Die schwierige Vermessung des Wandels

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Die Denkwerkstatt St. Lambrecht bemüht sich redlich, die Thematik gesellschaftlichen Wandels und seiner Folgen zu erfassen. Heuer unter dem anspruchsvollen Titel "Lebensentwürfe und Institutionenfragen“. Doch die Einteilung der Generationen und deren Beschreibung sind schwierig. Die Jugend ist gegenüber der Politik skeptisch.

My Generation heißt der Titel eines der größten Hits der britischen Rockgruppe The Who aus dem Jahr 1965. Gedacht als ein Aufruf zur Rebellion der Jugend, die nach Freiheit und Selbstverantwortung verlangt, fordern die Textzeilen festgefügte Institutionen mit ihren etablierten Gesellschaftsbildern dazu auf, einen Dialog mit der jugendlichen Generation zu führen: Talkin’ ’bout my generation …, so der eindringliche Refrain mit großem Ohrwurmcharakter.

Heute scheint die Notwendigkeit eines Dialogs der Generationen dringlicher denn je zu sein, wie die "Denkwerkstatt St. Lambrecht“ vor wenigen Tagen abermals vor Augen geführt hat. In Anbetracht demografischer, soziologischer, politischer als auch wirtschaftlicher Brüche und damit einhergehenden sozialen Problemen bemüht sich eine Gruppe von Experten um gesellschaftstaugliche Lösungen.

Distanz, Ungleichheit, Ungleichgewicht

Zum fünften Mal widmen sich unterschiedlichste Disziplinen aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft dem großen Generalthema der Denkwerkstatt St. Lambrecht, nämlich jenem der Generationen: "Altern - Lebensentwürfe und Institutionenfragen“ lautet der diesjährige Tagungstitel. Den Zusammenhang zwischen den Bereichen Leben und Institutionen führt der wissenschaftliche Leiter der Denkwerkstatt aus: "Lebensentwürfe und Institutionen gehören zusammen. Es geht heute darum, Individualbiografie und politische Einrichtungen, die staatliche Verfasstheit, in Einklang miteinander zu bringen“, so Wolfgang Mazal vom Institut für Arbeits- und Sozialrecht der Universität Wien. Die Spannung zwischen diesen beiden Bereichen ist in den letzten Jahrzehnten gestiegen. Dadurch befindet sich nicht zuletzt auch das Verhältnis zwischen den Generationen innerhalb der Gesellschaft in einem Ungleichgewicht.

Einen Blick auf das mögliche Zusammenleben in den kommenden Jahrzehnten wirft Rudolf Richter vom Institut für Soziologie der Universität Wien. Für die Zukunft ist seiner Ansicht nach eine Zunahme der Mehrgenerationenfamilie zu erwarten, für die der Lebensstil der Mehrgenerationszugehörigkeit charakteristisch sein wird. Seit 2010, so Richter, leben knapp drei Fünftel aller Familien in Österreich in drei Generationen und ein Fünftel bereits in vier Generationen. Die Tendenz ist klar steigend. Im Jahr 2050 werden vermutlich 34 Prozent der Bevölkerung über 60 Jahre alt sein. Heute sind dies 23 Prozent. Zugleich geht nach Richter der Anteil der Erwerbstätigen zwischen den 15- und 50-Jährigen stetig zurück.

Neue Biografien dank Alterung

Diese demografische Veränderung hinterlässt Spuren in den unterschiedlichen Lebenskonzeptionen. Der klassische Lauf des Lebens, der früher doch eher kontinuierlich mit den drei Etappen Ausbildung - Beruf - Pension skizziert werden konnte, zerfällt zusehends, so Richter. Gerade im Bereich der mittleren Generationen lassen sich viele Brüche beobachten, führt der ausgewiesene Familien-Soziologe aus: "Brüche im Erwerbsleben, mehrfache Jobwechsel, Arbeitslosigkeit, gesundheitliche Gebrechen et cetera“ seien die Begleiterscheinungen dieser Entwicklungen. Sein Befund zur Gesellschaft lautet daher: "Jene Bereiche, die uns Regeln im (Lebens-)Sinn, im wirtschaftlichen und politischen Bereich gegeben haben, sind in den letzten 40 Jahren verschwommen und führten zu einer De-Instutionalisierung. Der demografische Wandel der Gesellschaft hat diese Entwicklung begünstigt. Heute leben drei bis vier Generationen pro Familie miteinander und noch nie gab es so viele Menschen, die nicht mehr erwerbstätig sind.“

Im Gespräch über Generationen drängt sich vor allem der Unsicherheitsfaktor des demografischen Wandels der Gesellschaft in der Vordergrund, den unterschiedliche Statistiken freilich auch mit unterschiedlichsten Zahlen zu belegen suchen. Dieser Wandel zeigt sich auf mehreren Ebenen.

Es ist nicht nur die Veränderung der Altersstruktur, die eine wesentliche Rolle spielt, sondern auch das Geschlechterverhältnis von Frauen und Männern, das Verhältnis von Inländern, Ausländern und Eingebürgerten sowie die Entwicklung der Geburten- und der Sterbefälle. Eines der größten Probleme innerhalb dieser Debatte über die Entwicklungen der nächsten Generationen und deren Verhältnis zueinander ist, dass sich heute offensichtlich keine homogenen Gesellschaftsgruppen ausfindig machen lassen, die einander gegenübergestellt werden könnten.

Das hat mit dem Wandel der Lebenskonzeptionen zu tun: Die Zugehörigkeit einer Person zu mehren Generationen, indem etwa im Pensionsalter ein Studium betrieben wird, ist ein Beleg für Veränderungen, die schwer fassbar sind. Ähnliches gilt für Jüngere: "Die Jugend gibt es nicht. Sie sind eine genauso inhomogene Gruppe wie Senioren oder andere“, meint Sebastian Kurz, Staatssekretär für Integration im Bundesministerium für Inneres. Ein Problem, das mit jenem der wechselnden Lebenskonzeptionen einhergeht, ist für Kurz das sinkende Vertrauen in staatliche Systeme und in die politischen Institutionen, verbunden mit einer starken Frustration gegenüber den Parteien und Politikern. Bei Jugendlichen ortet Kurz vor allem Skepsis gegenüber dem Gesundheits- und dem Pensionssystem. Probleme der Integration verschärfen jene Konflikte, die mit dem demografischen Wandel in Verbindung stehen.

Babyboomer in Beschäftigung halten

Die Herausforderungen liegen demnach auf der Hand. Die größte scheint zu sein, dass es zahlreiche unterschiedliche Beschreibungen der Gegenwart und ebensoviele unterschiedliche Prognosen hinsichtlich ihrer Entwicklung gibt.

Allein, so vielfältig sich die unterschiedlichen Problemzonen darstellen, scheinen auch die Lösungsansätze zu sein. Doch Bernd Achitz vom Österreichischen Gewerkschaftsbund bringt das Spektrum der Tagung mit dem Fokus auf das Altern auf den Punkt: Die Alterung der Bevölkerung erfordere zahlreiche unterschiedliche Anpassungen. Eines der wichtigsten Ziele sei es seiner Ansicht nach, die "Babyboomer-Generation in Beschäftigung zu halten.“

Konzepte, um sich den erwarteten gesellschaftlichen Entwicklungen stellen zu können, formuliert Martin Gleitsmann von der Wirtschaftskammer. Sechs Ziele müssen seiner Ansicht nach in den Vordergrund gestellt werden:

* Anhebung des faktischen Pensionsalters

* Schärfung des Bewusstseins für Nachhaltigkeit in Politik und Wirtschaft

* Eine proaktive Migrationspolitik

* Die Sicherstellung der Wahlfreiheit für betreuungs- und pflegebedürftige Menschen

* Die Möglichkeiten zu schaffen, gesund zu Hause älter zu werden

* Der Ausbau von Prävention, der Gesundheitsförderung und auch der Rehabilitation.

Anpassung individuellen Lebens

Doch nicht nur öffentliche Bereiche müssen an den demografischen Wandel angepasst werden. Auch jene Zonen des Privaten, die Wolfgang Mazal als "Individualbiografie“ ausweist. Einen möglichen neuen Lebensentwurf, der dem entsprechen könnte, entwickelt die Psychoanalytikerin Rotraud Perner. Die größte Gefahr ortet sie darin, dass sich der Einzelne in den beinahe unzählbaren Konflikten der tagtäglichen Konkurrenzgesellschaft und in der Schnelllebigkeit aufreibt. Sie plädiert daher für Langsamkeit und Entschleunigung des Lebens, für "das Leben der Schildkröte“. Ein harter Panzer, dennoch ein weicher Kern; langsamer Gang und die permanente Möglichkeit, sich zurückzuziehen. Damit verbunden empfiehlt die Psychoanalytikerin einen Lebensentwurf der Genügsamkeit. Dabei ist jedoch nach Perner nicht infrage gestellt, dass dieser Bereich auch politisch und wirtschaftlich abgesichert sein muss und so wiederum mit der Frage nach Bestand und Verlässlichkeit von Institutionen unmittelbar verknüpft ist.

Die Metapher vom Leben der Schildkröte hat nach Rotraud A. Perner jedoch nichts mit der Isolation oder Abkapselung des Einzelnen gegenüber der Gesellschaft zu tun. Für die Psychotherapeutin sind Selbstbestimmung und Gemeinschaft wesentliche Elemente für die Gesundheit des Menschen.

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