Die Schattenseiten der kabellosen Freiheit

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Bei einer Tagung diskutierten zahlreiche Experten über ein mögliches Gesundheitsrisiko durch den Handyboom.

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Bei einer Tagung diskutierten zahlreiche Experten über ein mögliches Gesundheitsrisiko durch den Handyboom.

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Was vor zehn Jahren noch eine Einzelerscheinung war, ist mittlerweile täglich und fast überall zu beobachten - in den öffentlichen Verkehrsmitteln, auf der Straße, im Auto und im Restaurant: das Telefonieren mittels Handy. Jeder vierte Österreicher besitzt heute bereits ein Mobiltelefon, Tendenz steigend. Um den zunehmenden Qualitätsansprüchen bei der Übertragung von Gesprächen der über zwei Millionen Handy-Benutzer genüge zu tun, sprießen immer mehr Antennen und Sendstationen, in der Fachsprache auch Handy-Basisstationen genannt, auf Dächern, Hochspannungsleitungen und Kirchtürmen.

Experten sind uneins Viele Menschen fühlen sich aber mittlerweile durch Handys und die dazu notwendigen Sendestationen bedroht. Die Frage nach der gesundheitlichen Gefährdung durch hochfrequente elektromagnetische Felder, die von Handys zur Gesprächsübermittlung ausgesendet werden, wird von besorgten Bürgern immer öfter gestellt. Durch mehrere tausend über ganz Österreich verteilte Basisstationen ist ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung in unmittelbarer Nachbarschaft mit Antennenanlagen konfrontiert.

Der Frage nach einer möglichen Gesundheitsgefährdung gingen nun zahlreiche Experten bei der Tagung "Handyboom - Gefahr für unsere Gesundheit?" in Linz nach. Fazit: auch Wissenschafter sind sich über die tatsächlichen Auswirkungen der Strahlenbelastung durch Handys und Basisstationen uneins, eine gesundheitliche Gefährdung kann derzeit weder bewiesen noch ausgeschlossen werden. Karl-Heinz Auzinger von der Oberösterreichischen Umweltanwaltschaft: "Tatsächlich umfassen die bisher veröffentlichten Untersuchungsergebnisse die ganze Bandbreite möglicher Folgen einer Exposition im Strahlenbereich von Handys und Basisstationen von ,gesundheitsförderlich' bis zur ,schweren Gesundheitsgefährdung'. Dementsprechend sind auch in verschiedenen Ländern unterschiedliche Sicherheitsstandards und gesetzliche Regelungen hinsichtlich dieser Materie in Kraft."

Den Umstand, daß die Auswirkungen der Mobilfunktechnik noch nicht gründlich untersucht worden sind, kritisiert Universitätsprofessor Michael Kundi, Leiter der Abteilung für Arbeits- und Sozialhygiene am Institut für Umwelthygiene der Medizinischen Fakultät der Universität Wien. "Obwohl es Hunderte wissenschaftliche Untersuchungen zu hochfrequenten elektromagnetischen Feldern gibt, ist gerade die Mobilfunktechnik hinsichtlich ihrer biologischen und gesundheitlichen Auswirkungen keineswegs gründlich untersucht."

Zwar seien nach dem derzeitigen Wissensstand übertriebene Befürchtungen fehl am Platz, aber selbst die wenigen Untersuchungen, die heute vorliegen, so Kundi, würden schon hinreichend viele Hinweise liefern, daß Felder, wie sie von Mobilfunkeinrichtungen ausgehen, gesundheitsschädlich sind. So hätten etwa Mäuse, die eineinhalb Jahre lang täglich eine Stunde einem derartigen Feld ausgesetzt worden waren mehr als doppelt so viele Lymphome (gutartiges Geschwulst des Lymphknotens) entwickelt wie Kontrolltiere.

Auch reagierten menschliche Blutzellen nach einer halben Stunde in der Nähe einer Basisstation um vieles empfindlicher auf eine giftige Substanz. Auf Grund dieser bedenklichen Hinweise sei ein vorsichtiger Umgang mit dieser Technologie empfehlenswert, rät Kundi. "Wegen der großen Bedeutung für die Volksgesundheit ist die Forschung raschest voranzutreiben." Im Sinne der Vorsorge sei es notwendig, danach zu fragen, was bei jahrelanger Strahlenbelastung an Effekten auftreten könnte. "Das alles ist nicht geschehen. Im Gegenteil: Viele Hinweise wurden entweder gar nicht zur Kenntnis genommen oder als noch nicht ausreichend gesichert aus der Grenzwertregelung ausgeschlossen. Also das gerade Gegenteil einer vorsorgeorientierten Vorgangsweise!" Die Netzbetreiber müßten daher verpflichtet werden, fordert Kundi, den Behörden die Standorte und technischen Details aller Antennenanlagen bekannt zu geben.

Vorsicht ist aber in jedem Fall für Träger von elektronischen Implantaten geboten, etwa bei einem Herzschrittmacher der älteren Generation. Der Schrittmacher kann den Handyimpuls mit Herzaktionen verwechseln. Es kann zu Herzjagen kommen, und der Schrittmacher kann sogar abschalten, warnt Universitätsprofessor Oswald Jahn von der Abteilung für Arbeitsmedizin der Universität Wien. "Moderne Schrittmacher, die wesentlich empfindlicher reagieren, sind jedoch durch eine Filterung der Impulse faktisch immun gegen Handys", beruhigt Jahn. In jedem Fall sollten die Betroffenen aber mit einem Arzt darüber sprechen. "Für alle Patienten ist jedoch die Kontaktaufnahme von jedem Ort aus ein wesentlich wichtigeres Argument für die Verwendung eines Handys", meint Jahn.

Wer gesundheitliche Bedenken gegen eine Sendestation hat, hat rechtlich derzeit wenig Chancen auf Erfolg, die Errichtung einer Sendestation in seiner Nachbarschaft zu verhindern. Die Fernmeldebehörde muß die Genehmigung nur dann untersagen, wenn der Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen nicht gewährleistet werden kann, erklärt Universitätsprofessor Ferdinand Kerschner vom Institut für Umweltrecht und Zivilrecht der Universität Linz. "Die Behörde hat also über Umstände zu befinden, die derzeit nicht einmal auf Expertenebene eindeutig entschieden werden können."

Der Jurist kritisiert, daß den potentiell Betroffenen keine Möglichkeit eingeräumt wird, ihre gesundheitlichen Bedenken zu äußern, da Nachbarn für fernmeldebehördliche Genehmigungsverfahren nicht als Partei angehört werden. Den Forderungen nach Parteistellung betroffener Anrainer und nach Sicherheitsabständen wurde auch in der diesjährigen Novelle nicht entsprochen. Kerschner: "Als Fazit ergibt sich ein nach rechtsstaatlichen Gesichtspunkten eher unbefriedigendes Rechtsschutzdefizit im öffentlichen Recht: Nachbarn werden entweder vor vollendeten Tatsachen gestellt oder ihre bei Behörden geäußerten Bedenken können mangels subjektiv-öffentlicher Rechte nicht durchgesetzt werden."

Sicherheitsabstand Derzeit besteht daher für betroffene Nachbarn lediglich die Möglichkeit der Anrufung der ordentlichen Gerichte, so Kerschner. "Von diesem wird geprüft, ob die durch die Fernmeldeanlage verursachten elektromagnetischen Felder wesentlich und ortsüblich auf das Nachbargrundstück einwirken." Da sich, meint der Jurist, der Betreiber beweismäßig entlasten muß, daß seine Störung nicht wesentlich oder ortsüblich ist, sind die Erfolgschancen der betroffenen Nachbarn als durchaus aussichtsreich einzustufen.

Für besonders verunsicherte Bürger, so die Experten, bleibt daher derzeit nur der Rat, gar nicht oder möglichst wenig über Handy zu telefonieren. Denn das an das Ohr gepreßte Handy mit seiner unmittelbar am Gehirn plazierten Antenne, stellt vermutlich, wenn überhaupt, das größte Gesundheitsrisiko dar.

Und, rät Karl-Heinz Auzinger von der oberösterreichischen Umweltanwaltschaft: "Hinsichtlich der Basisstationen ist wegen des Strahlungsbereiches in der Nähe der Antennen ein entsprechender Sicherheitsabstand bei ständigem Aufenthalt von 150 bis 200 Meter zu empfehlen."

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