"Die Trauer fließen lassen"

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Sabine Reisinger hat 1997 ihre kleine Tochter verloren. Heute begleitet die Lebensberaterin verwaiste Eltern.

Die Furche: Sie sagen, der Tod Ihrer Tochter habe Ihr Leben verändert. Inwiefern?

Sabine Reisinger: Wenn ein Kind stirbt, wird alles anders. Es ist einfach wider die Natur, dass man das eigene Kind überlebt. Das wirft das ganze Werte-Gebäude durcheinander. Wenn man hinter diesem kleinen Sarg hergeht, ist das völlig verrückt: Und man fühlt sich auch ver-rückt.

Die Furche: Wie gehen Sie mit diesem Verlust um?

Reisinger: Man kann diese Wunde nur in die eigene Biographie integrieren. Ich werde immer sagen, dass ich drei Kinder habe, dass aber unsere zweite Tochter gestorben ist. Und ich werde immer zu bestimmten Anlässen traurig sein. Aber das verbiete ich mir nicht. Die Trauer ist ein Teil meines Lebens. Und große Freude gibt es ja nur, wenn man auch die Trauer kennengelernt hat.

Die Furche: Trauern Männer anders als Frauen?

Reisinger: Absolut, gerade wenn ganz junge Kinder sterben: Hier hat die Mutter ein viel intensiveres Verhältnis aufgebaut. Aber auch später flüchten sich Männer oft schnell in den Beruf.

Die Furche: Ihr Credo lautet: Die Trauer fließen lassen. Was bringt Trauer zum Fließen?

Reisinger: Tränen und alle Gefühle, die schwer auszuhalten sind: dass man etwa wütend sein darf, wenn die Freundin ein lebendiges Kind auf die Welt bringt. Man verbietet sich solche Gefühle, aber wenn man sie hinunterschluckt, werden sie schwer bearbeitbar. Ganz wichtig sind auch Trauerriten. Wir basteln immer eine Kerze für die Lisa. Das hält uns zusammen.

Die Furche: Oft scheut man sich, trauernde Menschen anzusprechen. Wie soll man sich verhalten?

Reisinger: Grundsätzlich sollte der Nichttrauernde den ersten Schritt wagen - und muss damit rechnen, abgewiesen zu werden. Es ist aber wichtig, dass es die Möglichkeit gibt, die eigene Betroffenheit zum Thema zu machen.

Das Gespräch führte Doris Helmberger.

Infos: www.viennanet.at/VerwaisteEltern

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