Een Koffie-Trip naar Amsterdam ...

19451960198020002020

Geschätzte 40 Millionen Menschen in der EU haben Erfahrung mit Cannabis-Produkten. 1,5 Millionen gelten als akut drogengefährdet. Ein Lokalaugenschein in Amsterdam, einer Stadt, die seit Jahren auf die kontrollierte Abgabe von Drogen setzt.

19451960198020002020

Geschätzte 40 Millionen Menschen in der EU haben Erfahrung mit Cannabis-Produkten. 1,5 Millionen gelten als akut drogengefährdet. Ein Lokalaugenschein in Amsterdam, einer Stadt, die seit Jahren auf die kontrollierte Abgabe von Drogen setzt.

Werbung
Werbung
Werbung

1998 wurden von den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedsstaaten der EU rund 800 Tonnen Cannabis, 34 Tonnen Kokain, sechs Tonnen Heroin und vier Millionen Ecstasy-Tabletten sichergestellt. Da man davon ausgehen kann, daß normalerweise höchstens zehn Prozent des tatsächlichen illegalen Marktes abgeschöpft werden, ist von einer Jahresmenge von 8.000 Tonnen Haschisch beziehungsweise Marihuana auszugehen, die zwischen Stockholm und Rom, Lissabon und Wien im Handel sind.

Die Länderdaten (Österreich befindet sich am erfreulichen vorletzten Platz in der EU-Skala) sind aber nicht wirklich verläßlich, zumal die gesetzlichen Regelungen und das Engagement der Exekutive kaum vergleichbar sind. Anders ist es nicht zu erklären, daß sich auch die Niederlande beim Drogenkonsum im unteren Mittelfeld finden. Denn Amsterdam ist diesbezüglich noch immer eine Reise wert ...

Ein naß-kalter Tag in Amsterdam. Wer da frierend durch die Innenstadt streift, kann schnell einmal der Verlockung eines "Coffeeshops" erliegen. Eine Tasse des dünnen, aber aromatischen holländischen Kaffees vor Augen, begleitet vielleicht von einem Gläschen Genever - da kann man schon das Schild "Eintritt nur für Personen über 18 Jahre" übersehen. Es ist wohl auch nicht so ernst gemeint, denn die jüngsten Gäste in dem eher an ein Pub als an ein Kaffeehaus erinnernden Lokal sind wohl noch keine 14 Jahre alt.Vertreten sind alle Altersgruppen, Mädchen und Burschen, Männer und Frauen.

Gut sortierte Portion Die Atmosphäre ist gemütlich, ruhig, unaufdringliche Musik, an jedem Tisch sitzen mehrere Leute, auch an der Theke kommt man über die erste Bestellung schnell ins Gespräch mit der Bedienung und dem Nebenmann oder der Nebenfrau am Barhocker. Es gibt dutzende Biersorten, kalte und warme Snacks, Tee in allen Variationen und natürlich Kaffee mit dem obligaten Spekulatius-Keks. Auffallen könnte einem zunächst höchstens, daß die Luft sozusagen "zum Schneiden" ist von Rauch ... ja, und daß fast alle ihre Zigaretten selber drehen - mit Papierchen aus einem großen Sektkübel an der Theke.

Man könnte sich aufwärmen, zahlen, wieder gehen, ohne sich irgend etwas zu denken. Eine unauffällige Türe hinten im Raum, neben dem Zugang zu den Toiletten, müßte man nicht unbedingt registrieren. Ab und zu schlendert ein Gast dorthin, unterhält sich ein paar Minuten durch die halboffene Tür, kehrt zurück an seinen Tisch, entfaltet ein kleines weißes Briefchen, zeigt es herum, bietet an, dreht für sich und den Sitznachbarn und eine neue Zigarette. Wenn man dann vielleicht, neugierig geworden, die Tür in Augenschein nimmt, ist daran eine handgeschriebene Preisliste geheftet, mit Angaben zu verschiedenen Sorten Haschisch und Marihuana, die erlaubte und handelsübliche "Portion" zu Preisen zwischen 8 und 22 Gulden.

