"Die Wirtschaft ist der Lebensnerv"

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Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl im Furche-Gespräch über neue Wege der Entwicklungszusammenarbeit, amerikanische Sichtweisen und was in Sachen Umweltschutz getan werden könnte.

Die Furche: Was war für Sie einer der wichtigsten Punkte, der bei den Alpbacher Reformgesprächen angesprochen wurde?

Christoph Leitl: Am Beginn wurde ganz klar die Frage aufgeworfen: "Europa, wo ist dein Platz in Zukunft?" Wenn künftig die Rede sein wird von China, Indien und den USA, und Europa im Kreis der wichtigsten Wirtschaftsmächte nicht mehr mitspielt, dann sollte uns das zu denken geben.

Die Furche: Das klingt nach mehr EU und weniger Nationalstaat. Auch bei der Entwicklungszusammenarbeit muten die nationalstaatlichen Strukturen - jede für sich genommen - klein an, auch in diesem Bereich müsste es wohl ein größeres Ganzes geben …

Leitl: Es ist eine meiner wesentlichsten Philosophien, dass Europa nicht ein Luxus ist, den wir uns leisten sollen, sondern es ist unsere Lebensversicherungspolizze. Das ist bei den Reformgesprächen bestätigt worden. Wir werden auf der Bühne der Weltwirtschaft nicht mehr mitspielen, wenn Europa nicht vernünftig organisiert wird. Die Herausforderungen der Globalisierung kann nur Europa beantworten und nicht Deutschland, Frankreich, Luxemburg oder Österreich alleine.

Die Furche: Es geht bei der Diskussion über die Entwicklungszusammenarbeit immer darum, dass zu wenig Mittel aufgewendet werden. Derzeit wächst die Wirtschaft - vielleicht boomt sie sogar -, wäre es nun an der Zeit, mehr Geld in die Töpfe der Entwicklungszusammenarbeit fließen zu lassen?

Leitl: Welcher Boom? Wir haben drei Prozent Wachstum. Ich habe vor Kurzem einem Chart entnommen, dass der Kongo sechs Prozent hat, also das Doppelte.

Die Furche: Zu beurteilen ob dies gut oder schlecht ist, hängt aber sehr stark vom Ausgangswert ab.

Leitl: Das ist schon klar, aber die Dynamik ist da. Faktum ist, dass wir derzeit ein vernünftiges Wirtschaftswachstum haben, das nicht zur Euphorie verleiten soll. Diese Situation versetzt uns in die Lage, innerhalb von zwei Jahren 100.000 neue Jobs netto zu schaffen. Und unseren öffentlichen Stellen so viel zusätzliches Geld von Seiten der Wirtschaft zur Verfügung zu stellen, wie das noch nie der Fall war.

Die Furche: Und wäre deshalb jetzt nicht auch die richtige Zeit, um mehr Geld in die Entwicklungszusammenarbeit zu stecken?

Leitl: Woher das zusätzliche Geld kommen soll, wird sich herausstellen, wenn die Mittel der Entwicklungszusammenarbeit bis zum Jahr 2012 von 1,2 auf 2,4 Milliarden Euro verdoppelt werden. Es ist aber klar, dass es Wirtschaftsgeld sein wird. Die Deutschen zum Beispiel entwickeln Projekte gemeinsam mit den Entwicklungsländern. Mit den Mitteln der Entwicklungszuammenarbeit werden dann die Prioritäten festgelegt und wird die Umsetzung geplant. Bei der Durchführung der Programme vor Ort engagieren sich dann auch deutsche Unternehmen.

Die Furche: Ab Jänner 2008 soll eine Entwicklungsbank als Tochter der Österreichischen Kontrollbank (OeKB) ihre Arbeit aufnehmen. Warum muss dafür eine eigene Bank gegründet werden, diese Agenden könnte doch auch die OeKB übernehmen?

Leitl: Das ist formalrechtlich nicht möglich und auch nicht sinnvoll, weil die OeKB andere Geschäftsgrundprinzipien hat als so eine Entwicklungsbank. Diese neue Bank soll mit vier bis fünf Mitarbeitern auskommen, weil sie auf die Expertise von der OeKB, der AWS, der Außenwirtschaftsorganisation der Wirtschaftskammer und den Kommerzbanken zurückgreifen kann. Diese neue Bank ist eher eine Koordinations- und Clearingstelle, aber formalrechtlich ist es richtig, ein eigenständiges Institut zu etablieren.

Die Furche: Finanzstaatssekretär Matznetter hat zu Beginn der Alpbacher Reformgespräche gesagt, dass im Bereich der EZA die Entschuldungsprogramme noch nie so hoch waren wie in den letzten beiden Jahren. Ist das der richtige Weg?

Leitl: Wenn wir nur Schulden erlassen, dann wird jener, der viele Schulden macht, auch noch belohnt. Daher gefällt mir der Weg besser, dass man sagt, was braucht ein Land, um sich selbst in eine Position zu versetzen, sich eigenständig besser helfen zu können. Also nicht Fische schenken, sondern Angeln, damit man sich selber Fische fangen kann. Daher wird es immer ein Kontinuum geben, aber ich behaupte, wenn über zwei Drittel der EZA-Mittel für Schulden- und Zinserlässe verwendet werden und nur ein Drittel für Projekte, dann gehört das Verhältnis umgedreht. Wenn ein armes Land nicht mehr weiter kann, bin ich auch für Schuldenerlass, aber ich bin genauso dafür, dass wir den Großteil der Mittel der Entwicklungszusammenarbeit zur Hilfe für die Entwicklung eines Landes verwenden und nicht für die Tilgung alter Darlehen.

