Dynamisch brüllende Frauen

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Männer können nicht zuhören, Frauen nicht einparken. Und sollten Frauen einmal laut werden, dann sind sie hysterisch und nicht dynamisch stark. Vorurteile über beide Geschlechter gibt es zuhauf. Die Furche hat Andrea Lehner-Hartmann und ihren Mann Erich Lehner gefragt, ob sie stimmen.

Die Furche: Bücher, die sich mit der Rolle und dem Verhalten von Mann und Frau auseinandersetzen, sind zu Bestsellern geworden. Stimmt das Geschlechterbild, das darin gezeichnet wird?

Andrea Lehner-Hartmann: Diese Bücher sprechen Wahrnehmungen an, die sich im Alltag zeigen. Es kommt dadurch zu Aha-Effekten. In diesen Büchern wird aber vermittelt, diese Verhaltensweisen seien unabänderlich. Das stelle ich in Abrede, ich sehe jedes Verhalten gestaltbar. Denn, wie Geschlecht sich äußert, wie Männer und Frauen sich begegnen, ist sozial und historisch gewachsen.

Erich Lehner: Diese Bestseller suggerieren, das Ganze ist naturgegeben und verfestigt. Das bedeutet einen Rückschritt. Flexible Geschlechterrollen-Gestaltung ist heute prinzipiell möglich, wenngleich sie nicht immer gefördert wird. In Österreich ist - politisch gesehen - während der letzten zehn Jahre in diesem Bereich sogar ein Rückschritt passiert.

Die Furche: Was halten Sie von den Klischees, die in diesen Büchern vermittelt werden: Zirka 90 Prozent aller Frauen, heißt es da, hätten ein beschränktes räumliches Vorstellungsvermögen oder Männer könnten absolut nicht zuhören?

Erich Lehner: Das Problematische an der Geschichte ist, dass bei diesen Aussagen von angeblichen Naturgegebenheiten die Rede ist. Untersuchungen an Schulen zeigen aber: Wenn man Mädchen in räumlicher Wahrnehmung trainiert und umgekehrt Buben in den sprachlichen Fächern, so sind beide Geschlechter grundsätzlich gleich begabt. Das heißt, diese Fähigkeiten sind nicht biologisch vorgeben, sondern sozial ausgeprägt worden.

Andrea Lehner-Hartmann: Ich sehe die Unterschiede eher in der Wahrnehmung und Zuschreibung, weniger im Können. Frauen werden oft bei gleichen Kompetenzen schwächer wahrgenommen, besonders in Bereichen, die Männern zugeschrieben werden. Das bedingt wiederum eine Rückmeldung auf die Eigenwahrnehmung, das Eigeninteresse und die Eigeneinschätzung.

Die Furche: Von Hildegard Knef stammt der Ausspruch: "Brüllt ein Mann, ist er dynamisch, brüllt eine Frau, ist sie hysterisch." Warum wird vieles bei Männern positiv gedeutet, bei Frauen aber nicht akzeptiert?

Andrea Lehner-Hartmann: Wenn ich davon ausgehe, dass für Frauen und Männer andere Lebensräume vorgesehen sind, so hat Schreien auch eine jeweils andere Bedeutung. Aggression wird beim Mann anders wahrgenommen, sie hat auch oft ein anderes Ziel. Aggression ist eher ein Bereich, der Männern zugeschrieben wird. Daher wirkt sie bei der Frau besonders fremd. Brüllt ein Mann in die Klasse hinein, gewinnt er damit seine Kontrolle wieder; brüllt eine Frau - und kippt ihr dabei womöglich die Stimme - heißt das: Kontrollverlust. Ganz einfach, weil das dem Bild der eher passiven, leisen, duldenden Frau, das in uns eingeschrieben ist - auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen -, quer liegt.

Die Furche: Sehen Sie eine Möglichkeit, dass sich da in absehbarer Zeit etwas ändert?

Andrea Lehner-Hartmann: Die Eigenschaften, die Frau/Mann zugeschrieben werden, müssten von weiblich und männlich enthoben und beiden Geschlechtern zugänglich gemacht werden. Als Beispiel: Emotionalität, Hingabe dürfte nicht mehr nur weiblich besetzt sein. Bisher gibt es eher den Trend, die Frau der männlichen Sphäre anzupassen, aber nicht umgekehrt. Das kann es nicht sein. Da ginge uns sehr viel verloren.

Die Furche: Typisch weibliche Eigenschaften für Männer?

Andrea Lehner-Hartmann:

Es ist sehr schwierig, Männer für so genannte weibliche Werte und Eigenschaften, zu öffnen. Wenn ich davon ausgehe, dass das Geschlechterverhältnis ein hierarchisches ist, sehe ich, dass eine solche Öffnung hin zu anderen Werten mit einem enormen Machtverlust verbunden ist. Und jemand, dem ein höherer Status zugestanden wird, nimmt nicht gerne Dinge an, die einem niederen Status zugeschrieben werden.

Die Furche: Haben die Rollenfixierungen mit Schuld an den vielen Partnerschaftsproblemen?

Erich Lehner: Ein wesentlicher Faktor für Partnerschaftsprobleme sind sicher die Geschlechterrollen. Die Wirtschaft verlangt heute möglichst verfügbare Einzelpersonen, die kaum Bindungen haben. Gesellschaftlich gesehen werden für den Bereich Familie aber eher traditionelle Bilder transportiert. Jedes Paar kommt damit in die Situation, dass es in seiner privaten, intimen Sphäre die gesellschaftlichen Widersprüche auf individueller Basis ausbalancieren muss - das kann sich natürlich nicht ausgehen.

Die Furche: Gibt es einen Weg aus diesem Dilemma?

Erich Lehner: Wir müssen den Mut haben, eine tiefgreifende Veränderung zuzulassen: eine Vermischung der Sphären. Das hat auch politische Konsequenzen. Die Frage darf dann nicht nur mehr lauten: Wie kriegt man Frauen in den Arbeitsprozess? Sondern genauso: Wie bekommt man Männer in den Familienalltag hinein? Wo so eine Mischung der Sphären stattfindet, hat der "Neue Mann" größere Chancen. Das muss aber gefördert und auch gefordert werden. Bei Männern wird es ohne Forderung nicht abgehen.

Die Furche: Wie könnte diese Forderung aussehen?

Erich Lehner: Wenn die Arbeitswelt von Männern dominiert wird, die nichts mit Familie am Hut haben, wird es immer so sein, dass Frauen zwar in die Arbeitswelt hinein können, sich aber an diese anpassen müssen. Die Angleichung der Sphären wird nicht passieren, solange der Mann nicht in die Familie kommt und dann als Mann auch familiäre Interessen in die Arbeitswelt transportiert.

Andrea Lehner-Hartmann: Frauen, die vereinzelt in Führungspositionen gehievt werden, unterstützen die Aufrechterhaltung der patriarchalen Struktur. Solange sich nicht an den strukturellen Maßnahmen etwas ändert, muss die Frau sich den Maßstäben der männlichen Welt unterordnen. Sie muss beweisen, dass sie ihre Aufgaben mindestens so gut, wenn nicht besser als ein Mann kann. Sie muss tatsächlich "ihren Mann stehen". Die Versuchung für die Frauen ist sehr hoch; sie glauben, dass sie es endlich geschafft haben. Dass Einzelpersonen hineinkommen ist das Beste, was ein patriarchales System machen kann: Es holt die Frauen zu seinen Bedingungen hinein. Heute kann es sich kein System mehr leisten, Frauen nicht zu holen - siehe Wiener Philharmoniker.

Das Gespräch führte Elisabeth Mitter.

Andrea Lehner-Hartmann ist Universitätsassistentin am Institut für Religionspädagogik der Uni Wien, Vorsitzende des Österreichischen Instituts für Jugendforschung und Preisträgerin des Leopold-Kuntschak-Preises 2002 sowie des Bank Austria Preises für innovatives Forschen zum Thema "Gewalt in der Familie".

Erich Lehner ist Theologe, Psychoanalytiker und Männerforscher.

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