Ein Beruf auf der Couch

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Warum wird man Psychotherapeutin oder -therapeut? Und wie geht man mit den Stolpersteinen um? Schlaglichter auf eine Profession.

Schon Sigmund Freud war sich der Misere bewusst: Das Psychotherapeuten-Dasein sei ein "unmöglicher Beruf" - ebenso wie das Erziehen und Regieren. Schließlich seien allen drei Professionen Misserfolge sicher, glaubte er - und machte gleichzeitig keine Anstalten, sein eigenes risikoreiches Graben in fremden Innenwelten einzustellen.

Wie einst Freud haben sich heute in Österreich über 5.700 Personen - zwei Drittel davon Frauen - für diesen "unmöglichen" Beruf entschieden. Für ihren Traumjob haben sie eine sechs- bis siebenjährige Ausbildung zum Preis von 35.000 bis 40.000 Euro absolviert, haben Theorie gelernt, eine Eigentherapie durchgemacht, an Supervisionen teilgenommen und therapeutische Praxis gesammelt. Ganze vier von zehn Propädeutikum-Kandidaten haben schließlich ihr großes Ziel erreicht: die Eintragung in die Psychotherapeutenliste des Gesundheitsministeriums. Was sind das für Menschen, die all dies auf sich nehmen, um tagtäglich den Problemen anderer Menschen nachzuspüren?

Berufsgrund: Selbstheilung

Es sind solche, die sich für ihre Aufgabe berufen fühlen. Davon ist zumindest Eva Jaeggi, emeritierte Professorin für klinische Psychologie an der TU Berlin, überzeugt. In ihrem Buch "Und wer therapiert die Therapeuten?", das erstmals 2001 bei Klett-Cotta erschienen ist und nun als Taschenbuch neu aufgelegt wurde, geht sie den verschiedenen Facetten dieses "unmöglichen" Berufes auf den Grund: Sie fragt (selbst)kritisch nach den Motiven von Psychotherapeutinnen und -therapeuten für ihre Berufswahl, ihre hohen Erwartungen und das allzu häufige, weil menschliche Scheitern - in Form von Burnout, Beziehungsproblemen und dem (ökonomischen, emotionalen oder sexuellen) Missbrauch ihrer Klienten.

Als Gründe für die Berufwahl werden laut Jaeggi oft "Erleuchtungserlebnisse" oder das "Helfersyndrom" genannt. Auch hätte sich gezeigt, dass Psychotherapeuten ihre Berufswahl "unter dem Aspekt der Selbstheilung" treffen würden, glaubt die Psychologin: "Es sind also sehr persönliche Motive, häufig defizitärer Art, die zur Berufswahl des Psychotherapeuten führen." "Diese Einschätzung teile ich vollständig", meint dazu der Wiener Psychoanalytiker Alfred Pritz, Präsident des Weltverbands für Psychotherapie. "Aber überall dort, wo man selbst seinen Beruf wählen kann, wählt man ihn auch deswegen, um mit eigener Problematik fertig zu werden. Das ist beim Lehrer nicht anders als beim Anwalt oder Arzt." Dass zwei Drittel der Therapeuten Frauen sind, ist laut Pritz "sicher kein Zufall", gehe es doch "ganz wesentlich um Empathie".

Eine, die diese Möglichkeit zur Einfühlung als großen Vorteil ihres Berufes sieht, ist die Grazer Integrative Gestalttherapeutin Liselotte Nausner: "Das schönste an dem Beruf ist, dass man an ganz vielen Leben teilnehmen darf", so Nausner. Als 51-jährige Frau genieße sie es zudem, in einem Beruf tätig zu sein, "wo jeder Tag, den man älter wird, auch ein zusätzlicher Gewinn ist." Belastend sei nur, dass man manchmal Patienten habe, um die man sich Sorgen mache oder die in der therapeutischen Beziehung schwierig seien. Und dass der finanzielle Druck mangels adäquater Kassenhonorare steige.

Mit relativ wenig Druck sind Therapeuten hingegen bei Verfehlungen konfrontiert. Derzeit liegt das Risiko, von der Psychotherapeutenliste des Gesundheitsministeriums gestrichen zu werden, praktisch bei null: "Da muss jemand schon sehr krank sein oder viel anstellen, damit er ausgetragen wird", weiß Gerhard Pawlowsky, stellvertretender Vorsitzender des Beschwerdeausschusses im Psychotherapiebeirat, der - mangels Psychotherapeutenkammer - im Ministerium angesiedelt ist. Erst, wenn eine Kammer besteht, ist auch ein Disziplinarverfahren möglich. Über die Gründung einer Kammer wird laut Magret Aull, Präsidentin des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie (ÖBVP), gerade verhandelt.

Gründe für ein disziplinäres Einschreiten gäbe es jedenfalls genug: So wurden laut Auskunft des Berufsethischen Gremiums des ÖBVP von 1995 bis 2003 österreichweit 420 Anfragen an die Schiedsstellen der einzelnen Landesverbände gemeldet; davon betrafen 100 Beschwerden die Therapiekosten, 40 eine Verschwiegenheitsverletzung, 60 einen möglichen Machtmissbrauch und 45 sexuelle Übergriffe im Rahmen der Therapie.

Missbrauch mit Dunkelziffer

Die Dunkelziffer ist freilich beträchtlich. Laut Studien in den USA kommt es bei 9,5 bis zwölf Prozent der männlichen Therapeuten zu sexuellen Übergriffen. Teresa Lugstein hat selbst vor Jahren eine solche Erfahrung gemacht. Heute kämpft sie als Initiatorin der Salzburger Selbsthilfegruppe "Überlebt" von Frauen mit Missbrauchserfahrungen auch gegen Übergriffe in Therapien - mit Erfolg: Gemeinsam mit dem Berufsethischen Gremium des ÖBVP und der Salzburger Patientenanwaltschaft hat sie etwa darauf hingewiesen, dass sexueller Missbrauch im Rahmen einer Therapie bisher nicht unter Strafe stand. Erst mit 1. Mai dieses Jahres wurde diese Lücke geschlossen.

BUCHTIPP:

UND WER THERAPIERT DIE THERAPEUTEN?

Von Eva Jaeggi. Verlag dtv, München 2004. 224 Seiten, TB, e 9,30.

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