Die schlechtesten Jahre

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Die Hundertschaft an TV-Konfrontationen, mit denen Österreich in den nächsten Wochen behelligt werden wird, ist ein Symptom für die veritable Krise der Demokratie.

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Die Hundertschaft an TV-Konfrontationen, mit denen Österreich in den nächsten Wochen behelligt werden wird, ist ein Symptom für die veritable Krise der Demokratie.

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Dem Profil sei Dank: 60 TV-Duelle,-Konfrontationen,-Elefantenrunden etc. mit den Spitzenkandidat( inn) en stehen laut der Zählung des Nachrichtenmagazins Herrn und Frau Österreicher ab Ende Juli ins Haus. Der ORF sowie die Privatsender ATV und Puls4 werfen eine nie gekannte Maschinerie an, und dabei sind die Pläne für ORF III, Servus TV oder das, mit dem uns Fellners oe24.tv behelligen wird, noch gar nicht bekannt. Bedürfte es eines Beweises für die völlige Aushöhlung des politischen Diskurses, der sich nicht nur Österreichs Gesellschaft gegenübersieht, dann liefert ihn die schiere Zahl der Events, die vorgeben, der politischen Willensbildung zu dienen. Was der US-Medienkritiker Neil Postman in seinem Klassiker "Wir amüsieren uns zu Tode" schon 1985 behauptet hat, dass nämlich Wahl-Diskussionen im Fernsehen ausschließlich der Unterhaltung und niemals demokratischer Auseinandersetzung dienen, bewahrheitet sich 30 Jahre später zur Potenz. Insofern können einem vor der Wahl im Oktober die sprichwörtlichen Grausbirnen aufsteigen. Das alles mag als Symptom fürs Elend des Diskurses via Medien und die veritable Krise der Demokratie gelten. Der allfällige Einwand, Fernsehen sei ja nur eine, wie es auf Neudeutsch heißt, mediale Plattform, die gegenüber den Sozialen Medien rasant an Bedeutung verliere, verfängt nicht.

Notwendige breite Diskussion findet nicht statt

Denn die Art und Weise der Bespielung des öffentlichen Raumes, wie sie für demokratische Auseinandersetzung unabdingbar ist, ist keine fraglos akzeptierte Tatsache mehr. Folgerichtig wäre eine breite Diskussion über die Rolle der Medien wie über die adäquaten Verfahren, zu demokratischer Willensbildung zu kommen, dringlich. Doch diese Auseinandersetzung ist in den Erhitzungen eines Wahlkampfs nicht zu führen.

Dabei gibt es längst prophetische Stimmen, die genau das einmahnen: Der belgische Schriftsteller David Van Reybrouck hat das Ende letzten Jahres in einem Offenen Brief an den EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker (zuletzt auch im Band "Die große Regression", vgl. FURCHE 22, Seite 17) auf den Punkt gebracht. Zum einen argumentiert Van Reybrouck, die demokratischen Instrumente wie Wahlen und Referenden fußen auf den Verhältnissen des 18./19. Jahrhunderts und seien heute - siehe Brexit oder die Wahl von Donald Trump - in der Krise. Wie aber müssten Verfahren aussehen, in denen inhaltlichen Kriterien wieder mehr Gewicht zukommt als in den überhitzten Gefühlsausbrüchen, zu denen Wahlen oder auch Referenden mehr und mehr verkommen?

Kommerzialisierung und die Algorithmen der Information

Hand in Hand mit derartigen Überlegungen ist die Auseinandersetzung um die Rolle der Medien zu führen. Van Reybrouck beklagt dabei deren Kommerzialisierung: Der Bereich zwischen den Machthabern und dem Volk sei vor allem durch den Markt der Medien und weniger durch die Zivilgesellschaft organisiert worden. Die vermutliche Hundertschaft an TV-Konfrontationen zur Wahl im Oktober ist das beste Beispiel für diesen Befund. Dazu kommt, konstatiert Van Reybrouck, dass die Informationen im Web 2.0 heute über die geheimen Algorithmen zweier US-Unternehmen verteilt werden: "Facebook errichtet unsichtbare Mauern zwischen uns; Google beliefert die jeweiligen Seiten dieser Mauern mit ungeprüftem Content."

Es ist zu befürchten, dass diese dringliche Diskussion - sowohl um demokratische Verfahren, die zeitgemäß die Beteiligung der Bürger ermöglichen, als auch über die Medien - jedenfalls hierzulande nicht geführt werden, zumal in der "fokussierten Unintelligenz" (© Michael Häupl) des aktuellen Wahlkampfs. Eine Katze, die sich in den Schwanz beißt: Van Reybrouck hat in seinem Essay 2016 als das "für die Demokratie schlechteste Jahr seit 1933" bezeichnet. Wenn die Auspizien nicht trügen, dann könnte das für Österreich 2017 der Fall sein.

otto.friedrich@furche.at

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