Die Totengräber des KAPITALISMUS

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Der Essayist Wolf Lotter unternimmt einen Rundumschlag gegen die Feinde der Marktwirtschaft und fordert gleichzeitig radikale Reformen.

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Der Essayist Wolf Lotter unternimmt einen Rundumschlag gegen die Feinde der Marktwirtschaft und fordert gleichzeitig radikale Reformen.

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Wolf Lotter ist einer der führenden Leitartikler Deutschlands. Der in Mürzzuschlag geborene Journalist hat 1999 das Magazin brand eins mitbegründet. Nun hat er mit "Zivilkapitalismus" eine Streitschrift für den Kapitalismus veröffentlicht. Anlass für eine ausführliche Nachfrage.

DIE FURCHE: Sie beginnen Ihr Buch mit einem Zitat von Joseph Schumpeter: Die Richter des Kapitalismus haben "das Todesurteil bereits in der Tasche. Sie werden es fällen ohne Rücksicht auf vorgebrachte Verteidigung." Wer sind denn die Richter in diesem Fall, und wie gehen diese Richter mit jemandem um, der den Kapitalismus so heftig verteidigt, so wie Sie das tun?

Wolf Lotter: Eigentlich war ich erstaunt, wie groß der Widerstand und die Vorurteile sind. Das Problem liegt darin, dass Journalisten normalerweise mit dem Industriekapitalisms alter Prägung verbündet sind oder eine antikapitalistische Attitüde an den Tag legen. Aber was nicht sehr erfreut aufgenommen wird, ist der Vorschlag, sich einmal mit den Grundlagen dessen auseinanderzusetzen, was man ablehnt oder dem man zustimmt. Warum? Weil das Arbeit bedeuten würde, und vielleicht auch die Aufgabe liebgewordener Traditionen.

DIE FURCHE: Ihr Buch trägt den Namen "Zivilkapitalismus". Helmut Schmidt hat 2008 in der "Zeit" die "Zivilisierung des Kapitalismus" gefordert. Diese Zähmung des Systems ist nicht gerade das, was Sie unter "Zivilkapitalismus" verstehen.

Lotter: Definitiv nicht. Ich fürchte, dass Schmidt einen paternalistischen Zugang hat. Er glaubt, die Politik denkt die Ökonomie für den Bürger, und ich glaube, der Bürger muss das selber tun. Zivilkapitalismus setzt bei einem Menschenbild der offenen Gesellschaft an, bei der Emanzipation des Einzelnen. Das Individuum ist in der Lage, sein Leben in die Hand zu nehmen und zu gestalten. Aber dafür müssen wir Ökonomie lernen, sonst bleiben wir abhängige Idioten

DIE FURCHE: Und die Gegner dieses Denkens orten sie links der politischen Mitte?

Lotter: Nicht nur. Grundsätzlich gibt es eine Renaissance der Vorurteile gegenüber dem Kapitalismus. Deshalb habe ich das Buch auch geschrieben. Vorurteile, die vor allem von Sozialwissenschaftern und dem alten linken Establishment ausgehen, das die Stunde der Revanche gekommen sieht, aber auch der Konservativen, die ihre alte Wertewelt wieder installieren wollen. In Deutschland stehen dafür der konservative Publizist Frank Schirrmacher und der linke Verlagserbe Jakob Augstein. Beide sind Gefühlsantikapitalisten, die sich im Kern völlig einig sind. Das wirkt aufs Bildungsbürgertum. Aber der größte Gegner des Kapitalismus und des durch ihn geschaffenen Wohlstands ist eigentlich das Management. Also jene Leute, von denen man glaubt, dass sie die Vertreter des Kapitalismus sind. Das sind seine Totengräber.

DIE FURCHE: Das spielt auf die Unterscheidung an, die auch Schumpeter getroffen hat, in den verwaltenden Manager und den schöpferischen Unternehmer.

Lotter: Schumpeter hat da eine der klügsten und wichtigsten Erkenntnisse in der Analyse des Systems getan. Dass man unterscheidet zwischen Menschen, die ihre Persönlichkeit und Kreativität in das System einbringen, und den Leuten, die Ökonomie verwalten und es nicht befruchten, sondern zu einem quasibeamteten Apparat umstilisieren. Das hat uns bereits in den letzten Jahrhunderten sehr geschadet.

DIE FURCHE: Sie schreiben, der Kapitalismus habe immer wieder von seinen Kritikern gelernt. Demnach müssten auch die Kapitalismuskritiker wichtig für das System sein.

Lotter: Ja, er braucht sie zur Selbstveränderung. Aber er braucht eine Kritik, die in der Lage ist, sich selbst nicht ständig zu wiederholen. Sondern eine Kritik, die bereit ist zu lernen und konstruktiv ist. Ein Beispiel für nicht konstruktive Kritik ist die immer gleiche Phrase über das Diktat des Kapitalismus und die bösen Banken.

DIE FURCHE: Das entspringt aber auch dem Frust der Politik und der Enttäuschung der Bürger über Budget-Sparzwang.

