Die Welt wieder VERZAUBERN

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Ein Blick auf die westliche Welt des 21. Jahrhunderts, wo Scherben Gutes verheißen, auf Holz geklopft wird, und beim Anblick einer Sternschnuppe ein Wunsch frei wird.

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Ein Blick auf die westliche Welt des 21. Jahrhunderts, wo Scherben Gutes verheißen, auf Holz geklopft wird, und beim Anblick einer Sternschnuppe ein Wunsch frei wird.

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Hand aufs Herz: Schlägt Ihr Herz höher, wenn Sie einem Rauchfangkehrer begegnen? Werden Sie unruhig, wenn Freitag der Dreizehnte ist oder Sie Schluckauf haben?" Eva Kreissl, Kuratorin im Grazer Volkskundemuseum, antwortet auf die Frage nach der aktuellen Bedeutung von Aberglaube gern mit Gegenfragen. Aberglaube sei überall - vor allem an Schnittstellen zu Lebensübergängen wie Hochzeit, Geburt und Tod würde Versatzstücken einer magischen Vergangenheit gern Platz im Alltagsleben eingeräumt. Wie sehr Aberwissen auch heute noch zugegen ist, zeigt das Beispiel der sprichwörtlich schwarzen Katze. Das heute die Haustiercharts anführende Pelztier gelangte vor allem im Mittelalter zu doppeldeutiger Berühmtheit. So wurden schwarze Katzen zwar dem Teufel zugeschrieben, galten aber zugleich als Glücksund Schutztiere. Diese Annahme erklärt auch, warum vor knapp hundert Jahren bei Reparaturarbeiten des im 14. Jahrhundert errichteten steirischen Schlosses Laubegg eine mumifizierte Katze ans Licht kam: Zu Schutzzwecken wurde das Tier beim Bau des Schlosses eingemauert. "Bauopfer" wie diese sind so alt wie die Menschheit selbst. Sollten in der Frühzeit Menschenopfer Natur und Geisterwelt gütig stimmen, so wurden im mittelalterlichen Europa Tiere, Pflanzen oder Gegenstände dargebracht, um dämonische Kräfte abzuwehren. Als besonders vielversprechend in Sachen Schutzzauber galten schwarze Hähne oder Katzen: Sollte der Teufel auf sie treffen, würde er sich quasi selbst begegnen; Gleiches würde mit Gleichem unschädlich gemacht werden.

Die Kraft des Gegenteils

Schauplatzwechsel, siebenhundert Jahre und vermutlich etliche eingemauerte Miezekatzen später. Im Grazer Schauspielhaus werden kurz vor Premierenbeginn letzte Anweisungen gegeben. Während Maskenbildner die Bühnenprotagonisten nachschminken, nimmt der sichtlich nervöse Laienchor Anweisungen des musikalischen Leiters entgegen. Doch statt den Schauspiel-Debütanten Text und Metrum einzubläuen, erklärt der Dirigent zehn Minuten vor Publikums-Einlass seelenruhig das Protokoll des gegenseitigen Glückwünschens. "und keinesfalls dürft ihr auf den Wunsch 'toi, toi, toi' mit 'Danke' antworten!" Anekdoten wie diese scheinen zwar skurril, rufen aber Mittelalterforscher wie Wernfried Hofmeister auf den Plan. Für den Grazer Germanisten, der bereits seit Studientagen Beschwörungstexte, Zaubersprüche und Segen aller Art erforscht und die gegenwärtige Alltagssprache hin auf ihre Versatzstücke aus dem Bereich der Magie untersucht, ist klar: Wer "toi, toi, toi" sagt, tut mehr, als nur Gutes zu erbeten. Das dreimalige Aussprechen der ersten Silbe des Wortes "Teufel" nämlich binde gerade die Macht des Letzteren und wehre gleichsam das größte aller Übel ab.

Bannungszauber wie die genannten kannte auch die Medizin zuhauf. Während im Alltag der Teufel zu bannen versucht wurde, geschah dies in der Volksmedizin mit der Austreibung des für sämtliche Krankheiten verantwortlich gemachten "Wurmes". Da man nicht alle körperlichen Leiden kannte, geschweige denn benennen konnte, wurde der "Wurm" gleichsam als Begriffskrücke für jegliches sichtbare und unsichtbare Leiden angesprochen. Und so war die Rede vom Kopfwurm, der den Schädel pochen ließ, oder vom Zahnwurm, dem die Verursachung ziehenden Kieferschmerzes angelastet wurde.

Um bei der Beschwörung nur ja keine Schmerzursache auszulassen, wurde der Wurm oft auch noch koloriert: "Er kann gelb oder rot oder schwarz sein, groß oder klein, alt oder jung". In den ältesten dieser "Wurmwendungen" war sogar vom "Wurmvater und den Kindern die Rede", weiß Mittelalter-Experte Wernfried Hofmeister, der darin den Versuch sieht, "die Pluralität zu umschreiben, mit der man das Unfassbare fassen wollte". Und wie so oft bei magischen Wendungen, lebt auch der Wurm bis heute fort: im Ohrwurm, der, wenngleich auch nicht gesundheitsschädlich, einen mitunter an den Rand des Wahnsinns treiben kann.

"Summ, summ, summ ..."

Das Aussprechen so genannter Vexierformeln wie etwa im Falle des Wunsches "Halsund Beinbruch", ist seit Jahrhunderten im Volksglauben verankert. Und selbst die Kirche wollte sich dem im Alltag angewandten Aberglauben nicht völlig entziehen. Gemäß dem Motto "Wo kein Nutzen, da kein Schaden" blieben Versatzstücke mittelalterlicher Beschwörungstexte auch in christlichen Segenstexten erhalten. Im aus dem 9. Jahrhundert erhaltenen "Lorschen Bienensegen" wünscht man den emsigen Honigmachern allseits gutes Ausschwärmen und eine gute Heimkehr. Und weil neben dem Volk auch der Klerus Honig liebte und zudem Bienenwachs zur Kerzenproduktion benötigte, trug die katholische Kirche lange Zeit sogar aktiv zum Bienenzauber bei. Von Mönchen kopiert, gelangte die entsprechende Zauberformel bis in die Gegenwart, wo sie bis heute wirkt: "Summ, summ, summ, Bienchen summ herum" sei ein klares Überbleibsel der einst so bedeutsamen Beschwörungsformel, weiß Mediävist Hofmeister.

Wenig überraschend also, dass sich gerade Lehrstätten des christlichen Glaubens als gut bestückte Fundstätten magischer Beigaben erwiesen haben. Eine nicht zu vernachlässigende Anzahl an Leihgaben für die gegenwärtige "Aberglauben - Aberwissen"-Ausstellung im Grazer Volkskundemuseum stammt laut Kuratorin Eva Kreissl aus dem Besitz des in der Obersteiermark gelegenen Benediktinerstifts St. Lambrecht. Die Ausstellung, die laut derzeitigem Evaluierungsstand eine der bestbesuchten zu werden scheint, erfreut sich großer Beliebtheit unter Besuchern aller Altersgruppen. Vermutlich gerade deshalb, weil Aberwissen und Aberglaube hartnäckig bis in die Gegenwart wirkt.

Wie abergläubisch man selbst noch ist, kann im Grazer Volkskundemuseum an der letzten Ausstellungs-Station überprüft werden (siehe Kasten Seite 5). Das Ergebnis, so die Kuratorin, werde peinlich genau dokumentiert und liefere so einen zuverlässigen Zustandsbericht über den Aberglauben im Alltag des 21. Jahrhunderts.

"Ein Großteil abergläubischen Denkens spielt sich nicht im dinglichen Bereich ab, sondern in einer Welt der Zeichen und Regeln", ergänzt Kreissl. Und gerade das scheint auch der Grund dafür zu sein, dass nicht nur "Zaubersprüche" in Form von Sprichwörtern die Zeiten überdauert haben, sondern auch stark ritualisierte Handlungen im Alltag. Warum nicht die Flammen des Ofenfeuers mit einem Palmkätzchen des am letzten Palmsonntag geweihten "Palmbuschen" nähren, wenn erntevernichtendes Unwetter aufzuziehen droht?

Wiederbelebung des "Wetterläutens"

Gerade im ländlichen Bereich wird die Vermischung von Aber-und Dogmenglauben auch heute noch offenkundig. Sogar bereits verschwunden geglaubte "Wenndann-Konstruktionen" haben, in abgeänderter Form, erneut Eingang in den Alltag der Volksfrömmigkeit gefunden. Das gemeinhin als "Wetterläuten" bekannte Läuten der Kirchturmglocken etwa wird heute wieder vielerorts als wirksamer Schutz gegen drohende Unwetter und Hagel angewendet. Als dieser "Brauch" im Zuge der Aufklärung untersagt worden war, fertigte man im 18. und 19. Jahrhundert zum Ersatz kleine Schutzglöckchen aus Materialen wie Elfenbein oder Silber an, um sie in Gewitternächten zum Gebet neben eine zu Schutzzwecken entzündete Wetterkerze zu legen.

Liebe, Tod und Teufel

Die nachweislich ältesten Zauberformeln gehen -wie könnte es auch anders sein - auf das Konto der schönsten Sache der Welt. Wem das ersehnte Herz nicht zuflog, der konnte mittels Zauberhandlungen und -sprüchen nachhelfen. Und gleich im nächsten Schritt erflehte man Potenz: Das so genannte "Marderboandl", bestehend aus dem Penis-Knochen des heimischen Marders, verhieß gesteigerte Manneskraft und wurde noch im 19. Jahrhundert um den Hals getragen oder als Pulver geschluckt. Hatte man Jahrhunderte zuvor noch versucht, die Ausdünstungen der geliebten Person einzufangen, sprich: Schmutzwasser getrunken, in welchem die Unterwäsche der angebeteten Person ausgekocht worden war, fällt gegenwärtiger Liebenszauber heute nicht nur appetitlicher aus, sondern meist auch unbewusster. Wohl die wenigsten Verliebten sind sich darüber im Klaren, dass sie im Sinne mittelalterlicher Namensmagie handeln, wenn sie mit Initialen versehene Vorhängeschlösser an Brückengeländern anbringen, um die gemeinsam zelebrierte Liebe zu besiegeln.

Ob's nützt oder nicht, ist laut Aberglauben-Kuratorin Eva Kreissl zweitrangig: "Egal, ob es stimmt oder nicht - abergläubische Grundsätze verleihen Gelassenheit." Und die scheint mindestens genauso wichtig wie ein in Erfüllung gegangener Wunsch.

Aberglauben - Aberwissen. Welt ohne Zufall

Die Ausstellung im Grazer Volkskundemuseum ist noch bis 30. November 2014 geöffnet.

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