Dornröschen weckt sich selber auf

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Die "echte" österreichische 68er- Revolution spielte sich aus meiner Sicht in der Kunst ab, auf den Boulevards der Wiener Innenstadt und in der Person Valie Exports, die den "ganz gewöhnlichen Mann auf der Straße" mit seiner lüsternen Spießigkeit wie auch Unterwerfungslust enttarnte.

Währenddessen hielt der Zeichenprofessor und Möchtegern-Revolutionär Otto Mühl im Café Savoy Hof und bramarbasierte über das Elend der bürgerlichen Kleinfamilie. Ich erinnere mich, dass er unter dem freudigen Gejohle seiner Anhängerschar eine Zeichnung herumzeigte, in der viele Familienmitglieder mit Schläuchen von After zu Mund verbunden waren und jeder die Fäzes der Älteren schlucken musste. Als er dann zuerst in der Praterstraße, dann im Burgenland seine Vision alternativen Zusammenlebens praktizierte, blieb er dieser Methode treu -nur ersetzte er den Kot durch sein Sperma. Ich kann mich nicht erinnern, bei seinen Audienzen Frauen gesehen zu haben (und ich selbst war nur unscheinbares Anhängsel meines damaligen Freundes und dankbar, als privat kontaktarme Zuwanderin aus dem Nachbarbundesland "in Gesellschaft mitgenommen" zu werden).

Während Otto Mühl bald darauf seine Vision von befreiter Sexualität (nämlich von allen Grenzen) und von psychischer Entwicklung (nämlich Ausagieren der Wut auf verbietende Elterninstanzen in zwar ernst gemeinten, tatsächlich aber quasi "Parodien" auf unverstandene Texte aus Gestaltund Körpertherapien) in seinem sektenartigen Kommunenprojekt umsetzte und dabei die patriarchalen Strukturen, gegen die er so gewettert hatte, nur eben als absoluter Herrscher-Häuptling polygam fortführte, wählten die damals gesellschaftspolitisch engagierten Frauen einen konträren Weg: Nicht nur in Wien formten sich verschiedene Frauengruppen zu Wegen gemeinsamer Evolution -fernab von repressiv besserwisserischen Männern.

Befreiung von veralteten Rollenbildern

Vor allem wurde feministische Grundsatzliteratur gelesen und diskutiert -am Hof Otto Mühls war Literatur kein Thema, es reichten die Ergüsse des Meisters -und es wurde gezielt kritisch nachgeforscht, ob und wie die darin aufgezeigten Missstände auch den eigenen Erfahrungen entsprachen: Im Schulunterricht wie auch in der häuslichen Erziehung wurden veraltete Rollenbilder vermittelt, die als Vorannahmen über das angeblich natürliche Wesen der Frau auch Gesetzgebung und Rechtsprechung dominierten, ebenso Gynäkologie und Psychiatrie. Es wurde gesellschaftlich ja noch von jeder Frau erwartet, "dass sie Mutterschaft zum zentralen Punkt in ihrem Leben macht" (vgl. Shulamith Firestones Buch "Frauenbefreiung und sexuelle Revolution"). Die dazu passenden Anleitungen lieferten Heimatfilme (auch die US-amerikanischen) und Erika-Romane, sie setzten damit die propagierte NS-Bevölkerungspolitik mit Heimchen-am-Herd-Idylle und Mutterkreuz (ohne Berücksichtigung der Kriegsdienstverpflichtungen) fort.

Vor allem die AUF (Aktion Unabhängiger Frauen) erwies sich als mehr als ein bloßer Diskutierklub: Da es Verhütung nur als Geschlechtskrankheiten-Prophylaxe für Männer gab, entstanden dort erste Schulungen zu gynäkologischer Selbstbeobachtung und Selbstuntersuchung. Zu den Fragen, wo und von wem überall Selbstbestimmungsrechte von Frauen manipuliert, eingeschränkt bzw. überhaupt abgesprochen werden, gehört primär das Recht auf alternatives Wissen. Weil verzweifelte Frauen selbst in ihren Familien weder Verständnis noch Beistand erwarten konnten, wurden Frauenzentren geplant und mit eigener Hände Kraft realisiert: nicht nur als Treffpunkte sondern auch zur Beratung - und zur politischen Aktion. Im "Kampf" um die Abschaffung des § 144 StG (Abtreibungsverbot) standen die "Unabhängigen" mit den "Parteipolitischen" Seite an Seite: Es ging um Aufklärung und Beratung statt um Strafe. Alle Kinder sollten Wunschkinder sein.

Dennoch dauerte es fast 20 Jahre, bis auch sexuelle Misshandlungen in der Kindheit und Vergewaltigung öffentlich zum Thema gemacht werden konnten -und damit auch die Täterschaft von Otto Mühl. Nach seiner Verhaftung kamen verunsicherte Frauen aus seiner Kommune in meine psychotherapeutische Praxis: Seine so lange Zeit unwidersprochene Autorität - immerhin hatte seine Präsenz am Kunstmarkt zugenommen -wirkte noch immer nach.

Was 1968 freilich insgesamt aufleben konnte, war Mut zum Widerspruch gegen Autoritäten, auch die Autorität von Gesetzen. Nur war der Weg Otto Mühls nicht der Weg der Frauen: dort Harem und Erstnachtsrecht, hier egalitäre Suche nach Verbesserung für alle.

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