Ein Gutpunkt für einen Kopfschuß

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"Man kann Kinder durchaus lehren, andere Menschen umzubringen", meint der amerikanische Militärpsychologe Dave Grossman. Er hat seine Laufbahn als Soldat beendet, um sich der Erforschung jener Faktoren zu widmen, die sein Handwerk immer bestimmten: Der Lehre vom Töten.

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"Man kann Kinder durchaus lehren, andere Menschen umzubringen", meint der amerikanische Militärpsychologe Dave Grossman. Er hat seine Laufbahn als Soldat beendet, um sich der Erforschung jener Faktoren zu widmen, die sein Handwerk immer bestimmten: Der Lehre vom Töten.

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Mit solchen Fähigkeiten wirst du nie einer von uns," tönt eine Männerstimme aus dem Kinderzimmer. Der kleine Markus hat die Punkte-Anzahl beim Tarzan-Spiel nicht erreicht. Macht nichts. Der gute Onkel im Computer läßt ihn nochmal starten. Mit der Cursor-Taste den bösen Krokodilen eins überziehen, reißenden Stromschnellen ausweichen. Endlich schwingt sich der fünfjährige Markus-Tarzan auf den PC-Lianen über die brüllenden Löwen hinweg ins Ziel. "Bravo", sagt der Onkel über den Lautsprecher. "Du darfst nochmal beginnen, aber nun schneller."

Das Dschungelspiel mit der Maus ist harmlos, keinem Krokodil wird eine Hornplatte, keinem Löwen ein Haar gekrümmt.

Nicht alle Videospiele sind eine Einstiegsdroge zu praktizierter Gewalt. Sie können es aber durchaus sein. Gewaltvideos, wie die der beiden nordamerikanischen Programmierer Romero und Carmack, zum Beispiel. Ein Schuss, ein Toter, heißt die Spielregel ihrer Produkte wie "Doom" und "Quake". Mit Gutpunkt für Kopfschüsse. "Interaktive" Spiele am Computer, deren "didaktisches" Ziel das Auslöschen feindlicher Figuren in Menschengestalt sind, unterweisen junge Spieler effizienter im Töten als militärische Ausbildung. "Da werden wir uns noch umschauen", sagt der US-amerikanische Offizier und Militärpsychologe Dave Grossman. Er hat seine Soldatenlaufbahn beendet und ein Buch geschrieben: "Stop teaching our Kids to kill." "Hört auf, unsere Kinder töten zu lehren."

Das Buch ist im Spätherbst in den USA erschienen und gesellt sich in die lange Reihe der Kritik an Gewalt in alten und, vor allem, neuen Medien. "Schundkampf-Ritus", nennt der deutsche Publizist Kaspar Maase die Empörung über Gewalt- und Horrordarstellungen. Das Entsetzen über die Verrohung, fremdenfeindliche Aktionen und Gemetzel seien Scheingefechte, die vor allem dazu dienten, der Gesellschaft glauben zu machen, daß sie an den Vorrang von Menschlichkeit und Vernunft vor Gewalt und Profit glaubt.

14 Jahre, 14.000 Tote "Niemand kann ausschließen, daß die psychische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen durch Gewalt in den Medien gefährdet ist," meinte Familienminister Martin Bartenstein bei einer Enquete zum Thema "Gewalt in den Medien". Als Schritt in der öffentlichen Bewußtseinsbildung feierte er im Vorjahr die Kennzeichnung von Filmen mit gewalttätigen Inhalten im Österreichischen Rundfunk. Rund 14.000 Todeszenen, zitierte der Minister aktuelle Schätzungen, hat ein Jugendlicher bis zu seinem 14. Lebensjahr konsumiert. Die Morde, die Minderjährige bei Computerspielen "aktiv" selbst begehen können, erfassen Statistiken nicht.

