Die vielen Dimensionen der Intelligenz

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Intelligenztests gibt es jetzt auch auf CD-ROM. Sie sind mehr als eine vergnügliche Unterhaltung.

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Intelligenztests gibt es jetzt auch auf CD-ROM. Sie sind mehr als eine vergnügliche Unterhaltung.

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Nur Mut - testen Sie sich!" wirbt die Rückseite des Covers über dem Bild eines sichtlich eingeschüchterten Mannes, kombiniert mit der Frage: "Welche Emotion wird durch dieses Gesicht ausgedrückt?" Überraschung, Ratlosigkeit, Verachtung, Freude und Angst stehen zur Auswahl. Auf dem Umschlag heißt es weiter: "Intelligenz- und emotionaler Quotient (EQ) sind für den Menschen, sein tägliches Handeln und seine Beziehungen von größter Bedeutung. Lernen Sie, sich selbst und andere besser einzuschätzen - mit dem multimedialen IQ-Test!" Der besteht aus einer aufwendig gestalteten und benutzerfreundlichen CD-ROM: die Intelligenz des Anwenders wird freundlicherweise nicht gleich bei der Installation des Programms auf die Probe gestellt.

Was diese "Testmaschine" des deutschen Rossipaul-Verlags außerdem noch auszeichnet, ist nicht nur die Einbeziehung moderner Technik, die es auch dem interessierten Laien erlaubt, das Geheimnis um seinen Intelligenzquotienten ein wenig zu lüften - sofern er überhaupt das Bedürfnis danach verspürt -, sondern auch die ansatzweise Berücksichtigung des "EQ", auch "emotionaler Quotient" genannt.

Verdient gemacht um diesen Begriff hat sich vor allem der amerikanische Psychologe Daniel Goleman, dessen ausführliche Studie "Emotional Intelligence" (1995) sich zu einem internationalen Bestseller entwickelte und auch in deutscher Übersetzung bereits die sechste Auflage erlebt. Und das mit gutem Grund. Neben einer erschreckenden Zunahme von Gewaltverbrechen, Selbstmorden und Drogenmißbrauch, in der Goleman eine "Krise in der amerikanischen Zivilisation" diagnostiziert, ist auch "ein Aufschwung in der wissenschaftlichen Erforschung von Emotionen zu verzeichnen". Erstere liefert den Anlaß, letzterer eröffnet neue Möglichkeiten, sich verstärkt dem menschlichen Gefühlsleben zuzuwenden.

Goleman greift dabei zurück auf die Forderung von Aristoteles, der Mensch möge seine Emotionen mit Intelligenz steuern. Wer kennt etwa auch nicht jene mißliebigen Gelegenheiten, bei denen man sich zunächst über irgendeine Kleinigkeit ärgert, die man daraufhin so lange im Geiste dreht und wendet, bis der Zorn auf den Verursacher des Ärgers Dimensionen annimmt, die der Anlaß keinesfalls mehr rechtfertigen kann, und sich eventuell bis zum Wutausbruch steigert, dem letztendlich unweigerlich Scham folgt.

Die Kunst ist nun, diese scheinbare Kausalitätskette, die Goleman "Anatomie der Wut" nennt, möglichst früh zu durchbrechen. "Die Wut ist von allen negativen Emotionen die verführerischste; der selbstgerechte innere Monolog, der sie antreibt, liefert uns die überzeugendsten Argumente dafür, unserer Wut freien Lauf zu lassen. Wut wirkt, anders als die Traurigkeit, anspornend, ja sogar belebend." Sie in einer Katharsis auszuleben, ist aber kontraproduktiv: denn eine aggressive "Entladung" der Wut stachelt diese nur noch mehr an.

Aber wie kann man nun diesem Teufelskreis entkommen? Wie lernt man, seine Gefühle zu beherrschen, ohne sie zu unterdrücken?

Goleman nennt drei wichtige Kriterien, die emotionale Intelligenz ausmachen. Am Anfang steht die Selbst(er)kenntnis. Wer nicht weiß, was er fühlt, kann auch nicht darauf reagieren. Um sich selbst kennenzulernen, wird es unumgänglich sein, sich zu beobachten und zu versuchen, innere Vorgänge bewußt zu erleben. Ganz ähnlich hat ja bereits die Psychoanalyse versucht, unterbewußte Traumata an die Oberfläche des Bewußtseins zu holen, um ihre Verarbeitung zu ermöglichen.

Die Bewußtmachung der eigenen Gefühle ist die Grundvoraussetzung für ihre Beherrschung, im Falle der Wut ermöglicht sie den Versuch, den Dingen eine positivere Deutung zu verleihen, was denn auch meist mit dem Erfolg des Abebbens der negativen Gefühle gekrönt ist, ebenso bei (unbegründeter) Angst oder Traurigkeit.

Ebenfalls wichtig ist das Einfühlungsvermögen, die Empathie, das Erkennen der Gefühle anderer. "Die Grundlage der Empathie ist Selbstwahrnehmung; je offener wir für unsere eigenen Emotionen sind, desto besser können wir die Gefühle anderer deuten", so Goleman.

