Die Weisen des Rückblicks

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Schon wieder ist etwas passiert, von dem mit der Weisheit des Rückblicks gesegnete Finanzwelt-Erklärer behaupten, sie hätten es schon vorher gewusst, obwohl sie es uns erst heute sagen. Lange wehrte sich die Schweizer Notenbank gegen eine überschießende Aufwertung, indem sie den Kurs zum Euro bei einem Gegenwert von 1,20 Franken fixierte. Als aber der Euro seit vergangenem Sommer gegenüber dem US-Dollar nachgab und die Franken-Nachfrage wieder anstieg, kollabierte diese Strategie. Entgegen allen Ankündigungen erfolgte das Wendemanöver völlig überstürzt. In der sogleich einsetzenden Schockstarre kamen mehr als einen halben Tag lang keine vernünftigen Kurse mehr zustande. Kreditnehmer, die mit ihren Banken vereinbart hatten, bei steigendem Frankenkurs sofort in Euro zu wechseln, mussten feststellen, dass das Sicherungsseil ihres "Stop-Loss-Limits" gerissen und ihre Kreditschuld plötzlich um zwanzig Prozent höher war.

Wie immer, wenn noch nie Dagewesenes passiert, begann tags darauf die Suche nach den Schuldigen: Banken hätten wissen müssen, dass Sicherungsverkäufe in akuten Krisensituationen auch scheitern können, und Kreditnehmer, dass auf solche Instrumente nicht immer Verlass ist. Niemand wollte die schlichte Wahrheit aussprechen, dass die von niemandem erwartete und gänzlich unübliche Vorgangsweise der Schweizer Notenbank dieses Chaos ausgelöst und vermeidbaren Schaden verursacht hatte.

Im Vergleich dazu erscheint die Europäische Zentralbank geradezu als Muster an Transparenz. Mehr als ein halbes Jahr lang kündigte Präsident Draghi die umstrittenen Anleihen-Zukäufe an - so lautstark, dass zuletzt der wichtigste Grund für ihre Umsetzung darin zu liegen schien, den Ankündigungen Taten folgen lassen zu müssen, um nicht an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Das Billionenprogramm löst nun Ängste vor Preisblasen auf den Aktien- und Immobilienmärkten aus. Auch sind seine Wirkungen auf die "Realwirtschaft" und ein Wachstum, das nicht nur auf geldpolitischen Anreizen beruht, umstritten.

Erwünschte Nebenwirkung

Viel wirksamer sollte hingegen der vom niedrigeren Euro-Kurs ausgehende Wachstumsimpuls sein, exportieren doch die Unternehmen der Eurozone nicht weniger als fünfzig Prozent ihrer Erzeugnisse in Nicht-Euro-Staaten. Wenigstens indirekt profitiert damit die Realwirtschaft von einer erwünschten Nebenwirkung der durchaus nicht risikolosen EZB-Aktion. Diese hat aber noch ein anderes, unausgesprochenes Nebenziel: Die Freigabe der Wertpapierkäufe erleichtert die Abwehr unberechenbarer Konsequenzen eines möglichen Scheiterns der kommenden Umschuldungsverhandlungen mit Griechenland. Deshalb wohl wurde sie noch vor den griechischen Wahlen beschlossen.

Mit überraschenden Wirkungsketten und (un)erwünschten Nebenwirkungen werden wir in der nächsten Zeit immer wieder zu rechnen haben. Die Weisen des Rückblicks sagen uns dann im Nachhinein, warum wir sie geahnt haben sollten.

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