Die Furche: Franz Fischler stellte bei den Reformgesprächen die Idee einer Flugticketgebühr vor, die sich am französischen Modell orientieren soll. Die Einnahmen sollen in Klimaschutzmaßnahmen fließen. Was halten Sie davon?

Leitl: Schauen Sie, jeder denkt darüber nach, wie er die Betriebe und den Konsumenten melken kann. Wir haben in Österreich auf Bundes- und Landesebene Zuschläge für erneuerbare Energie und für Umwelttechnologie, die mit den Steuern ein Drittel des Energiepreises bei Strom ausmachen. Und bei den fossilen Energien ist es nicht viel anders. Die EU hat ein interessant klingendes Ziel und zwar, bis 2020 zwanzig Prozent weniger Energie zu verbrauchen. Ich nehme an, wenn sie dieses Ziel hat, dann hat sie auch schon einen Maßnahmen- und Controllingplan. Somit müssen wir in Österreich doch jetzt nicht darüber nachdenken, was wir noch zahlen sollen. Es stellt sich auch immer die Frage, ob es ein schlüssiges Konzept gibt, und was damit bewirkt wird. Und vor allem was passiert mit Ländern wie Österreich, die in der Rangliste der Energieeffizienz an zweiter Stelle in Europa liegen und bei den Beiträgen zum Umweltschutz an erster Stelle. Was passiert mit diesen Staaten, müssen die genauso viel zahlen. Mir fehlt eine Gesamtstrategie.

Die Furche: Sie sind also klar, gegen so eine Abgabe?

Leitl: Österreich muss ohnehin mit den CO2-Zertifikaten zu Rande kommen, und die Wirtschaftskammer hat sehr viele Vorschläge gemacht, was man für den Umweltschutz tun könnte. Denken Sie an die thermische Sanierungsquote bei Altbauten (Häuser, die zwischen 1945 und 1970 gebaut wurden; Anm.), die man von ein auf fünf Prozent erhöhen könnte, und zwar im Rahmen der bestehenden Wohnbauförderung. Ein weiterer Vorschlag ist, bei energiesparenden Maßnahmen mit Contracting-Modellen zu arbeiten, das heißt, dass sich die getätigten Investitionen mit den Einsparungen von selbst zahlen, und vielleicht die öffentliche Hand nur eine Zinsstützung vornimmt, und sich dadurch Milliarden Euro an Pönalzahlungen ab 2012 erspart (Kiotoziele; Anm.).

Die Furche: Was bedeutet es, wenn wir sehen, dass die Doha-Runde stockt, und es jetzt wieder mehr in Richtung Bilateralismus geht?

Leitl: Mir sind multilaterale Lösungen lieber, weil sie allgemeine Spielregeln sind, die für alle gelten. Wenn jetzt verstärkt auf bilaterale Abkommen gesetzt wird, dann wird es so sein, dass die USA auf der wissenschaftlichen, rüstungsmäßigen und politischen Bühne mehr oder minder dominieren werden, und ein in sich uneiniges Europa nichts dagegenzusetzen hat. Daher bin ich ganz eindeutig für allgemeine Spielregeln. Die Amerikaner haben natürlich den Braten gerochen, der ihnen auf bilateralem Weg einen größeren Anteil vom Kuchen sichert.

Die Furche: Kein Wunder, wenn man sich Supermacht nennen kann …

Leitl: Die Amerikaner denken in der Politik sehr wirtschaftlich, denn sie betrachten Politik und Wirtschaft als ein Ganzes. Das heißt, dort wird sofort, wenn militärisch ein Land unterstützt wird, die wirtschaftliche Gegenrechnung aufgestellt. Wir sehen das vor unserer Haustür, das ist nicht in Indonesien, das ist bei uns in Slowenien, Kroatien usw., das ist überall spürbar.

Die Furche: Sollen die Europäer also amerikanischer werden?

Leitl: Wir müssen uns dessen bewusst sein, dass wir uns damit nicht spielen dürfen. Die Überlegung, dass die Politik souverän ist, und die Wirtschaft machen soll, was sie will, weil sie notwendig, aber nicht beliebt ist. Das wird in Zukunft nicht mehr möglich sein. Die Wirtschaft ist der zentrale Lebensnerv. Ich will nicht sagen, dass die Wirtschaft alles ist, aber wenn der Lebensnerv nicht funktioniert, werden wir nichts Soziales, Ökologisches, Kulturelles, Lebensstandarderhöhendes und Zukunftsorientiertes mehr haben.

Die Furche: Auch bei den Verhandlungen über die Economic Partnership Agreements zwischen der EU und den AKP-Staaten geht es um den Lebensnerv Wirtschaft. Wo werden hier die Gewinner und Verlierer zu suchen sein?

Leitl: Bei allen Entwicklungen muss man den Saldo betrachten, es gibt immer Bereiche, wo es schwieriger wird und wo es leichter geht. Die EU hat in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten bewiesen, dass sie als einzige staatliche Organisation nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit geleistet hat. Die EU leistet mehr als die Hälfte aller EZA-Leistungen weltweit und mit dem Lomé-Abkommen (später durch das Cotonou-Abkommen ersetzt; Anm.) ist es gelungen, den ärmsten Ländern der Welt für ihre Waren den Zugang zum EU-Markt zu öffnen, und dies mit Preisuntergrenzen, damit die Schwankungen am Weltmarkt nicht so durchschlagen. Wir sollten das fortsetzen, darum bin ich dafür, dass wir eine vernünftige multilaterale WTO-konforme Regelung zustande bekommen. Dort, wo diese Länder gegenüber dem Ist-Zustand benachteiligt werden, muss man Lösungen finden wie Übergangsfristen und Einschleifregelungen. Was die AKP-Staaten per Saldo verlieren, könnte die EU als Ausgleich verstärkt in Projekte der Entwicklungszusammenarbeit stecken.

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