Ein Alter erzählt, daß er auch nicht anders war

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In Rene Appels neuem Roman erweist sich der Blickwinkel des Alten auf die Probleme der Jungen als erstaunlich produktiv.

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In Rene Appels neuem Roman erweist sich der Blickwinkel des Alten auf die Probleme der Jungen als erstaunlich produktiv.

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In einer holländischen Kleinstadt suchen fünf Jugendliche der Normalität des Friedens mit allen Mitteln zu entfliehen. Während ihre Eltern mit dem Wiederaufbau und der Versorgung ihrer Familien überlastet sind, trauern sie dem Kriegschaos nach, das schulfreie Tage und klare Feindbilder ermöglicht hat: "Wie schön war der Frieden, als noch Krieg war." Jetzt ist plötzlich alles anders. Die Nazi-Lehrer verschwinden, doch auch die neuen Lehrer verlangen Ordnung und Leistung, und sie wollen nicht mit Politik und Sinnfragen belästigt werden. So auch die Eltern, die ihren Kindern unter großen Mühen eine fundierte Ausbildung als Sprungbrett für ein besseres Leben ermöglichen wollen.

Drei Burschen und zwei Mädchen schließen sich zu einer Gruppe zusammen, um gegen die Normen und Regeln der Erwachsenen Widerstand zu leisten, und instinktiv ihr eigenes Erwachsenwerden zu verweigern. Mehr aus Langeweile denn aus Überzeugung beginnen sie, Lehrer zu provozieren, Abmachungen mit den Eltern nicht einzuhalten und sich so von den faden, belanglosen Mitschülern abzugrenzen. Die Sanktionen wie Hausarrest oder Schulkarzer werden mit verächtlichem Schweigen ertragen, um danach die Mutproben nur noch zu verstärken. Die Burschen wollen den Mädchen beweisen, wie mutig sie sind, die Mädchen erhöhen den Druck mit ihrer Bewunderung. Bei Einbrüchen in Lehrerwohnungen, bei denen sie sichtbare Spuren hinterlassen, um ihre Macht zu demonstrieren, ohne etwas zu stehlen, werden sie schließlich ertappt. Die Milde der Polizei, das Verständnis der Eltern und gutes Zureden der Lehrer verhallen ungehört. Nun ist man endlich "anders" als alle anderen. Man wird von den Mitschülern gemieden, was noch mehr zusammenschweißt. Mit der "Heldentat", gemeinsam durch die Abschlußprüfung zu fliegen, ist der Weg zurück versperrt. Die Chance auf eine Wiederholungprüfung ist zu banal, zu wenig spektakulär, um sie zu ergreifen. Die Zukunft erscheint immer deutlicher als schwarze Sackgasse. Alkohol kommt ins Spiel, um die schalen Gefühle von Sinnlosigkeit und Weltschmerz hinunterzuspülen.

Was als Spiel pubertierender Jugendlicher begann, endet in einer Tragödie mit zwei Todesopfern. Fünfzig Jahre nach den tragischen Ereignissen versucht einer von ihnen, die Spuren einer Katastrophe wieder aufzunehmen, von der seine Verdrängung keine klaren Bilder mehr zurückgelassen hat. Aus der Rekonstruktion der Ereignisse wird den drei ehrenwerten Pensionisten klar, daß sie der Lebenslüge, der sie alle entfliehen wollten, nicht entkommen sind.

Rene Appel, erfolgreicher Romanautor und Literaturkritiker in den Niederlanden, hat ein erschreckend aktuelles Buch über jenen Lebensabschnitt geschrieben, der rückblickend so gerne als "der glücklichste" bezeichnet wird, was sich bei genauerer Betrachtung als fataler Irrtum herausstellt. Jungsein als Phase der Verwirrung, des Ausgeliefertseins, der begrenzten Möglichkeiten und der widersprüchlichsten Sehnsüchte erwachender Sexualität wird in dem Roman als zeitloses Phänomen deutlich. Wenn dann noch wirtschaftliches Chaos, gesellschafttliche Orientierungslosigkeit und fehlende Vorbilder dazukommen, kann der Druck auf Jugendliche einfach zu groß werden. Erwachsene, die ausweichende oder keine Antworten geben, Eltern, die von ihren eigenen Problemen fast erdrückt werden und ein Schulsystem, das so tut, als ginge es das alles nichts an - im vorliegenden Roman wird der Holocaust totgeschwiegen - lassen intelligenten und sensiblen Jugendlichen zu wenig Luft zum Atmen.

Daß der Autor die Geschichte aus der Perspektive eines alten Menschen erzählt, macht sie im Gegensatz zu vielen "Jugendromanen" in Ton und Reflexion glaubwürdig. Sie relativiert auch die jugendliche Verunsicherung durch die glaubwürdig beschriebene lebenslange Unsicherheit, die kritische Menschen begleitet. Ein leicht lesbarer und lesenswerter Roman. Fazit: "Wenn wir heute jung wären, würden wir vielleicht Drogen nehmen, Heroin, Kokain, Ecstasy..."

Tod am Leuchtturm. Roman von Rene Appel. Übersetzung: Gregor Seferens Verlag Nagel & Kimche, Zürich 2000 370 Seiten, geb., öS xxx /e 000,

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