Ein "großer Wurf" auf halber Strecke

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Nach heftigen Querelen hat die Regierung die Ausbaupläne zur Kinderbetreuung abgesegnet. Doch viele Baustellen im Elementarbereich bleiben.

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Nach heftigen Querelen hat die Regierung die Ausbaupläne zur Kinderbetreuung abgesegnet. Doch viele Baustellen im Elementarbereich bleiben.

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Vor zwei Wochen lagen noch die Nerven blank. Muss eine Kinderbetreuungseinrichtung mindestens 47 oder nur 45 Wochen im Jahr geöffnet haben, um förderungswürdig zu sein? Fragen wie diese sorgten zwischen Familienministerin Sophie Karmasin, Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) und den Bundesländern tagelang für bad vibrations. Doch Dienstag dieser Woche hat die neue 15a-Vereinbarung zum Ausbau der Kinderbetreuung doch noch den Ministerrat passiert. Insgesamt 305 Millionen Euro wird der Bund demnach in den kommenden vier Jahren in den Ausbau des Kinderbetreuungsangebotes investieren. 30.000 neue Plätze für Unter-Dreijährige will man dadurch schaffen - und damit endlich das Barcelona Ziel erreichen, nämlich eine Betreuungsquote von einem Drittel in dieser Altersgruppe. Doch auch die Qualität rückt verstärkt in den Fokus. Anders als bisher können die Gelder auch für kleinere Betreuungsschlüssel, Personal- und Investitionskostenzuschüsse, generations- und gemeindeübergreifende Projekte sowie Tageseltern verwendet werden.

Mit durchschnittlich 44 Prozent müssen die Länder weniger kofinanzieren, als zuletzt geplant. Zudem können sie einen Teil der nicht ausgeschöpften Mittel in die Folgejahre "mitnehmen". Auch die von ihnen vielfach geforderte Mindestöffnungszeit von 45 Wochen jährlich bleibt bestehen - gekoppelt freilich mit einer höheren Förderung "elternfreundlicher" Angebote: Halbtägige Plätze werden etwa mit maximal 2000 Euro jährlich gefördert; neue Angebote, die sich mit einer Vollbeschäftigung der Eltern vereinbaren lassen, mit bis zu 4500 Euro.

Empfehlungen statt Verbindlichkeiten

Es sei "die größte Ausbauoffensive der Kinderbetreuung, die es in Österreich je gegeben hat", jubelte die Regierung. Von einem "großen Wurf" war die Rede, und von einem "wichtigen Signal". Deutlich verhaltener fiel die Reaktion bei den Expertinnen aus. "Bezüglich unserer Forderungen, dass man endlich wegkommt von bloßen qualitativen Empfehlungen und diesem ständigen Bund-Länder-Vereinbarungssystem, hat sich gar nichts verändert", klagt etwa Heidemarie Lex-Nalis von der Plattform EduCare gegenüber der FURCHE. Was es brauche, sei endlich ein bundeseinheitliches Qualitätsrahmengesetz, das verbindlich für alle elementarpädagogischen Einrichtungen Betreuungsquote, Gruppengröße oder Raumbedarf sowie die nötige Aus-und Fortbildung der Mitarbeiterinnen regle.

Dass Familienministerin Sophie Karmasin Anfang Juni im FURCHE-Interview der - auch im Regierungsprogramm angedachten - akademischen Ausbildung von Elementarpädagoginnen eine harsche Abfuhr erteilte ("Wenn wir nur noch Akademiker in Kindergärten beschäftigen würden, dann wäre das System nicht aufrechtzuerhalten" bzw. "Müssen wir jetzt auch akademische Tischler haben?"), habe "das Fass zum Überlaufen gebracht", so Lex-Nalis. Bereits 1500 Personen hätten jene Online-Petition unterschrieben, die neben einer universitären Ausbildung von Kindergartenpädagoginnen auch eine drastische Senkung des Betreuungsschlüssels fordert: Derzeit ist eine Pädagogin für bis zu 25 Drei-bis Sechsjährige bzw. bis zu 15 Unter-Dreijährige zuständig; nach internationalen Empfehlungen sollen es maximal acht bzw. drei Kinder sein. Nur unter ähnlichen Voraussetzungen lasse sich der seit 2009 bestehende bundesländerübergreifende Bildungsrahmenplan tatsächlich umsetzen, so Lex-Nalis.

Wie dieser Plan im Kindergarten-Alltag zumindest bestmöglich umgesetzt werden kann, haben Expertinnen der St. Nikolaus-Kindertagesheimstiftung der Erzdiözese Wien soeben im Handbuch "Die pädagogische Planung" beschrieben (erhältlich unter office@kathkids.at). Wie schwierig das unter den gegebenen Rahmenbedingungen ist, weiß Susanna Haas, die pädagogische Leiterin der Stiftung, in der heute 82 Standorte mit rund 900 Mitarbeiterinnen und rund 6000 Kindern zusammengeschlossen sind, nur zu gut. "Wenn man diesen Plan ernst nimmt und jedes Kind individuell fördern will, braucht es mehr Ressourcen - und auch eine noch bessere, akademische Ausbildung", sagt Haas.

Die Bundesanstalten für Kindergartenpädagogik (BAKIP) würden eine durchaus solide Ausbildung bieten. "Aber viele dieser ambitionierten Kolleginnen, die mit erst 19 Jahren zu uns kommen, brennen durch die hohen Anforderungen im Beruf rasch aus", ergänzt der Geschäftsführer der Stiftung, Elmar Walter. Dazu kommt, dass 41 Prozent der BAKIP-Absolventinnen ein Hochschulstudium beginnen und anschließend vielfach einen anderen Beruf wählen - etwa jenen der Volksschullehrerin, der nicht nur günstigere Ferienregelungen, sondern in den Augen allzu vieler auch ein höheres Prestige mit sich bringt. "Kindergartenpädagoginnen gelten leider vielfach noch immer als ,Tanten' - obwohl man längst weiß, wie wichtig gerade die elementare Förderung ist", sagt Walter. Wie sehr sich Investitionen im frühkindlichen Bereich lohnen, hat Wirtschaftsnobelpreisträger James Heckmann konkret errechnet: Ein investierter Dollar führt hier zu einer Rendite von acht, bei benachteiligten Kindern sogar von 16 Dollar. Dennoch, klagt Walter, sei der Elementarbereich im föderalistischen Österreich meist nur ein "Spielball der Politik".

Zeit der Pioniere

Monika Riha wollte nicht mehr warten, dass sich das von selber ändert. Die Geschäftsführerin und pädagogische Leiterin des Vereins "Kinder in Wien"(KIWI) hat nach dem Vorbild der Hochschule Koblenz den ersten, akademischen Studiengang für Elementarpädagogik in Österreich initiiert. Über 300 Personen haben sich für das Angebot namens "BABE+"(Bachelor of Arts: Bildung & Erziehung) beworben, 37 Interessenten - darunter sieben Männer - wurden schließlich ausgewählt. Ab September werden sie sieben Semester lang pädagogisches Wissen über die Arbeit mit Kindern zwischen null und zwölf Jahren erhalten - und dieses als Teilzeitangestellte in KIWI-Einrichtungen gleich in der Praxis umsetzen lernen. Auch eine Erweiterung der Ausbildung auf Masterebene ist angedacht. "Was bei mehr finanzieller Unterstützung noch möglich ist, wird man sehen", sagt die Pionierin. "Ideen hätte ich jedenfalls genug."

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