Die wahlmüde Demokratie setzt auf das Internet

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Für die Wahl ihrer Interessenvertretung können die Studenten ihre Stimme online abgeben. Die Sicherheit des Vorgangs ist strittig, ebenso die Hoffnung auf höhere Wahlbeteiligung.

Wählen auf der Couch, im Zelt oder in der Cafeteria mit Laptop und Bürgerkarte: So einfach, schnell und sicher sollen Studierende im Mai ihre gesetzliche Interessenvertretung, die Hochschülerschaft, wählen. Hintergrund der elektronischen Versuchswahl ist die beunruhigend niedrige Beteiligung bei der Wahl zum Studentenparlament von nur rund 30 Prozent. Die Sieger von 2007 wurden gerade von jedem zehnten Student gewählt.

Die Ideen von mehr Partizipation und kommunikativem Austausch im Rahmen einer "deliberativen" (Jürgen Habermas) oder "starken" Demokratie (Benjamin Barber) fanden ein technisches Pendant im Internet durch Chatrooms, Blogs oder Web 2.0. Als neue Wunderwaffe sollen sie nun gegen politikmüde Studiosi eingesetzt werden und zu einer höheren Wahlbeteiligung durch eine erleichterte, weil orts- und zeitunabhängige Stimmabgabe führen. Doch es sollte skeptisch stimmen, wenn erstmals die politischen Eliten selbst den Grundsatz der allgemeinen Wahl fördern. Gingen derartige Appelle historisch betrachtet doch eher von jenen Teilen der Bevölkerung aus, die vom geltenden Wahlrecht benachteiligt wurden.

Wahlen sind vorerst nur eine Technik, die es ermöglicht, handlungsbefugte Organe zu bilden. Ob eine Wahl auch demokratisch ist, entscheidet sich erst, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind. Eine rückläufige Wahlbeteiligung könnte als sinkende Legitimität des gewählten Organs interpretiert werden. Trotz bisher geringem Zuspruch müssen ÖH-Wahlen aber als demokratische Wahlen ernst genommen werden. Aus dieser Sicht ist der Widerwille mancher Studentenfunktionäre, als Versuchskaninchen für Wahlexperimente herzuhalten, durchaus verständlich.

Die größte Hürde stellt die Wahrung der Sicherheit dar. Anonymität und Wahlgeheimnis müssen bei gleichzeitiger Überprüfung der Wahlberechtigung sichergestellt, Manipulationen des Ergebnisses im Zentralrechner ausgeschlossen werden. Die Suche nach einer Lösung liegt hier bei den Technikern. Den Sicherheitsstandard muss aber die Politik formulieren, die Kontrolle durch die Wahlkommission erfolgen. Eine wesentliche Gefahr liegt in der funktionalen Zentralisierung des Verarbeitungs- und Auszählungsprozesses.

Wahlbetrug untergräbt Vertrauen

Ein groß angelegter Wahlbetrug ist im Internet wesentlich einfacher durchzuführen. Der Vorgang ist weder für die Behörde noch für den Bürger einfach nachzuvollziehen. Daraus könnte ein gefährliches Vertrauensdefizit entstehen, da auch die Nichtnutzer das elektronische System der Stimmabgabe zumindest als Alternative akzeptieren und als sicher einstufen müssen. Die öffentliche Kontrolle wird bei E-Voting aber stark eingeschränkt, da die Überprüfung des Wahlergebnisses ohne Kenntnis der Software nicht möglich ist. Die Politik muss hier einen konsequenten Schritt setzen und sich bewusst sein, dass es bei Manipulationsverdacht statt Nachkontrollen häufiger zu Nachwahlen wird kommen müssen.

Alle technischen Möglichkeiten zur Wahrung des Stimmgeheimnisses können sich aber nur auf jene Teile des Wahlaktes beziehen, bei denen die Stimme an die Behörde übermittelt und ausgewertet wird. Die persönliche Abgabe der Stimme durch den Wähler selbst untersteht bei E-Voting - ähnlich wie bei der Briefwahl - nicht mehr der staatlichen Einflusssphäre und bleibt dem Wähler überlassen. Das geheime und freie Wahlrecht kann so von öffentlicher Seite, etwa durch normierte Wahlzellen, nicht mehr garantiert werden. E-Voting bedeutet daher auch mehr Eigenverantwortung für den Wähler.

Der Mobilisierungsthese durch das Internet blieb bisher der Wahrheitsbeweis verwehrt. Vielmehr hat sich gezeigt, dass politisch interessierte und aktive Personen, ihr Repertoire an Möglichkeiten der Partizipation erweitern. Hingegen gelingt es kaum, politisch passive Bürger zur Beteiligung am politischen Prozess zu motivieren. Auch bei einer so technisch affinen Bevölkerungsgruppe wie Studenten ist kein anderes Ergebnis zu erwarten.

Ursachen für Desinteresse an Wahl

Sinkende Wahlbeteiligung hat vielfältige Gründe: die (Un-)Zufriedenheit der Wähler, fehlendes Bewusstsein und Wissen über die Möglichkeiten als Bürger, die politische Kultur, das Verhalten der politischen Eliten, Reformstau oder Steuerungsverluste des Politischen. Rein technische Erweiterungen der Möglichkeiten zur Stimmabgabe werden bei Missachtung all dieser Faktoren wahrscheinlich nicht den Effekt einer nachhaltigen Erhöhung der Wahlbeteiligung haben. Mehr Bequemlichkeit und Service für den Wähler kann nicht von fehlenden Visionen in der Politik ablenken. So wie Studenten auch durch ein einfaches Click'n'Vote nicht den Sinn ihrer Vertretung erkennen werden. Zur Erhöhung der Wahlbeteiligung werden andere Maßnahmen notwendig sein: unter anderem die Bewusstmachung der Rolle einer ÖH über ihre Serviceleistungen als Skriptenkopierverein hinaus.

* Die Autorin ist Politik- und Rechtswissenschafterin an der Universität Klagenfurt

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