Die unsinnliche politische Korrektheit

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Österreich hinkt in puncto Emanzipation innerhalb der EU deutlich hinterher. Zugleich zelebriert man hier besonders radikale feministische Sprachregelungen. Vor allem der ORF tut sich dabei hervor. - Ein polemischer Einwurf.

Frauen haben es schwer in Österreich. Sie werden schlechter bezahlt und schlechter behandelt als Frauen in anderen Ländern. Ein durchschnittlicher Psychotherapeut hat bis zu sechzig Patienten. Davon sind sechzig bis siebzig Prozent Frauen. Die häufigste Klage dieser Frauen über Männer ist "Missachtung“.

Anders als im alten Österreich gehört im neuen der höfliche, aufmerksame Umgang mit Frauen nicht mehr zum selbstverständlichen Erziehungsprogramm für Buben. Leider lässt sich in Zahlen belegen, dass sich hierzulande die bäuerlich inspirierte Weltanschauung durchgesetzt hat, nach der Mädchen zur beliebigen Verfügungsmasse des Vaters gehören, dessen Selbstverständnis oft in archaische Zeiten zurückreicht. Amstetten ist nur die Spitze des Eisbergs. So verzeichnete das Jahr 2011 einen fünfzigprozentigen Anstieg von angezeigten Vergewaltigungen in Österreich. Die Dunkelziffer liegt indes vielfach höher, insbesondere wenn es sich um Vergewaltigungen innerhalb der Familie handelt.

Die selbstbewusste Frau

Wenn man die Befreiung einer Gesellschaft am Grad der Befreiung der Frau ablesen kann, dann steht Österreich nicht unbedingt an der Spitze. In der Bundesrepublik Deutschland ist die Emanzipation gescheitert, in Österreich hat sie - außerhalb von winzigen avantgardistischen Kulturmilieus in der Hauptstadt - nicht stattgefunden. Die Gründe dafür sind nicht zuletzt historische. So schreibt William M. Johnston in seinem Standardwerk "The Austrian Mind“: "In den Jahren nach 1945 haben die Bundesländer dafür gesorgt, dass alpine Folklore über das Habsburgererbe gestellt wurde.“ Das klingt zunächst harmlos. Wenn man sich jedoch vergegenwärtigt, was es für die Stellung der Frau in der Gesellschaft bedeutet, wenn sich bäuerliche Mentalität flächendeckend gegen bürgerlich-aufklärerische Traditionen (und nicht zuletzt auch die aristokratischen Traditionen der Galanterie) durchsetzt, dann erhält die Analyse des US-amerikanischen Austrologen eine ganz andere Brisanz.

Gibt es etwas Schöneres als eine selbstbewusste Frau? "Die selbstbewusste Frau“, so die Modeschöpferin Coco Chanel, "verwischt den Unterschied zwischen Mann und Frau nicht, sie betont ihn.“ Wenn freilich der Typus des alteuropäischen Gentlemans wegfällt, zu dem gerade Österreich eindrucksvolle Exemplare beigetragen hat, welches Gegenüber soll dann einer Frau überhaupt ermöglichen, sich als Frau zu fühlen - und gar als Dame? Was an der Oberfläche wie ein Verschwinden der Höflichkeit aussieht, ist in Wirklichkeit der Beginn einer anthropologischen Wende: Frauen, die keine Frauen und Männer, die keine Männer mehr sind, wissen nicht, wie sie miteinander umgehen sollen.

Zwar liegt Österreich mit einer Agrarquote von sechs Prozent nur ein Prozent über dem Durchschnitt der westlichen Welt. Bäuerliche Mentalität prägt dieses Land bis heute jedoch ungleich tiefer als die Nachbarstaaten. Eingeschüchtert von archaischen Vätern haben es österreichische Frauen weitaus schwerer, eine weibliche Identität zu entwickeln, zumal die jüngeren österreichischen Männer heute weniger emanzipiert als effeminiert erscheinen. Selten oder nie hat da eine Frau Gelegenheit, als Frau zu sich selbst zu finden.