Gelegenheiten, diese Fähigkeiten möglichst früh auf natürliche Weise zu erwerben, bietet im allgemeinen der soziale Umgang: in der Familie, in der Schule, in der Freizeitgestaltung mit anderen Kindern. Doch beruhen Entwicklungsstörungen meist nicht auf einer angeborenen Schwäche, sondern sind die Folge von Erziehungsfehlern. Es ist wichtig, die Gefühle von Kindern zur Kenntnis zu nehmen und zu respektieren, was jedoch nicht bedeutet, daß alles toleriert werden soll.

Einmal erlernte emotionale Muster können aber noch verändert werden. Temperament muß kein Schicksal sein, denn Gefühle lassen sich schulen. In einer kalifornischen Privatschule hat man etwa das Fach "Self Science" eingeführt. Lehrer und Schüler befassen sich dabei mit dem emotionalen Gefüge des Schullebens, Spannungen und Gefühle der Kinder werden zum Thema des Tages gemacht und diskutiert. Ähnliche Projekte gibt es bereits an mehreren amerikanischen Schulen.

Aber wie kann man emotionale Intelligenz nun testen? Die "Testmaschine" auf CD-ROM hat den Aspekt des Einfühlungsvermögens (wie eingangs beschrieben) herausgegriffen, Selbstkenntnis und -beherrschung bleiben aber unberücksichtigt. Das macht natürlich den EQ-Wert wenig aussagekräftig, bietet jedoch zumindest einen Ansatz und einen Einstieg in die Thematik.Die Fragwürdigkeit des ermittelten Quotienten liegt aber nicht nur an der schwierigen Erfaßbarkeit von emotionaler Intelligenz, sondern ebenso an der allgemeinen Problematik des Testens. Weder in der Wissenschaft noch in der Öffentlichkeit herrscht Einigkeit über das Thema "Intelligenztest".

Ansatzpunkte der Kritik sind vor allem die Möglichkeit des Mißbrauchs sowie die fragliche Aussagekraft. Angeeignete Allgemeinbildung etwa ist nicht notwendigerweise ein Zeichen von Intelligenz, andererseits steht die Lernfähigkeit, die es schließlich erst ermöglicht, Wissensinhalte zu erwerben, durchaus in Zusammenhang mit kognitiver Leistungskraft.

Ein Teil der Debatte drehte sich auch um Kreativität. Ist Kreativität ein Teil der Intelligenz? Und wenn ja, wie will man sie beurteilen? Außerdem gibt es ja auch nicht die Kreativität, sondern Begabungen in verschiedensten Bereichen. Ein begnadeter Dichter kann völlig unmusikalisch sein, oder ein genialer Maler unter Umständen unfähig, seine Phantasie in Sprache umzusetzen.

Man sieht, es gibt eine Reihe von Problemen, die die Wissenschaft bis jetzt kaum ansatzweise gelöst, geschweige denn in die Praxis in Form von adäquaten Tests umgesetzt hat. Doch wird das Dilemma schon viel kleiner, wenn man nicht mehr versucht, einen übergreifenden IQ zu ermitteln, sondern sich bewußt auf die Untersuchung einzelner Fähigkeiten beschränkt und sich auch damit abfindet, daß das Testergebnis nicht auf andere Bereiche ausgedehnt werden kann. Um Mißbrauch und Frustration zu vermeiden, müssen sich Tester wie Getesteter dar-über im klaren sein, was und wie untersucht wird.

Besagte CD-ROM testet etwa neben einem Teilaspekt der emotionalen Intelligenz Allgemeinwissen, Merkfähigkeit, logisches Denken auf verbaler, nonverbaler und numerischer Ebene und räumliches Vorstellungsvermögen. Betrachtet man die Einzelfragen jedoch genauer, so tauchen weitere Probleme auf: die Aufgaben im Bereich der Allgemeinbildung sind so auf Deutschland zugeschnitten, daß Österreicher deutlich schlechtere Chancen haben, gut abzuschneiden, und beim logischen Denken auf verbaler Ebene werden Sachkenntnisse, zum Beispiel in Chemie, mitgeprüft; beides verringert die Signifikanz der Ergebnisse.

Alles in allem ist der Test jedoch eine durchaus empfehlenswerte und vergnügliche Alleinunterhaltung - zum Beispiel eine ernstzunehmende Alternative zum Patiencenlegen - und sicher auch trotz kleiner Mängel ein interessanter und diskreter (die Ergebnisse sind durch ein selbstdefiniertes Paßwort gesichert) Schritt zum "Erkenne dich selbst!".

EMOTIONALE INTELLIGENZ Von Daniel Goleman dtv, München 1997, 423 Seiten, öS 123, INTELLIGENZ IM TEST. WEGE DER PSYCHOLOGISCHEN INTELLIGENZDIAGNOSTIK Von Jürgen Guthke Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1996, IQ-TEST, Rossipaul/TLC Tewi Verlag, München 1997, CD-ROM, öS 255,

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