gelegen hat, ein ganzes Leben lang“, werden von der Linken erwartungsgemäß freudig begrüßt.

Konvertiten haben einen besonderen Charme. Wir haben in den letzten Jahren etliche Bekenntnisse ehemaliger Linker erlebt, die mit ihrem Milieu, ihrer Biografie und Sozialisation in der einen oder anderen Art abgerechnet haben - und dafür viel Applaus von der Rechten bekamen: Jan Fleischhauer ("Unter Linken“), Matthias Matussek ("Das katholische Abenteuer“), Götz Aly ("Unser Kampf 1968“) seien hier exemplarisch genannt; oder für Österreich Rudolf Burger und, abgestuft, Konrad Paul Liessmann, die sich vor allem kritisch mit dem "antifaschistischen“ Impetus des "Widerstands“ gegen Schwarz-Blau auseinandergesetzt und dafür als Dandy-Philosophen und mehr verunglimpft wurden.

Mit links Rechts retten

Warum also nicht einmal andersrum? Nein, ganz andersrum ist es nicht. Denn Frank Schirrmacher, Großmeister des deutschen Feuilletons und FAZ-Mitherausgeber, ist nicht zum bekennenden Linken mutiert. Er hat nur zustimmend und seitenfüllend den britischen konservativen Publizisten und Thatcher-Biografen Charles Moore zitiert, der sich im Daily Telegraph die rhetorische Frage gestellt hatte, ob "die Linke nicht am Ende recht“ habe ("I’m starting to think that the Left might actually be right“ - "Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat“). Schirrmacher will offenkundig in einer kühnen dialektischen Volte mithilfe linken Gedankenguts "die Fähigkeit zu bürgerlicher Gesellschaftskritik wiederfinden“, wie er schreibt.

Hat die Linke also immer schon recht gehabt, worauf jetzt endlich auch die Konservativen kommen (mussten)? Aber interessiert das eigentlich überhaupt irgendwen (außer Schirrmacher, Moore und Co.), wer recht gehabt hat? Schirrmacher plagen Zweifel, "ob man richtig gelegen hat, ein ganzes Leben lang“. Das mutet seltsam für einen Konservativen an. Denn die Überzeugung, stets auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen und aus dieser Überzeugung so etwas wie eine moralische Überlegenheit abzuleiten, zählt eigentlich zu den Wesensmerkmalen der Linken. Der Hang zu Selbstzweifel und -kritik, zum Uneindeutigen und Unbestimmten, das Widerstreben gegen feste Zuschreibungen und Einordnungen gelten indes eher als bürgerliche (Un-)Tugenden. (Deshalb sind ja auch auf dieser Seite des politischen Spektrums die Bürger schwieriger zu mobilisieren und organisieren.) Es gibt also keine bürgerlichen fundamentalen Glaubensgewissheiten, die nun durch die Krise erschüttert oder gar zerstört werden könnten. Auch die gern als "neoliberal“ punzierte bedingungslose Marktgläubigkeit gehört nicht zur Grundausstattung bürgerlichen Denkens. Eher ließe sich die entsprechende Haltung mit Worten umschreiben, wie sie der US-österreichische Soziologe Peter L. Berger schon vor Jahren in einem Presse-Interview formuliert hat: dass "in einer nicht sehr perfekten Welt bürgerliche Gesellschaft, Demokratie und Marktwirtschaft noch am ehesten dazu geeignet sind, die entsetzlichsten Möglichkeiten der Geschichte zu verhindern“.

"Aus Erfahrung klüger“

Ungeachtet dessen wird Schirrmacher nun freilich vielfach genauso rezipiert: als Quasi-Geständnis oder späte Einsicht eines reuigen Konservativen. "Aus Erfahrung klüger“ nennt das der linke Publizist Robert Misik, der für sich behaupten kann, immer schon "genial dagegen“ (so der Titel einer von ihm kuratierten Veranstaltungsreihe) gewesen zu sein - gegen "das System“ natürlich. Und Christian Felber will aus gebotenem Anlass zeigen, "wie der konservative Meinungsmainstream in ein Flussbett humaner, liberaler, christlicher Werte zurückfinden kann“.

Welcher "konservative Meinungsmainstream“ eigentlich? War und ist nicht dieser Mainstream ohnedies der Meinung, dass die Linke recht hat? Entweder in der Boulevard-Variante des Herrn Strudl - oder intellektuell verbrämt (und als Überbau für Ersteres) bei Misik und Co.? Ganz abgesehen davon, dass bei alldem von Gesellschaftspolitik noch gar nicht die Rede war - und auch bei Schirrmacher kaum ist …

* rudolf.mitloehner@furche.at

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