Mehr und mehr setzt sich in Wissenschaft, Politik und Medien in Österreich zudem ein ideologisch motivierter Jargon durch, mit dem die Frau zur Verfügungsmasse politischer Sprachmanipulation degradiert wird. Dabei tut sich vor allem der ORF hervor, wo eine kleine Gruppe extremer Sprachregler das jeweils gültige Neusprech festlegt, welches die Heerscharen von Sprechern und Moderatoren nachplappern müssen.

Nichts grämt diese anonyme Gruppe so sehr wie die Tatsache, dass man das Binnen-I im Radio nicht sprechen kann. Eines der Ziele ihrer politisch motivierten Sprachmanipulation ist die Abschaffung des generischen Maskulinums: Dass also z. B. "der Fußgänger“ beiderlei Geschlechts sein kann, gefällt den neuen Ideologen nicht; bei ihnen heißt es "die Fußgängerinnen und Fußgänger“. Der ORF-Mitarbeiter von heute sitzt im Kaffeehaus zwischen Kaffeetrinkerinnen und Kaffeetrinkern, wird von Kellnerinnen und Kellnern bedient, lässt sich von Busfahrerinnen und Busfahrern in den Tiergarten chauffieren und bestaunt dort die Löwinnen und Löwen. Der Schlaf der Grammatik produziert Wortmonster. Was ist die Donaudampfschifffahrtsgesellschaft gegen die "Auslandskorrespondenten und -korrespondentinnentagung“? Einige retten sich ins Partizip Präsens und sprechen statt von den "Musikerinnen und Musikern“ lieber von den "Musizierenden“. Das gute alte Wort "Student“ wurde längst aus dem Neusprech-Wörterbuch der neuen Dunkelmänner und Dunkelfrauen gestrichen und darf bei Strafe der Exkommunikation aus der sterilen neuen Wissensgesellschaft nicht mehr verwendet werden.

Puritanische Traditionen

Eine kleine extreme Gruppe versucht, wie in Orwells "1984“ oder Aldous Huxleys "Brave New World“ Sprachregelungen zu implementieren und darüber letztendlich Inhalte zu bestimmen. Wenn aber aus ideologischen Gründen Hauptfunktionen der Grammatik außer Kraft gesetzt werden, dann haben wir es mit einem Versuch zu tun, die Realität gemäß politischer Ideologie zu deformieren.

Doch welche Ideologie ist es, die hinter dem neuen Gender-Terror steckt? Es handelt sich um eine verklemmt-sinnenfeindliche Ideologie, die seit Ende der achtziger Jahre von kleinen pseudoakademischen Gruppen in den USA entwickelt wurde, und die aus den puritanischen Traditionen Neuenglands hervorging. Dahinter steckt die panische Angst der Puritaner vor der weiblichen Sexualität, die jener der Kirchenväter in nichts nachsteht.

Nun kann man sich fragen: Was hat die puritanische Paranoia aus den Vereinigten Staaten mit Österreich und seinen keltisch-katholischen Traditionen zu tun? Wie konnten sich "der Puritaner dumpfe Predigtstuben“ (Schiller) in unsere öffentlich-rechtlichen Medien einnisten? Da ist einmal die hysterische Bereitschaft zur Identifikation mit einem nur in vagen Zügen erkennbaren Aggressor. Zum andern wird die Republik Österreich in dem Maße mit dem künstlichen Femo-Dadaismus beschallt, in dem nach amerikanischem Modell ein natürlicher, charmant-erotischer Umgang der Geschlechter verlorengeht. Es sind die auf dem Markt der Attraktivität Benachteiligten, die ein brennendes Interesse daran haben, den sterilen Gender-Jargon öffentlich und privat durchzusetzen. "Der Puritanismus“, so der englische Filmregisseur Stanley Kubrick, "ist die nagende Furcht, dass irgend jemand irgendwo glücklich sein könnte.“

Der Autor ist freier Publizist und schreibt u. a. für "Spiegel online“ und FAZ

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