Intelligenz-Verein "Mensa": Egalitäre Vereinsmeierei auf dem höchsten Niveau

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Wer dem Verein Mensa beitreten möchte, muss einen IQ von mindestens 130 haben. Warum die Hochbegabten keine "Elite“ sein möchten, aber trotzdem lieber unter sich bleiben.

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Wer dem Verein Mensa beitreten möchte, muss einen IQ von mindestens 130 haben. Warum die Hochbegabten keine "Elite“ sein möchten, aber trotzdem lieber unter sich bleiben.

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Punkt zehn Uhr vormittags geht es los. Während draußen ein sonniger Herbsttag zum vielleicht letzten Spaziergang des Jahres einlädt, rauchen im fensterlosen Seminarraum 1.12 der Wiener Wirtschaftsuniversität die Köpfe. Für die nächsten paar Stunden ist geistige Disziplin gefordert. Konzentriert brüten 13 Männer und Frauen über ihren Aufgaben. Ein Zettel an der Tür verrät den Zweck der Zusammenkunft: "IQ-Test. Bitte nicht mehr eintreten!!“, steht darauf.

Die international aktive Organisation Mensa hat den 1. Oktober zum weltweiten "Tag der Intelligenz“ erklärt. In mehreren Ländern finden dann günstige IQ-Tests statt. Testleiterin Irene Kohlhofer achtet darauf, dass die Teilnehmer nicht voneinander abschreiben. Auch Hilfsmittel sind streng verboten. Diese Objektivität hat ihren Sinn. Denn nur ein Ergebnis ab 130 Punkten berechtigt zur Aufnahme in den Verein der Hochbegabten. Statistisch weisen nur zwei Prozent der Bevölkerung diese "Anomalie“ auf, wie es ein Vereinsmitglied formuliert.

Weltweit zählt Mensa rund 100.000 Mitglieder aus mehr als 40 Ländern, 500 sind es in Österreich. Der heutige Tag ist eine gute Gelegenheit, seine Eignung zu beweisen. Denn die Testgebühr beinhaltet auch den Mitgliedsbeitrag für ein Jahr. Für viele Teilnehmer ist es der erste IQ-Test. "Ich habe in der Zeitung gelesen, dass heute dieser Test stattfindet“, sagt die Bankangestellte Karin. "Meine Freundinnen sagen immer, ich bin so intelligent. Deshalb möchte ich es jetzt genau wissen.“

Engagement für hochbegabte Kinder

Mensa wurde 1946 in England von zwei Juristen gegründet. Angeblich fuhren die beiden mit dem Zug durch das zerbombte Nachkriegs-London, als ihnen die Idee zur Gründung der Organisation kam. Ihr altruistisches Ziel war es, die quer durch die Gesellschaft verstreute Intelligenz zu bündeln und zum Wohle der Menschheit einzusetzen.

Insbesondere die Probleme hoch intelligenter Kinder sind dem Verein auch heute noch ein Anliegen. Oft wird deren Begabung nicht erkannt, in der Schule fühlen sie sich unterfordert. Davon wissen auch einige der Testteilnehmer zu berichten, die sich im Anschluss zum spontanen Gespräch formiert haben. "Man ist schnell als Streber verschrien“, sagt eine junge Studentin. "Wer sich nicht für Mode oder Fußball interessiert, wird leicht zum Außenseiter.“ Auch Jan Haase, Generalsekretär von Mensa Österreich, ist anwesend. "Hierzulande sind wir leider erst wenig bekannt“, bedauert er. "Wer Mensa hört, denkt zuerst einmal ans Essen.“

Haase ist eine kommunikative Person, beim Sprechen begleitet er seine Worte häufig mit ästhetischen Armbewegungen. Er arbeitet als Wissenschaftler am Institut für Computertechnik der TU Wien. Durchaus kein Mensa-typischer Beruf. Die Mitglieder kommen aus sämtlichen gesellschaftlichen und Bildungsschichten, haben ganz unterschiedliche Hobbys und Interessen, erklärt das Vorstandsmitglied. Entsprechend unspektakulär sind die Aktivitäten des Vereins. Konspiratives steht ebenso wenig auf dem Programm wie akademische Fachsimpelei. "Mensa versteht sich als Plattform, die hochbegabte Menschen zusammen bringen möchte“, so Haase. "Man trifft sich, plaudert, geht zusammen ins Theater oder Essen.“ Für die Organisation philanthropischer Veranstaltungen, wie es sie in einigen Ländern gibt, ist die Vereinskasse in Österreich zu knapp.

Freundliche Alltagstypen ohne Allüren

Als elitäre Gruppe verstehe man sich aber nicht, betont Haase. "Unsere Mitglieder haben die gleichen Alltagsprobleme wie alle anderen Menschen“, meint er. "Was uns unterscheidet ist lediglich das körperliche Merkmal der Intelligenz.“ Irene Kohlhofer pflichtet ihm bei: "Der Eliten-Vorwurf kommt meist von Leuten, die gerne dazugehören würden, aber nicht die Voraussetzungen dafür mitbringen“, glaubt sie. "Das ist das übliche Neiddenken - man macht schlecht, was man selbst nicht erreichen kann.“

Theoretische Dispute über die Instrumentalisierung des Intelligenzbegriffs zum Zwecke sozialer Selektion sind heute nicht willkommen. Dass etwa Thilo Sarrazin vor einem Sinken des deutschen Intelligenzdurchschnitts als Folge von Migration warnte, ist hier kein Thema. Deshalb bleibt auch die Frage, ob Intelligenz wirklich nur ein wertfreies körperliches Merkmal wie Haarfarbe oder Nasenlänge ist, unbeantwortet. Die Mensianer sind freundliche Alltagstypen, die sich mit ihrer Intelligenz weder brüsten, noch sie als gesellschaftliche Verantwortung betrachten. Warum die Hochbegabten dennoch lieber mit ihresgleichen verkehren hat ganz praktische Gründe. "Es ist einfach angenehm, wenn man über Gott und die Welt spricht und mein Gegenüber mir folgen kann.“

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