RikschavorHaus

"Du träumst zu viel"

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Sohan Lal bestreitet seinen Alltag als Rikschafahrer in der Schweiz. Geboren ist er in Indien – in einem Slum. Über ein Leben in zwei Welten.

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Sohan Lal bestreitet seinen Alltag als Rikschafahrer in der Schweiz. Geboren ist er in Indien – in einem Slum. Über ein Leben in zwei Welten.

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Woher jemand komme, sagt Sohan Lal, das wisse er sofort. Ein Blick genüge. Und wolle man mehr wissen, dann schaue man ganz nach unten. Auf die Schuhe. Die würden alles über einen Menschen verraten, kein Zweifel. Doch nur weil jemand teure Schuhe trägt, hieße das nicht, dass er viel Geld habe. Sohan Lal weiß, wovon er spricht. Er kennt sie, die kunstvoll gefertigten und die ausgelatschten Schuhe. Und wären die Schuhe des Fremden damals nicht schmutzig gewesen, wäre wohl alles ganz anders gekommen. „Haben Sie Wünsche?“, fragt Lal das Paar aus Australien, das sich eben unter das Dach seiner Fahrrad-Rikscha gezwängt hat – die Füße in bequemen Sportschuhen. Er könne sie hinbringen, wo immer sie wollen. Kopfschütteln, Abwinken. Dann, sagt Lal, zeige er ihnen seine Lieblingsplätze in Bern. Und in einer flüssigen Bewegung: Kontrollblick in den Rückspiegel, Daumendruck auf den Startknopf, Füße auf die Pedale und los.

140.000 Einwohnerinnen und Einwohner, die Altstadt als UNESCO-Welterbe mit sechs Kilometer Lauben und weltbekannte Persönlichkeiten wie Einstein und Klee, die hier wirkten: Das ist Bern, das ist Ihr neues Zuhause. Herzlich willkommen!, so begrüßt die Stadt neue Bürgerinnen und Bürger auf ihrer Webseite. Das politische Zentrum der Schweiz, wo jährlich mehr als eine Million Touristen aus aller Welt nächtigen und durch die Stadt flanieren, wo Expats in internationalen Organisationen und Firmen werken, ist seit 15 Jahren auch Sohan Lals zuhause.

In der Weltraumkapsel

Beinahe geräuschlos rollt Lals Fahrrad-Rikscha über das von Tausenden Sohlen glänzend glatt geschmirgelte Kopfsteinpflaster. Nur der Elektromotor surrt leise und untermalt seine Erklärungen. „Erste Station: Bärenpark“, sagt Lal, während er die 150 Kilogramm schwere Rikscha, die aussieht wie eine Weltraumkapsel, durch die Gassen lenkt. „Wir sind da.“

Lal, ein schmaler Mann, meist kleiner als seine Fahrgäste, parkt seine Rikscha im Schatten. Hunderte Touristen und ebenso viele Smartphones und Fotoapparate zeigen auf die Bären unten im Gehege. Die Australierin fotografiert, Lal erklärt. „Im nächsten Leben, da werde auch ich ein Bär in Bern”, scherzt Lal, und es hört sich an, als hätte er es schon oft gesagt – und gedacht.

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