"Die Welt geht nicht unter“

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Frauen wollen allen beweisen, mehrere Aufgaben bewältigen zu können. Das ist eine völlige Überforderung. Richtiges Verhalten kann den Folgen der mehrfachen Belastung vorbeugen.

Der Verzicht auf eigene Bedürfnisse und der Glaube, Karriere, Kinder und Haushalt unter einen Hut bringen zu müssen - das sind Risikofaktoren, sagt Lisa Tomaschek-Habrina.

Die Furche: Sind Frauen anfälliger für ein Burnout als Männer?

Lisa Tomaschek-Habrina: Das kann man so nicht sagen, bei uns hält sich bei den Beratungen der Frauen- und Männeranteil die Waage. Aber eines fällt auf: Frauen nehmen früher als Männer eine Beratung in Anspruch. Bei Erschöpfung ist der Frauenanteil tendenziell höher. Und sie zeigen in den einzelnen Ebenen des Burnout unterschiedliche Stressreaktionen.

Die Furche: Wie ist das zu verstehen?

Tomaschek-Habrina: In Stresssituationen ziehen sich Frauen tendenziell eher zurück oder sie machen, was man als "zicken“ versteht - sie haben Stimmungsschwankungen, sind aber bemüht, Haltung zu bewahren. Sie greifen häufiger zu Tabak oder Süßigkeiten, während Männer dann Alkohol und Energy Drinks den Vorzug geben.

Die Furche: Gibt es auf körperlicher Ebene ebenfalls frauenspezifische Reaktionen?

Tomaschek-Habrina: Dazu gehören Erschöpfung, Müdigkeit und Schlafstörungen, Schwindel, Magen-Darm-Probleme sowie Verspannungen im Schulter- und Nackenbereich oder Gewichtsveränderungen. Bei Männern äußern sich die Beschwerden in Form von Unruhe, Kopfschmerzen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Tinnitus.

Die Furche: Der Perfektionismus als Burnout-Falle?

Tomaschek-Habrina: Bis zu einem gewissen Grad: ja. Häufig glauben Frauen, andere würden es ja auch schaffen, alles unter einen Hut zu bringen - obwohl es bei denen an allen Ecken und Enden kracht.

Die Furche: Die Doppel- und Dreifachbelastung durch Job und Kinder plus Haushalt darf man aber auch nicht vergessen?

Tomaschek-Habrina: Das stimmt. Burnout ist ja auch definiert als Erkrankung an Beschäftigung. Und Frauen haben davon mehr als genug: Die durchschnittliche Gesamtbelastung einer Frau liegt bei 71,8 Wochenstunden, jene ihrer Partner bei 48,4 Stunden. Kindererziehung und Haushalt sind meist Frauensache. Teilzeitarbeit hilft wenig, die Belastung zu reduzieren - viele Frauen glauben, dadurch mehr Zeit für Haushalt und Kinder zu haben. Aber in Wahrheit machen sie die gleiche Arbeit wie ihre Kolleginnen, die 40 Stunden angestellt sind - nur für weniger Bezahlung. Sie wollen beweisen, alle drei Rollen - im Job, als Partnerin und Mutter - gut erfüllen können. Diese "Jetzt erst recht“-Mentalität ist extrem belastend.

Die Furche: Welchen Ausweg gibt es?

Tomaschek-Habrina: Wichtig ist, nicht auf die eigenen Bedürfnisse zu verzichten. Dazu gehört, auf Ruhepausen zu achten und eine Pausenkultur einzuführen. Und Prioritäten im Leben zu setzen - seien es der Partner, die Kinder oder der Job. Bewegung ist ebenfalls ein wichtiger Punkt: Mindestens 60 Minuten sollten es pro Tag sein. Das lässt sich in den Alltag einbauen: Treppen steigen, zu Fuß gehen. Auch ein Workout im Büro mit Dehnungsübungen hilft, Stress zu reduzieren. Gleiches gilt für die richtige Ernährung: Dreimal pro Tag etwas Gescheites essen, einmal etwas Warmes, diesen Rat sollte jeder beherzigen. Energetisch wertvolle Nahrung gibt dem Körper die notwendige Energie.

Die Furche: Entspannung ist wahrscheinlich ebenfalls ganz wichtig.

Tomaschek-Habrina: Genau so ist es. Aber leider kennen wir den gesunden Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung kaum mehr, von Entschleunigung gar nicht zu reden. Umso wichtiger ist es, etwa die Fahrzeiten zur Entspannung zu nützen. Da kann man Atem- oder Entspannungsübungen machen oder vor sich hin sinnieren. Es ist wichtig, Körper und Geist regelmäßig runterzufahren - der Körper ist nicht für Dauerstress gemacht. Durch die permanente Ausschüttung der Stresshormone kommt es gleichsam zu einer ständigen Vergiftung, die Körper und Psyche schwächt. Selbst Zellschäden können durch Dauerstress entstehen. Den Computer fährt man ja auch abends runter. Ein weiterer Punkt, wo man ansetzen kann, ist die Psychohygiene. Jede Frau sollte sich regelmäßig fragen: Wo will ich hin? Will ich so leben? Auch soziale Kontakte müssen gepflegt werden. Und zwar aus zwei Gründen: Zum einen regen gelungene Beziehungen die Motivationsebene des Gehirns an. Und zum anderen hilft es, mit dem sozialen Netzwerkpartnern über das, was mich bewegt, zu reden. Jemandem etwas mitzuteilen, heißt im wahrsten Sinn des Wortes auch, etwas mit jemandem zu teilen.

Die Furche: Was ist Ihr Rat an Frauen?

Tomaschek-Habrina: Ich kann auch nur jeder Frau raten, die Warnsignale ihres Körpers ernst zu nehmen, zu dechiffrieren und nicht zu ignorieren. Denn darin sind Frauen "groß“ - sie glauben, dass das System dann, wenn sie nicht mehr "funktionieren“, ins Wanken gerät. Aber ich kann immer nur betonen: Die Welt geht nicht unter - selbst wenn frau aufhört, an alle anderen zu denken, und sich einmal Zeit für sich nimmt.

* Das Gespräch führte Ursula Rischanek

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