Die Welt - ein Sektglas

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Der Countdown zur Erreichung der Millenniumsziele läuft: In zehn Jahren soll die Welt eine andere, eine bessere, eine weniger in Arme und Reiche geteilte sein. Ohne radikale Änderungen in der Entwicklungshilfe, Handels- und Sicherheitspolitik lässt sich dieses Ziel aber nicht erreichen.

Versprochen - gebrochen 1: "Gleneagles könnte sich als größtes PR-Manöver in der G8-Geschichte erweisen", fürchtet der für Afrika zuständige Aids-Beauftragte der Vereinten Nationen, Stephen Lewis. Zwei Monate nach dem Gipfel der acht größten Industrienationen (G8) im schottischen Gleneagles gibt es nämlich Hinweise für eine Umleitung und Reduzierung der mit großem Tamtam zugesagten Afrikahilfe. So hat Japan bereits zugegeben, dass ein Teil des versprochenen Geldes mit höchster Wahrscheinlichkeit für eine Entschuldungsinitiative zugunsten des Irak umgewidmet wird. Deutschland und Italien wiederum hätten signalisiert, dass Budgetprobleme ein Einhalten der Zusagen erschweren könnten. "Bereits beim ersten Test, bei dem sie ihren hehren Absichten unter Beweis stellen sollten, haben sie versagt", kritisiert Lewis am letzten Sonntag im Interview mit einer südafrikanischen Zeitung.

"Keine Mühen scheuen"

Versprochen - gebrochen 2: "Wenn das Bekenntnis zur Zusammenarbeit nicht bekräftigt und durch konkretes Handeln untermauert wird, lassen sich die Millenniumsziele nicht erreichen - und die Millenniums-Erklärung wird als ein weiteres leeres Versprechen in die Geschichte eingehen", heißt es im aktuell veröffentlichten "Bericht über die menschliche Entwicklung 2005". Vor fünf Jahren, getrieben vom Tausender-Sprung und im Drei-Nullen-Hoch, haben sich die Regierungschefs dieser Welt zu der bemerkenswerten Selbstverpflichtung hinreißen lassen, "keine Mühen zu scheuen, um unsere Mitmenschen - Männer, Frauen, Kinder - aus den erbärmlichen und entmenschlichenden Lebensbedingungen der extremen Armut zu befreien". Acht Millenniums-Entwicklungsziele wurden formuliert (siehe Kasten Seite 3), das Jahr 2015 als Zielpunkt festgelegt und? - Ja, und alles ist so weitergegangen wie zuvor.

Diese pessimistische Sicht stimmt nicht ganz: Einige der ärmsten Länder der Welt - darunter Bangladesch, Uganda und Vietnam - haben bewiesen, dass rascher Fortschritt in der Armutsbekämpfung möglich ist. Seit 1990 ist die Lebenserwartung in den Entwicklungsländern um zwei Jahre gestiegen. Es sterben drei Millionen Kinder weniger im Jahr, und 30 Millionen mehr Kinder besuchen die Schule. Über 130 Millionen Menschen sind extremer Armut entronnen und die Wahrscheinlichkeit, dass sie in einer Mehrparteiendemokratie leben, hat auch zugenommen.

Größtes Übel: Ungleichheit

Überschattet werden diese positiven Meldungen jedoch vom generellen Befund, dass die Mehrheit der Länder hinter den Millenniums-Zielvorgaben zurückbleibt, die menschliche Entwicklung in einigen Schlüsselbereichen ins Stocken geraten ist und sich ohnehin vorhandene tiefe Ungleichheiten noch weiter vergrößern. So hat heute jemand, der in Sambia lebt, eine geringere Chance, 30 Jahre alt zu werden, als jemand, der 1840 in England geboren wurde. Und Ländern wie China und Indien, die dabei sind, eine wirtschaftliche Erfolgsstory sondergleichen zu schreiben, gelingt es nicht, den neuen Wohlstand für eine raschere Senkung der Kindersterblichkeit umzusetzen.

Der "Bericht über die menschliche Entwicklung" stellt eindeutig klar, dass die Millenniumsziele finanzierbar sind: Gegenwärtig jedoch fließen für je einen us-Dollar, der für Entwicklungshilfe ausgegeben wird, zehn us-Dollar in die Militärhaushalte. Um 2,6 Milliarden Menschen einen Zugang zu sauberem Wasser zu verschaffen, braucht es in den nächsten zehn Jahren sieben Milliarden us-Dollar - das ist weniger als die Summe, die Europäer für Parfüm oder us-Amerikaner in dieser Zeit für Schönheitsoperationen ausgeben. Wobei diese Investition in sauberes Wasser täglich schätzungsweise 4000 Menschenleben retten könnte.

Aus der Routine ausbrechen

"Die Millenniums-Entwicklungsziele können erreicht werden, aber nur wenn alle Beteiligten aus ihrer Routine ausbrechen und ihre Bemühungen sofort dramatisch beschleunigen und verstärken", fordert der Entwicklungsbericht und zählt die Bereiche auf, wo ein Umdenken und vor allem eine andere Praxis nötig ist:

* Die Entwicklungshilfe krankt an zwei Problemen: chronischer Unterfinanzierung und schlechter Qualität;

* Die Handelspolitik der reichen Länder verweigert weiterhin den armen Ländern einen fairen Anteil am globalen Wohlstand;

* Konflikte zählen zu den größten Entwicklungshindernissen, deswegen ist die Sicherheitspolitik der dritte Pfeiler, der einer Erneuerung bedarf;

Der Kurswechsel in diesen drei Bereichen muss jetzt begonnen werden, der Countdown für die Millenniumsziele läuft. Wird dabei nur gezählt und nicht gehandelt, "wird das Versprechen gegenüber den Armen der Welt nicht eingelöst".

Der UNDP-Bericht 2005 kann über den

UNO-Verlag bestellt werden (e28,90):

Tel: 0049-228-94902-0

bestellung@uno-verlag.de

Über den "Global Fund" zur Aids-Bekämpfung lesen Sie im Dossier.

Champagnereffekt:

Die globale Verteilung des Einkommens ähnelt einem Sektglas. Oben, wo das Glas am breitesten ist, verfügen die reichsten 20 Prozent der Weltbevölkerung über drei Viertel des weltweiten Einkommens. Unten am Stiel, wo das Glas am schmalsten ist, verfügen die ärmsten 40 Prozent über fünf Prozent des Einkommens und die ärmsten 20 Prozent über gerade 1,5 Prozent. (Quelle: undp)

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