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Die Balten begruben ihren Hass auf den "baltischen Baron".

Wer aufmerksam durch die baltischen Staaten reist, spürt bald die Zugehörigkeit zur alten Hanse, überhaupt zu Europa und die Aufmerksamkeit, die Esten und Letten dem starken deutschen Anteil ihrer Geschichte zuwenden. Das war nicht immer so. Als sich nach der Oktoberrevolution die drei baltischen Republiken selbständig machten, nachdem sie jahrhundertelang Untertanen des Zaren gewesen waren, lebten sie auch einen unterdrückten Nationalismus aus. Die vor 800 Jahren aus Westfalen und Norddeutschland eingewanderten Baltendeutschen bildeten eine Oberschicht adeliger Grundbesitzer und Intellektueller. Das deutsche Bürgertum dominierte in den Städten und hatte unter den schwedischen Königen und dann den Zaren hohe Beamten- und Offiziersstellen erreicht. Vielleicht waren sie "überprivilegiert", jedenfalls oft recht arrogant. Andererseits waren sie als Lehrer und evangelische Pfarrer wesentlich an der Entwicklung der estnischen und lettischen Schriftsprache beteiligt.

Das schien vergessen, als die nationalen Leidenschaften aufwallten. Der böse "baltische Baron" wurde zum Stereotyp. Landreformen setzten den Großgrundbesitzern zu, deren Schlösser und Herrenhäuser auch Stützpunkte der Kultur und Lehrstätten für die kleinen Bauern waren. Eine erste Auswanderungswelle der Deutschbalten setzte ein, bevor noch der Hitler-Stalin-Pakt das Baltikum den Sowjets auslieferte und Hitler die Deutschen "heim ins Reich" lockte, während 1939/40 eine Ansiedlung im eroberten Westpolen vorgesehen war.

Nach der zweimaligen sowjetischen Besetzung 1941 und 1944/45 schienen die letzten Spuren des Deutschtums verschwunden. Aber es kam anders. Hatte bis 1939 die Mehrheit der Letten und Esten beim Abzug der Deutschen aufgeatmet, gab es nun Stimmen, die ihnen ein gutes Andenken und die Pflege und Wertschätzung ihres kulturellen Erbes verhießen. Diese Kräfte sind deutlich stärker geworden und können Taten vorweisen. Seit Gorbatschows "Perestroika" kam es zu Kontakten mit den Deutschbalten in der Bundesrepublik, wurden zumindest Pläne zum Wiederaufbau deutsch geprägter Gebäude und Kulturdenkmäler gemacht. Inzwischen haben Esten und Letten die deutschbaltische Geschichte in ihre Geschichte integriert. Besuche der Ausgesiedelten und ihrer Nachkommen sind Alltag.

Ein von Wilfried Schlau herausgegebenes Buch, an dem Autoren beider Seiten mitwirkten, gibt über das 800jährige Zusammenleben Auskunft und nennt die eindrucksvollen Kulturleistungen deutschbaltischer Künstler, Schriftsteller und Adeliger in der alten und der neuen Heimat.

Die Deutschbalten

Von Wilfried Schlau:

Langen Müller Verlag, München 2002

174 Seiten, 85 Abbildungen, Karten, Tabellen, geb., x 21,17

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