Die Weltpolitik und ihr Neues Serail

Werbung
Werbung
Werbung

Der Palast ist ein wunderbares Haus. Er ist nicht nur eine Residenz für seinen Erbauer, sondern er repräsentiert auch dessen Anspruch an das Leben. Er sagt also manchmal mehr über seinen Herren aus, als diesem lieb ist. Ein Stein und Beton gewordenes unfreiwilliges Selbstportrait der Imperatoren-Seele. Nun behaupten manche, dass Menschen, die großen Wert auf ihr Äußeres legen, ebenso große Probleme mit ihren innern Werten haben, und umgekehrt der Bescheidene nicht prunken muss, um groß zu erscheinen. Der größte römische Kaiser, Augustus, hat beispielsweise in einem einfachen Haus am Palatin in Rom residiert. Der von Größenwahn geplagte Nero hingegen ließ sich zu Ehren eine 600 Zimmer umfassende Bleibe, das "goldene Haus" auf einem 100 Hektar-Grundstück errichten und empfand es als Beitrag, um "endlich menschlich zu wohnen".

Aber lassen sich solche Unterschiede gepflegt in die Gegenwart übersetzen? Muss es beispielsweise etwas bedeuten, wenn der neue Palast des Präsidenten der Republik Türkei geradeso aussieht, wie der Topkapi-Serail der Sultane des osmanischen Reiches in Istanbul? Dort fanden ein mindestens 5000-köpfiger Hofstaat in vier hintereinander gereihten Palästen samt Nebengebäuden, Pavillons und Kiosken Platz, nicht zu vergessen ein Harem mit 2000 Sklavinnen und die Privatgemächern des Sultans.

Es steht ein Palast in Ankara

Das neue Serail der Türkei steht in Ankara, heißt "weißer Palast" und hat 280 Millionen Euro gekostet, was dem Bauherrn Erdogan angesichts einer überbauten Fläche von fünf Fußballfeldern als "der Türkei angemessen" erscheint. Und sollte es nun noch Fragen geben, ob das neue Bauwerk in seldschukisch-osmanischem Stil nun dem Konzept Augustus oder dem Konzept Nero näher steht, dann lohnt der Vergleich mit dem Amtssitz des Staatsgründers Atatürk: Ein schlichter demonstrativ bescheidener Bau von Clemens Holzmeister.

Das neue Serail befindet sich so gesehen auch in Übereinstimmung mit dem Palast eines anderen Herrschers. Wladimir Putin ließ sich an Russlands Schwarzmeerküste bei Krasnodar einen Palast um eine geschätzte Milliarde Dollar erbauen, der in seinen barocken Formen großbrüderliche Anleihen am Winterpalast Peters des Großen nimmt. Wobei das Gebäude offenbar zum Privatgaudium entstand und für 350 Millionen verscherbelt wurde, als die Affäre ruchbar wurde.

Nun stellt sich immer mehr heraus, dass die beiden Erbauer mehr eint als bloß der Hang zum Pompösen, und dass diese strategische Partnerschaft gerade 2015 der übrigen Staatengemeinschaft einiges aufzulösen geben wird. Denn was die Sanktionen des Westens gegen die Ukrainepolitik Russlands betrifft, hat sich die Türkei taktisch äußerst vorteilhaft mit Moskau ins Einvernehmen gesetzt. Ein neues Energieabkommen wird die Öl-und Gasimporte der Türkei bis 2020 verdoppeln, das Warenembargo der Europäer hat die Türkei nicht mitgetragen und die Chance genutzt, die EU-Ausfälle zu ersetzen. Laut Angaben der Handelskammer in Istanbul war damit eine Steigerung der Exporte nach Russland um 25 Prozent verbunden. Bis 2016 hoffen die Nahrungsmittelerzeuger, das Exportvolumen von 1,2 Milliarden Dollar auf vier Milliarden zu heben. Generell soll das Handelsvolumen mit Russland von 33 auf 100 Milliarden Dollar erhöht werden.

Aber nicht nur was die Sanktionen im Rahmen der Ukraine-Krise betrifft, entfernt sich die Türkei immer mehr von der Europäischen Perspektive. Auch um das Verhältnis des Landes zu den engsten Verbündeten, den USA und der NATO, steht es schlecht. Die Vereinigten Staaten hatten zuletzt im November erfolglos versucht, die Türkei enger in den Kampf gegen den Islamischen Staat in Syrien und im Irak einzubinden. Erdogan wies das strikt zurück und zwar nicht nur hinter verschlossenen Türen. Das Engagement der USA sei eine "Gewissensshow", redete sich der Staatschef seinen Groll öffentlich von der Seele. Es gehe dem Westen bloß um Öl. Vor allem der sonst für NATO-Einsätze genutzte Militärstützpunkt Incirlik darf weiterhin nicht für Luftschläge der Alliierten gegen die IS genutzt werden. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg maßregelte Ankara im Dezember öffentlich für die Nichtteilnahme an den EU-Sanktionen gegen Moskau, nachdem Ankara erklärt hatte, an Sanktionen grundsätzlich nicht teilzunehmen. Doch sein Appell blieb ungehört.

Eurasien als neue Vision

Die EU-Beitrittsperspektive der Türkei, die zuletzt ohnehin immer wieder in Frage stand, scheint nun noch mehr Richtung Illusion gerückt. Dazu passt auch, dass Ankara seine wirtschaftliche Zukunft in einem anderen Rahmen zu suchen scheint: In der Shanghai Cooperation Organisation, eine von Russland und China geführte Handelsinitiative, welche den Autokratien Zentralasiens eine Perspektive geben sollte, ähnlich der "Eurasischen Union" Russlands. Oder wie es Erdogan in seiner unverblümten Manier gegenüber Wladimir Putin formulierte: "Nehmt uns in die Shanghai-Kooperative auf, und wir sagen Europa ade!"

Dass demokratische Rechte und freie Meinungsäußerung im Rahmen der SCO wenig bis keine Rolle spielen, kommt den aktuellen Entwicklungen in der Türkei sehr entgegen. Denn während der Staatschef jüngst meinte: "Die Türkei hat die freieste Presse der Welt", gab es erst Mitte Dezember eine Verhaftungswelle gegen kritische Journalisten. 30 Journalisten, die dem Prediger und Erdogan-Kritiker Fetullah Gülen nahestehen, wurden unter dem Verdacht der "Verschwörung" verhaftet. 16 dieser Journalisten, darunter auch der Chefredakteur der Zeitung Zaman, sollen nun wegen "Terrorverdacht" angeklagt werden.

Gegen den in den USA im Exil lebenden Gülen wurde ein Haftbefehl wegen umstürzlerischer Umtriebe erlassen. Er habe Polizei und Justiz mit seinen Organisationen, etwa der Hizmet-Bewegung, unterwandert.

Die Politik der neuen Paläste

Dagegen verliefen die gegen Erdogans engsten Kreis angestrengten Korruptionsermittlungen auffällig schnell und ganz ohne Aufsehen im Sand.

Wollte man das alles nun wieder auf eine Palastparabel zurückführen, man könnte sagen, dass sich die türkische Politik ganz und gar palastähnlich gestaltet und die Zeiten, in denen solche Bauwerke in Museen oder gar Parlamente verwandelt wurden, vorbei sind. Der Haken am Palastsystem freilich ist, dass im politischen Geschick zwischen dem bescheidenen und dem prunkbedachten Herrscher oft Welten lagen. Aber das wird der Schnee vor den Palästen von morgen sein, egal ob sie in Krasnodar oder in Ankara stehen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung