Ein Engel namens Nachbarin

Werbung
Werbung
Werbung

Der Verein "Nachbarinnen in Wien“ macht Migrantinnen zu Brückenbauerinnen für isoliert lebende Frauen aus demselben Kulturkreis. Die Initiatorinnen wurden nun "Österreicherinnen des Jahres“.

Es war vor zwei Jahren, als Iman Warsame hierher nach Wien gespült wurde: ohne Geld, ohne Deutschkenntnisse und fast ohne Familie. Ihr Mann war im Bürgerkrieg in Somalia erschossen worden; und ihre zwei jüngeren Kinder hatte sie bei Verwandten zurücklassen müssen, weil das Geld für die Flucht aller nicht reichte. Bald würde sie ihre Tochter und den zweijährigen, körperlich schwer behinderten Sohn Ibrahim nachholen können, hoffte die 29-Jährige. Es war diese hartnäckige Hoffnung, die sie als Mutter davor bewahrte, vor Sorge und Kummer durchzudrehen.

Doch die Mühlen der Ämter mahlten langsam - und das Gefühl des Alleingelassenseins wuchs. In einer Moschee traf Iman schließlich auf Asha Osman, eine studierte Wissensmanagerin, die 15 Jahre lang bei der UNO in Somalia gearbeitet hatte und nicht nur arabisch, sondern auch sehr gut Deutsch sprach. Es war Asha, die sie fortan beim Kontakt zu Behörden oder Sozialarbeitern unterstützte - und die sie auch in die "Bassena“ brachte, wie das Begegnungszentrum der Wohnsiedlung "Am Schöpfwerk“ in Wien-Meidling heißt.

Glückliche Wendung

An diesem Freitag Vormittag ist Iman Warsame zum Frauenfrühstück in die "Bassena“ gekommen - und hält strahlend den kleinen Ibrahim am Schoß. Vier Wochen ist es her, dass sie und ihre drei Kinder nun endlich wieder vereint sind. Auch eine eigene Wohnung ist in Aussicht; ein spezieller Rollstuhl entlastet sie vom ständigen Tragen ihres mittlerweile vierjährigen Sohnes; und Lernhelferinnen unterstützen die zwei älteren Kinder in der Schule.

Asha, die neben ihr am Tisch sitzt, hat wesentlichen Anteil an dieser glücklichen Wendung. Aber auch Renate Schnee, die seit über 30 Jahren die "Bassena“ leitet. Es war die beherzte Sozialarbeiterin, die gemeinsam mit der engagierten Ärztin Christine Scholten den Verein "Nachbarinnen in Wien“ gegründet hat - ein Empowerment-Projekt, für das die beiden im Rahmen der Presse-Aktion "Austria ’13“ zu "Österreicherinnen des Jahres 2013“ im Bereich Humanitäres Engagement gewählt wurden (s.u.).

Es begann 2009, als Schnee und Scholten in der "Bassena“ eine wöchentliche Sozial- und Gesundheitsberatung initiierten. "Mit dem Thema Gesundheit sind wir aber nur eingestiegen, um auch auf andere Themen zu kommen: Wie gehe ich mit meinen Kindern um? Wie verhüte ich? Oder: Was mache ich, wenn mein Mann etwas nicht erlaubt?“, erklärt die Internistin Scholten, die in Wien-Favoriten eine Kassenpraxis führt und selbst etwas Türkisch beherrscht. "Immer aber mit dem Fokus darauf, die Frauen nicht aus ihren Familien herauszulösen, sondern die Familien zu stärken.“ Bald jedoch wurde klar, wie schnell man als Österreicherin an sprachliche oder kulturelle Grenzen stößt. "Frauen mit der gleichen Sprache und Kultur haben einen ganz anderen Zugang“, erklärt Renate Schnee. "Sie wissen, wie verloren man sich auf einem Amt oder in der U-Bahn fühlen kann.“

Die quirlige Gül Ekici, selbst als Jugendliche aus der Türkei nach Wien gekommen, kannte das nur zu gut: Sie wurde also geringfügig angestellt und gebeten, Kontakt zu den türkischen Frauen herzustellen und ihnen die Angebote der "Bassena“ nahezubringen: darunter auch Gymnastik oder Nordic-Walking mit Kopftuch. Bald war klar, dass es mehr solche Güls brauchte - und für sie alle eine Anstellung, eine Schulung und einen Namen. "Stadtteilmütter“, wie man in Berlin zu ihnen sagte, passte nicht zum Austausch auf Augenhöhe, den man wollte. Aber "Nachbarinnen“ ganz exakt. 13 teilzeitangestellte Nachbarinnen gibt es heute in Wien - die eine Hälfte Am Schöpfwerk, die andere im zweiten und 20. Bezirk. Sie alle haben heuer jenen fünfmonatigen Kurs durchlaufen, den Evelyn Klein von der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt entwickelt hat und bei dem 18 Expertinnen (die meisten selbst mit Migrationshintergrund) unterrichten.

Auch Asha Osman ist seit September 20 Stunden pro Woche als "Nachbarin“ angestellt: Sie fragt Arabisch sprechende und zurückgezogen wirkende Frauen - wie damals Iman Warsame - nach etwaigen Problemen und erzählt ihnen von der Möglichkeit einer Lernhilfe für ihre Kinder. "Das ist der Joker, da knien die meisten Frauen nieder“, sagt Renate Schnee mit leuchtenden Augen. Rund 50 Studierende gehen als Lernhelfer in die Familien und erhalten dafür zehn Euro pro Stunde. Zwei Euro kommen von den Familien selbst; der Rest wird aus Spendengeldern finanziert. Im selben Stundenausmaß dieser Lernhilfe müssen die Mütter freilich auch etwas für sich selber tun: etwa einen Deutschkurs besuchen; oder gemeinsam mit anderen Frauen mit Kopftuch walken gehen. So will es die "Regel 7“.

Schließlich schreiben die Frauen und ihre Nachbarinnen in einem Heft auch konkrete Ziele fest, um das Leben in der Familie zu verbessern: Gelingt es, nur eine Fernsehserie pro Tag anzuschauen? Oder den Sohn beim Fußballverein anzumelden? So sind die Fortschritte mit Händen zu greifen.

Empowerment für alle

"Hilfe zur Selbsthilfe“ lautet die Devise - und zwar für alle Beteiligten. Das jüngste Frauenfrühstück etwa, bei dem eine Psychologin über Erziehung referierte, wurde von den Nachbarinnen selbst organisiert. Und so manche betreute Frau wird wohl ihrerseits wieder eine "Nachbarin“ werden. "Transferarbeitsplatz“ nennt das Christine Scholten - und freut sich mit Renate Schnee über das Austria ’13-Preisgeld von 10.000 Euro, mit dem immerhin tausend Lernhilfestunden finanziert werden können; so manche davon auch für Ibrahim und seine Geschwister. "Wir haben schon jetzt vier Kinder davor bewahren können, aus rein sprachlichen oder sozialen Gründen in die Sonderschule zu kommen“, sagt die Ärztin. "Allein deshalb hat es sich schon gelohnt.“

Weitere Infos unter www.nachbarinnen.at

(Absetzbare) Spenden an Verein Nachbarinnen, Ko-Nr. 10001479988, BLZ 12000 (Bank Austria)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung