Werbung
Werbung
Werbung

Obwohl Depressionen zur Volkskrankheit geworden sind, werden sie nach wie vor tabuisiert. Umso notwendiger ist Aufklärung: Dieses seelische Leiden ist heilbar - durch eine Kombination aus Antidepressiva und Psychotherapie.

Die Depression gleicht der Falle eines Jägers: Je geschickter sie ausgelegt, je besser sie getarnt ist, umso größer ist ihre Chance, Beute zu machen." Holger Reiners weiß, wovon er spricht: In seinem Buch "Das heimatlose Ich" beschreibt der Architekt und Unternehmensberater eindrucksvoll seine persönliche Geschichte mit der Depression: Die lange Liste seiner Therapeuten und Psychiater; die Reaktionen seiner Familie ("Jetzt reiß' dich doch zusammen!"); seine Einsamkeit; seine Medikamentenabhängigkeit. Nach über 20 Jahren Erfahrung mit dieser Krankheit zieht er ein nüchternes Resümee: "Depressionen lassen einen nie los - aber es lässt sich mit ihnen leben. Im glücklichsten Fall sogar gut." Holger Reiners hat es geschafft. Mithilfe eines Therapeuten Doch es war ein langer Weg.

Depressionen sind zur Volkskrankheit geworden. Sie zählen zu den häufigsten psychischen Störungen, an denen die Österreicher und Österreicherinnen leiden. Im Durchschnitt sind pro Jahr rund 300.000 Erwachsene betroffen, weiß Friedrich Schmidl, Leiter des Chefarztbüros des Psychosozialen Dienstes in Wien. Frauen erkranken fast zweimal so häufig wie Männer. Aber auch über fünf Prozent aller Kinder und Jugendlichen gelten als depressiv. Und diese erschreckenden Zahlen steigen weiter an. Nicht nur in Österreich. So setzt die WHO (Weltgesundheitsorganisation) für das Jahr 2020 Depressionen auf Platz zwei der größten Gesundheitsprobleme der Welt.

Obwohl so viele Menschen an Depressionen leiden, ist diese Krankheit (und die Depression ist eine Krankheit!) nach wie vor ein Tabu. Sie will nicht zu der erfolgreichen und gutgelaunten Fassade passen, die heute überall zum guten Ton gehört. Die Dunkelziffer ist entsprechend hoch.

Irrfahrt zwischen Ärzten

Außerdem sind Depressionen heimtückisch. Sie sind oft schwer diagnostizierbar, weil sie sich verstecken: Hinter Abgespanntheit, Rückenschmerzen, Magen- und Kreislaufbeschwerden. "Dann geht der Patient zu seinem praktischen Arzt. Der gibt ihm ein Medikament. Wirkt das nicht, kommt der Patient nach 14 Tagen wieder. Dann wird die Dosis erhöht", beschreibt der Sekretär der Österreichischen Gesellschaft für depressive Erkrankungen (ÖGDE), Hermann Kutek, den Beginn einer langen Patienten-Irrfahrt von Arzt zu Arzt: "Leider werden viele Fälle von Depression nicht erkannt und daher auch nicht adäquat behandelt." Die ÖGDE empfiehlt daher Patienten, ihren praktischen Arzt selbst auf eine möglicherweise vorliegende Depression aufmerksam zu machen.

Wie aber erkennt man, dass man an einer Depression leidet und nicht nur an einem vorübergehenden Stimmungstief? Kutek nennt eine grobe Faustregel: "Wenn drei Wörter mit der Nachsilbe -losigkeit' länger als 14 Tage anhalten, spricht man von einer Depression." Der Schwung fehlt, Niedergeschlagenheit und Lustlosigkeit machen sich breit, Durchschlafstörungen zermürben den Patienten schon nach kurzer Zeit. Ein solcher Zustand darf nicht bagatellisiert werden. Depressionen bedürfen der Behandlung durch den Experten: den Psychiater. Wer ihn aufsucht, hat gute Heilungschancen. "In den letzten Jahren haben Medizin und Psychotherapie große Fortschritte bei der Behandlung von Depressionen erzielt", sagt Friedrich Schmidl vom Psychosozialen Dienst. Vor allem die Kombination aus Antidepressiva und Psychotherapie zeige gute Wirkung. Zahlreiche Studien belegen: Je früher Psychiater und Psychotherapeut aufgesucht werden, desto größer ist die Chance auf Heilung. Eine Suchtgefahr durch die Antidepressiva besteht sicher nicht, betonen Schmidl und Kutek übereinstimmend.

So wichtig allerdings Medikamente sein können, so unersetzbar ist doch der richtige Therapeut - und Menschen, die ihren depressiven Freund/Kollegen/Familienangehörigen nicht im Stich lassen. Doch genau das ist oft schwierig. Depressive Menschen ziehen sich zurück, stellen alles in Frage, wehren Hilfsangebote ab. Holger Reiners, selbst jahrelang schwer depressiv, hat in dieser Situation keine Patentrezepte. Aber er rät in seinem Buch Angehörigen, Depressionen beizeiten als Krankheit zu akzeptieren und sich mit ihnen zu beschäftigen - im Sinne einer Vorsorge. Denn: Es könnte jeden treffen.

Informationen für Betroffene und ihre

Angehörigen bei der Stelle "Psychosoziale Information" (PSI) unter 01/3102573 oder bei der Österreichischen

Gesellschaft für depressive Erkrankungen (ÖGDE) unter 0664/3161275 bzw.

oegde@netway.at

DAS HEIMATLOSE ICH

Aus der Depression zurück ins Leben Von Holger Reiners, Kösel Verlag, München 2002, 192 Seiten, geb. e 18,45

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung