Die Würde des Menschen

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Arbeit gibt dem Leben Sinn und Würde. Entgeltliche Arbeit sichert die Existenz und finanziert den Sozialstaat. Genau das und nicht weniger steht in der gegenwärtigen Krise des Kapitalismus auf dem Spiel.

Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie. Diese Weisheit pflegt Bundespräsident Heinz Fischer gelegentlich jüngeren Semestern mit auf den Weg zu geben. Und wir haben den Eindruck, insbesondere die nächste Woche anzugelobende Bundesregierung könnte noch mehr davon, nämlich an Theorie, gut gebrauchen.

Werner Faymann und Josef Pröll setzen dieser Tage mit einer neuen Bescheidenheit ihre Regierung in Szene und dann ins Amt. Das mag man als angenehm und passend pragmatisch betrachten. Für die beiden - und manch andere - häuft sich jedenfalls die Arbeit, die anderen auszugehen droht. Darin liegt ein Problem.

Arbeit und Lohn als soziale Frage

Tatsächlich werfen negative Wirtschaftsdaten und düstere Prognosen ein schauerliches Bild der nächsten Jahre an die Wand. Nicht nur weniger Wachstum, nein, Rezession ist zu erwarten. Nicht mehr an Beschäftigung dank neuer Ideen und Innovation ist zu erhoffen, nein, die Arbeitslosigkeit werde steigen. Wir stehen nicht vor einer Gründer- sondern vor einer Pleitenwelle. Wer noch Aufträge oder Arbeit hat, wird weniger an Geldeswert dafür erhalten.

Schon weniger schlechte Nachrichten ließen Lage und Stimmung in eine krisenhafte Verfassung schlittern. Dort stehen wir jetzt.

Das ist noch kein Grund zur Panik. Aber es ist eine Anhäufung guter Argumente, über das Wirtschaftssystem und über die Arbeit nachzudenken. Denn Arbeit als Tätigkeit stiftet Sinn und soziale Beziehungen, entgeltliche Arbeit sichert die Existenz und finanziert den Sozialstaat. Das alles wird in seiner feinen Ausgewogenheit und Komplexität gefährdet, gelingt es nicht, die gegenwärtige flächendeckende Wirtschaftskrise und damit einige Konstruktionsfehler des Kapitalismus zu beheben. Wofür es übrigens einiges an Theorie bräuchte, die in die Praxis einzufließen hätte. Gemeint sind Klarheit über Wert und Würde des Menschen sowie Festigkeit in der politischen Absicht, diese Prinzipien durchzusetzen. Kraftspendende Quellen für diese theoretischen Erkenntnisse und praktische Tatkraft gibt es.

Die menschliche Arbeit "ist der wesentliche Schlüssel der sozialen Frage", schrieb Johannes Paul II. in der Enzyklika "Laborem Exercens". Vorausgesetzt, man wolle die Arbeit vom Standpunkt des Wohls für den Menschen betrachten. Arbeit habe ihren "ethischen Wert", weswegen sie prinzipiell Vorrang gegenüber dem Kapital genießt. Das "Prinzip des Primates der Arbeit vor dem Kapital" sei sozialethischer Natur. Das Schlüsselproblem der Sozialethik sei, so Laborem Exercens, der gerechte Lohn für die geleistete Arbeit. Die gerechte Bezahlung sei "Prüfstein für die Gerechtigkeit des gesamten sozio-ökonomischen Systems".

Ein Blick auf die unerwünschten Nebenwirkungen überzogen kapitalistischer Wirtschaftsweise zeigt: Die Prüfung wurde nicht bestanden. Schon John Maynard Keynes hielt es im Rückblick auf die Wirtschaftskrise des 20. Jahrhunderts für den "hervorstechenden Fehler" der Gesellschaft, Reichtum und Einkommen "willkürlich" zu verteilen.

Ungezügelter Kapitalismus bleibt ungerecht

Und Ende des Jahrhunderts befand Richard Sennett, ohne ein bürokratisches System der Verteilung der Wohlstandszuwächse "streben die Gewinne zu den Mächtigsten". Wer angesichts dieser Zustände nur von Turbo- und Kasino-Kapitalismus spreche, verharmlose die Kritik am Kapitalismus, erkannte Oskar Negt.

Faymann und Pröll haben ihrer gemeinsamen Regierung ein Programm gegeben, welches die Wirtschaft beleben und Gerechtigkeit befördern will. Dazu zählt ihre Agenda teils kleine, praktische, jedenfalls pragmatische Initiativen auf. Der große Wurf ist noch nicht zu erkennen. Wir wollen vermuten, dass hinter dem Programm das Wissen um Wert und Würde menschlicher Arbeit steckt. Eine Portion ausformulierter Theorie und Ethik als Fundament sind noch nötig. Sonst hat das junge Kabinett nichts, worauf es zurückgreifen könnte, sollte es mit schlichter Pragmatik an Realitäten scheitern. Diese vermag die Regierung nicht zu ändern, weil sie aus Mangel an Theorie nicht ausreichend erkannt wurden.

claus.reitan@furche.at

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