Der Verkäufer hinter der Türe hat die Ware feinsäuberlich sortiert und beschriftet auf einem Tischchen; auf einem Regal dahinter eine Art Briefwaage, verschiedenfarbige Dosen und Säckchen. An der Rückwand ein Poster mit einer großen grünen Hanfpflanze und ein Stadtplan. Ein Stadtplan, der auch an der Theke und neben der Eingangstür des Lokals aufliegt, der "Official Coffeeshop Guide". 28 derartige Adressen weist er auf - rot markiert am Plan, im Gegensatz zu den schwarz ausgewiesenen Sehenswürdigkeiten vom "Anne-Frank-Huis" bis zum Van Gogh Museum. Und so wie auf jeder Zigarettenpackung steht, daß Rauchen die Gesundheit gefährdet, enthält der Coffeeshop-Guide genaue Angaben über den "richtigen Gebrauch" der Drogen. Vor allem wird auf die Gefahr des Straßen(ver)kaufs und die Vorzüge der Coffeeshops verwiesen.

Wer nicht zufällig in den Coffeeshop geraten ist, sondern absichtlich, hat sich den Plan (der nur die besonders renommierten, in einem eigenen Vertriebsverbund zusammengeschlossenen und behördlich sanktionierten Verkaufsstellen nennt; es gibt auch andere, die sich an oder jenseits der Grenze zur Legalität befinden) schon vorher besorgt, in einem der "Smart Shops", die in den letzten Jahren wie die Pilze aus dem Boden geschossen sind - und mit Pilzen haben sie auch etwas zu tun.

Sie wirken zunächst einmal wie kleine Design-Shops, Boutiquen oder Wellness-Läden, hell, freundlich, ein bißchen multikulturell beziehungsweise alternativ, modisch gestylt. Sie verkaufen originelle T-Shirts und Schals, Aschenbecher, Tabakdosen und "Shit-Holders" (Zigarettenspitze) mit dem Haschisch-Pflanzen-Symbol, Wasserpfeifen, Kerzen, Räucherstäbchen, Duftöle und -säckchen, esoterische Bücher, Broschüren über die Kultivierung von Cannabis und "Psilos" ( Drogenpilze) und die dazugehörigen "Seeds". Das sind Samen aller Art einschließlich der nötigen Hydrokultur-Anlagen und Gefäße.

Psilocybinhaltige Pilze, die getrocknet gegessen, geschnupft oder geraucht werden, sind ebenso wie mescalinhältige Kakteen derzeit "in" in manchen Szenen - und vor allem in Ländern mit eher strengen Suchtmittelgesetzen. Ihre Wirkung entspricht in etwa der von LSD, einschließlich der Gefahr von Horrortrips und Vergiftungen bei Überdosierungen.

Aber an derlei denkt man kaum in dem flippigen, schicken und oft fast ein wenig drogerie-sterilen Ambiente der Smart Shops. Und man denkt auch kaum daran, daß dort nicht nur die netten Accessoires für den kontrollierten Haschisch- und Marihuanakonsum verkauft werden, die man dann im Coffeeshop bestaunen lassen kann, sondern auch alles, was man für eine gar nicht mehr kontrollierte und kontrollierbare "Eigenzucht" von Drogenpflanzen braucht - einschließlich des Know-how. Und natürlich bekommt man im Smart Shop "unter dem Ladentisch" Informationen darüber, wo auch andere, illegale, härtere Drogen zu beziehen sind - ebenso wie in den Coffeeshops. Auch dort muß man nur Geduld haben, den "Szenejargon" beherrschen und Symbole aussenden deuten können, um sozusagen an jede Art von Stoff zu kommen - oder zumindest an die richtigen Adressen.

Schwierige Kontrolle Den niederländischen Behörden ist das alles nicht unbekannt - daß die Altersgrenze nicht eingehalten wird, daß die Abgabemenge nicht wirklich eingeschränkt ist, daß nicht nur mit Cannabis-Produkten gehandelt wird und daß es den sogenannten "Ameisenexport" (regelmäßige Ausfuhr kleinerer Mengen durch Einzelpersonen) ins benachbarte Ausland gibt. Niemand weiß genau oder will wissen, aus welchen Quellen die Händler in den Coffee- und Smartshops ihre Waren beziehen - aus der heimischen Produktion im Garten, unter künstlicher Beleuchtung im Keller, im Gewächshaus, oder von organisierten kriminellen Kartellen aus Albanien oder Marokko, die natürlich Kokain und Heroin ebenso importieren wie alle Arten von synthetischen Drogen ( die allerdings zunehmend in großem Stil auch in den EU-Ländern in Produktion gehen).

Alle diese Probleme werden gesehen, es wird aber entgegengehalten, dass zumindest die räumliche Konzentration des quasi-legalen Konsums letztlich die Kontrolle auch im Hinblick auf illegale respektive harte Drogen erleichtert.

Dennoch gesteht man zu, daß es letztlich ungeheuer schwer ist, der Organisierten Kriminalität rund um den Drogenhandel Herr zu werden. Seit 1996 gibt es in Amsterdam das sogenannte "Wallenprojekt" ( die Wallen sind ein Gebiet in der Innenstadt, das in etwa dem "Rotlichtbezirk" um Oudezijds Voorburgwal und Achterburgwal entspricht). In diesem zentralen Areal befinden sich mehrere 100 Fensterbordelle, an die 50 Sex- und Swingerklubs, zahlreiche einschlägige Videotheken und Peep-Shows, Escort-Services und ähnliches.

Die Prostitution mit geschätzten (unterschätzten?) 2.000 Beschäftigten(die man zwecks "Übersichtlichkeit und Transparenz" in diesem Areal halten und nicht in andere Stadtteile "versprengen" will) steht ebenso wie der Drogenhandel in engem Zusammenhang mit Immobilienspekulation, Glücksspiel, Gastgewerbe, Geldwäsche und Frauenhandel. Diese vielfachen Querverbindungen versucht man im "Wallenprojekt" durch eine eindrucksvolle Kooperation von Stadtverwaltung, Polizei, Justiz- und Finanzbehörden aufzudecken - unter anderem durch eine weitgehende Aufhebung des Datenschutzes beziehungsweise die Versagung von (Bau-, Betriebs-, Verkaufs) Genehmigungen, wenn der Verdacht auf kriminogene Verbindungen besteht.

Weniger Kriminalität In den letzten Jahren wurde ein präziser Grundstücks-, Gebäude-, Widmungs- und Meldekataster erstellt und durch relevante Daten im Hinblick auf Beschäftigungsstruktur und Steueraufkommen ergänzt . Im Zuge einer "kommunalen Integritätsstrategie" wurden freiwerdende beziehungsweise quasi-enteignete Objekte seitens der Stadt erworben und an "unproblematische" Unternehmen verkauft, verpachtet oder vermietet, um die "Wallen" hinsichtlich der Wohn- und Wirtschaftsstruktur zu einem "Mischgebiet" umzufunktionieren: neben dem traditionellen "horizontalen Gewerbe" und anderen "Unterhaltungsangeboten" existieren auch konventionelle Tourismusbetriebe, Gastronomie und Handel, auch Wohnmöglichkeiten werden geschaffen.

Die bisherigen Erfolge geben dem Projekt recht. Tatsächlich sind die Wallen im Hinblick auf Alltagskriminalität wie Diebstähle und Überfälle sicherer als manche "bürgerlichen" Wohn- oder Geschäftsviertel, und die (zum Teil neu geschaffene) Infrastruktur in diesem bunten Stadtteil mag durchaus Lebensqualität sicherstellen - zumindest für eher jüngere , ein wenig "alternative" und unkomplizierte Bewohner.

Die Frage nach den Vor- und Nachteilen der Liberalität im Hinblick auf (weiche) Drogen bleibt allerdings unbeantwortet. Daß man nicht mehr, wie noch vor ein paar Jahren, im Hafen- und Bahnhofsareal, am Konings- und Leidseplein und in den Wallen an bestimmten Ecken über halbbewußtlose Süchtige stolpert, sagt vielleicht (unter Umständen aber auch nur), daß die ordnungsliebenden Niederländer das Stadtbild sozusagen aufgeräumt haben ...

1) Beobachtungen anläßlich einer Exkursion der Expertengruppe Innere Sicherheit der Universität Salzburg unter Leitung von Professor Walter Hauptmann, Forschungsschwerpunkt für Rechtspsychologie.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung