Eigenvorsorge, ein unaufhaltsamer Zug?

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Kommt die Rede darauf, wie denn nun alles weitergehen soll, so bewegt die Österreicher (und nicht nur sie) heute vor allem die Frage nach der Sicherheit ihrer Alterspensionen: Gemäß einer jüngst veröffentlichten Studie des Meinungsforschungsinstituts Fessel-GfK sehen die Österreicher die Perspektiven ihrer Altersvorsorge pessimistisch: 93 Prozent der 2000 Befragten im Alter zwischen 20 und 60 Jahren sind der Meinung, dass man sich diesbezüglich immer weniger auf den Staat wird verlassen können, sondern vielmehr in höherem Umfang als bisher auf Eigenvorsorge setzen muss.

Ist solcher Fatalismus berechtigt und auf Basis welcher Informationen gelangten die Befragten zu dieser Auffassung? Ist der Generationenvertrag nun wirklich gefährdet, sind wir Zeugen des Endes des Solidarprinzips oder sind auch diese Entwicklungen im Bereich der Sozialversicherung lediglich Ausfluss einer überzogenen Sparwut und des Drangs zur Privatisierung? Kritiker wollen nicht einsehen, warum sich reiche Gesellschaften wie die europäischen kein Sozialsystem mehr leisten können (wollen), das allen eine ausreichende Absicherung garantieren kann.

In der gerade in Deutschland heftig geführten Debatte um die "Rentenreform" wurde wiederholt darauf hingewiesen, dass eher der Ausfall von vier Millionen Arbeitslosen als Beitragszahler die Finanzierbarkeit des Systems aushöhlt als andere "Sachzwänge". Nicht übersehen werden darf auch, dass die Eigenvorsorge von den präsumtiven Nutznießern natürlich ausschließlich selbst zu finanzieren ist - im Unterschied zu den Systemen der gesetzlichen Altersversicherung, die von Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu gleichen Teilen getragen wird.

Ein großer "Trick"?

Was Österreich betrifft, so ist es sicher richtig, dass die Beiträge zur Sozialversicherung ebenso wie die notwendigen Zuschüsse zur Pensionsversicherung aus dem Budget bereits sehr hoch sind - nicht nur nach dem subjektiven Gefühl der Einzahler, sondern auch im internationalen Vergleich. Eine Stabilisierung muss daher eher über die Ausgabenseite erfolgen; erste diesbezügliche Maßnahmen wurden ja bereits gesetzt.

Böse Zungen behaupten entgegen den obigen Argumenten, dass eigentlich nur durch ständiges Wiederholen von Schlagwörtern wie der "Unfinanzierbarkeit des Sozialsystems" ein entsprechendes Klima und die zugehörigen Meinungen erst erzeugt wurden. Für die Versicherungswirtschaft nämlich winkt als Frucht solcher langer Bemühungen nunmehr ein überaus üppiges Geschäft bei Lebensversicherungen und diversen anderen Produkten, die Zusatzpensionen am Lebensabend versprechen. Die amerikanischen Pensionsfonds, die ungeheure Finanzvolumina bewegen und demzufolge auch über entsprechende Macht an den Finanzmärkten verfügen, mögen hier als nachahmenswertes Vorbild gedient haben.

Wahrscheinlich ist überall ein Körnchen Wahrheit dabei, doch der Zug zur (zumindest teilweise) privaten Altersvorsorge scheint kaum noch aufzuhalten zu sein. Das Anlageverhalten der europäischen Bevölkerung wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten wohl "angelsächsischer" werden - eine Tendenz, die bereits eingesetzt hat; das heißt, Anlageformen wie Investitionsfonds, Lebensversicherungen und Pensionsfonds werden im Portefeuille der Haushalte für Zwecke der Absicherung nicht nur im Alter, sondern auch gegen die sonstigen Wechselfälle der Lebens weiter an Bedeutung gewinnen, und es werden im Wesentlichen die Versicherungsgesellschaften sein, die immer größere Vermögensverwaltungskonzerne aufbauen werden.

Derzeit sind die Unterschiede in den Veranlagungsstrukturen noch groß: Während in Großbritannien und den USA - also Ländern mit im Vergleich zu Kontinentaleuropa eher dürftig ausgestatteten Pensionssystemen - die Veranlagungen bei Versicherungen und Pensionsfonds Ende 1997 53 bzw. 30 Prozent der Finanzvermögen der Haushalte ausmachten, liegen diese Quoten in Europa noch deutlich niedriger: In Deutschland und Frankreich halten die Haushalte nur 19 bzw. 21 Prozent in diesen Anlageformen.

Kein Wunder, vergleicht man dazu die Leistungen der staatlichen Pensionsversicherungen: So betragen die durchschnittlichen staatlichen Renten in Deutschland und Frankreich zwischen 50 und 60 Prozent der Durchschnittslöhne, in den USA weniger als 40 Prozent und in Großbritannien gar weniger als 20 Prozent. Klar, dass damit kaum ein Auslangen zu finden ist und die Nachfrage nach den Leistungen der privaten Versicherungen entsprechend hoch ist.

Im Zuge der verstärkten Entwicklung von Produkten speziell zur Altersversorgung durch Versicherungen, Pensionsfonds und Fondsgesellschaften wird es auch zu einer indirekten Erhöhung des Aktienanteils in der Vermögensstruktur in Europa kommen. Die Veranlagungen der hiesigen Versicherungsgesellschaften zeichnen sich derzeit noch durch hohe Anteile an festverzinslichen Wertpapieren aus - zum Unterschied von den entsprechenden Institutionen in den USA und in Großbritannien, die heftig an den Aktienmärkten mitmischen. Die Exponiertheit gegenüber den Risiken der Finanzmärkte wird etwas ansteigen.

Stärkere Kontrolle Für die Versicherungsbranche selbst zeichnet sich ein nicht unerheblicher Anpassungsbedarf ab, und Umstrukturierungen, Fusionen, Übernahmen etc. sind längst im Gange. Marktöffnung und Deregulierung sowie infolgedessen intensivierter Wettbewerb erzeugen entsprechenden Druck. Neue Wettbewerber sind in den Markt eingetreten, insbesondere auch Unternehmen aus dem Ausland und die sogenannten Finanzdienstleister, die kombinierte Spar-, Versicherungs- und Investmentpakete anbieten. Medien und Kunden haben infolge der Vernetzung einen besseren Marktüberblick und erweisen sich als zunehmend kritisch in Hinblick auf Preise und Leistungen.

Man kann nur hoffen, dass die Aufsicht über diese Finanzkonglomerate in ähnlichem Umfang mitwachsen wird, damit die Österreicher (sowie alle Europäer) ihre "wohlverdienten Ruhestände" tatsächlich so zufrieden geniessen können, wie es die Werbespots suggerieren.

Der Autor ist Leitungsassistent in der Abteilung für volkswirtschafltiche Studien in der Oesterreichischen Nationalbank.

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