Lotter: Dieser Frust ist verständlich. Aber die Ursache liegt nicht bei der Krise, sondern im System. Es wurde uns sehr lange suggeriert, wir bräuchten uns um nichts zu kümmern, solange wir pünktlich zur Arbeit erscheinen, den Rest erledigen wir von der Politik oder dem Arbeitgeber. Und nun kommen wir drauf, dass wir uns das eigentlich nicht leisten können, weil wir uns zu viele Abhängige geschaffen haben. Und die Leute sind zurecht sauer, dass sie jetzt keine Perspektive serviert bekommen, obwohl man ihnen das versprochen hat. Ich wünschte mir, dass die Leute verstehen, dass sie die einzigen sind, die sich dieses Versprechen tatsächlich geben können.

DIE FURCHE: Die Politik hört das nicht gerne.

Lotter: Ich bin erstaunt dass es sehr viele Poitiker von links und aus der Mitte gibt, die unterstützen, was ich sage.

DIE FURCHE: Und von rechts?

Lotter: Konservative schlafen da eher.

DIE FURCHE: Hat das damit zu tun, dass sich die konservative Politik noch immer in ihrem Sieg über den Kommunismus sonnt?

Lotter: Franz Vranitzky, der ehemalige Bundeskanzler, hat das einmal sehr treffend formuliert, dass nämlich der alte Kapitalismus, das ist also der Industriekapitalismus, nicht gewonnen hat, sondern schlicht übrig geblieben ist. Und das ist ein weises Wort. Und dieses untätige Überbleiben hat die Krise eigentlich noch verschärft, weil Leute, die ohnehin nicht gewohnt waren zu fragen, was eigentlich der Sinn und Zweck ihres Tuns ist, die Hände in den Schoß gelegt haben und gesagt haben, es ist eh alles klar. Jetzt bekommen wir die Rechnung von hinten herum wieder serviert Es fehlt an Wirtschaftsintellektuellen. Das Management ist geistlos, und deshalb leicht angreifbar.

DIE FURCHE: Die Freiheit ist ein zentraler Punkt in Ihrer Argumentation. Sie sagen, Freiheit wird nicht gegeben, oder gewährt, man nimmt sie sich. Auch wer am Tropf von Sozialhilfe hängt, ist nicht unabhängig. Solange ein Mensch materiell abhängig ist, kann er sich das Gerede von der Freiheit an den Hut stecken. Aber nach dieser Definition gibt es gar keine Freiheit. Der Unternehmer, der Manager -alle sind Teile und Abhängige des Systems.

Lotter: Tatsächlich muss sich ein Manager auch genau an die Regeln halten und darf sie nicht brechen, er muss sie einhalten. Der Unternehmer aber bricht die Regeln, das ist der Unterschied. Er schafft sich Freiräume. Darum geht es. Je mehr Wohlstand wir haben, desto mehr wollen wir uns selbst verwirklichen. Das ist nur ein anderer Ausdruck für das, was ich mit Freiraum meine.

DIE FURCHE: Aber sie fordern auch ein Mindesteinkommen und dieses Einkommen müsste ja auch vom Staat bezahlt werden. Was ist der Unterschied zwischen der einen öffentlichen Zuwendung, Sozialhilfe, und der anderen, der Grundversorgung?

Lotter: Die Grundversorgung ist kein Almosen, man kann ohne Gewissensbisse oder gesellschaftliche Stigmatisierung davon leben und sich auf Basis dessen Freiräume schaffen: Für den einen ist das, zu konsumieren, für den anderen, die Welt zu verbessern, für den dritten, ein Unternehmen hochzuziehen und etwas auf die Beine zu stellen. Im Gegensatz dazu hält das derzeitige Sozialsystem, die Bezieher von Hilfsleistungen so sehr an der kurzen Leine, dass sie in die Rolle der Bettler gezwungen werden. Zusätzlich wird ein Verwaltungsapparat aufrecht erhalten, der jetzt schon 40 Prozent der Sozialleistungen kostet. Wozu das?

DIE FURCHE: Sie enden mit dem "neuen Biedermeier", aus dem sich der Einzelne befreien soll. Wie soll das funktionieren?

Lotter: Zunächst geht es um die Frage, was willst du werden, was willst du tun? Ist es sinnvoll, ein eigenes Haus zu haben oder investierst du in deine Bildung? Bist du bereit etwas zu wagen, wenn du deinen Job nicht richtig findest. Das sind simple Dinge, die man entscheiden kann, ohne Ökonomie studiert zu haben. Es geht darum, sich nicht hinzusetzen und ständig Vorurteile zu wiederholen, damit die Welt so aussieht, wie man sie gerne hätte.

"Je mehr Wohlstand wir haben, desto mehr wollen wir uns selbst verwirklichen. Das ist die Suche nach Freiraum."

"Das Individuum muss in der Lage sein, sein Leben in die Hand zu nehmen und zu gestalten. Aber dafür müssen wir Ökonomie lernen. Wenn nicht, bleiben wir abhängige Idioten."

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