Das Spiel mit Gewalt erzeugt Gewalt, sagt der Militärpsychologe Dave Grossman. Er ist auf erschreckende Zusammenhänge gestoßen, die vielen Eltern längst bekannt sind. Jugendliche und Kinder durchlaufen in ihrer Freizeit eine ähnliche "Ausbildung", die Berufssoldaten zum Töten konditionieren. Gleichsam von der Pike auf, die Methode hat. Mehrere Schritte nennt Grossman, die im Lauf der militärischen Ausbildung absolviert werden, um die Hemmschwelle zu überwinden, einen (feindlichen) Mitmenschen umzubringen.

Cool & gleichgültig Der erste, die Brutalisierung und Desensibilisierung, wird bereits in der Grundausbildung gelegt. Es findet da eine Gehirnwäsche statt, berichtet Grossman, der einige hundert Soldaten interviewte, die getötet haben. Den jungen Rekruten wird beigebracht, eine grausame Welt zu betreten, wo nur die Starken, die Gewalttätigen durchkommen. Anders als die Kids der Konsumwelt lernen sie aber auch strenge Hierarchien und Disziplin. "Ein Sicherheitsriegel", sagt Grossman, den das Militär einbaut, um unkontrollierte Gewalt in den eigenen Reihen zu verhindern.

Vier- und Fünfjährige werden desensibilisiert, indem sie Filme sehen, in denen Menschen grausam niedergemetzelt werden. Sie haben ein Alter, wo sie noch nicht unterscheiden können, was Wirklichkeit ist und was Erfindung. Ähnlich wie die Rekruten entwickeln sie eine Art "Böse-Welt-Syndrom". "Sie werden nicht zwangsläufig kriminell", meint Grossman, "aber sie akzeptieren Gewalt in ihrem Leben leichter. Das ist der Anfang."

Gesunde Menschen haben einen machtvollen Widerstand gegen den Akt des Tötens. Es sei nachgewiesen, dass im Zweiten Weltkrieg nur etwa 20 Prozent der Soldaten auf einen exponierten Feind geschossen haben, spricht Grossman von der "eingebauten Hemmung, einen Artgenossen zu töten." Die meisten hätten, selbst unter eigener Lebensgefahr, irgendwohin daneben gefeuert. Ein Verhalten, das im Krieg und bei der Verbrechensbekämpfung nicht akzeptabel ist. Grossmann: "Das Problem mußte angepackt werden. Man muß eine Person darauf trainieren, zu töten. Und dafür hat das Militär außerordentlich effektive Mechanismen entwickelt." Mechanismen, die auch bei Gewaltvideos funktionieren. Manchmal "effizienter" als in der Ausbildung von - potentiellen - Profis im Töten.

Vor drei Jahren überraschte der 14jährige Michael Carneal die Fachwelt. Er betrat den Hof seiner Schule in Kentucky, schoß und traf achtmal. (Drei tote und fünf schwer verwundete Kinder). Ein durchschnittlicher Polizist hat eine Trefferquote von eins zu fünf, weiss Experte Grossman, der auch die Polizeigruppe der "Green Berets" trainierte.

Wie konnte ein Bursche von 14 Jahren ein derart kühler Schütze werden? "Durch sein Training mit Gewaltvideospielen. Er hielt die Waffe mit beiden Händen und bewegte sich nicht. Er hatte einen vollkommen abwesenden Gesichtsausdruck. Er pumpte jeweils nur eine einzige Kugel in jedes Opfer." Konzentriert wie vor dem Bildschirm daheim: Ein Schuss, ein Treffer. Wie am Computer, wo es gilt, rasch und automatisch auf Reize, etwa sich bewegende Köpfe zu reagieren. "Operante Konditionierung" nennt der Verhaltenspsychologe B.F. Skinner diese Methode, bei der ein Mensch trainiert wird, auf bestimmte Reize zu reagieren und erst dann zu denken. Ein Verhalten, das auch Leben retten kann. Piloten lernen es im Flugsimulator. Nottaste drücken, wenn ein Warnlicht leuchtet. Stundenlang üben sie das Reiz-Reaktion-Spiel für den Ernstfall.

Wann töten wir?

Dave Grossman war bis 1998 Offizier bei der US-amerikanischen Airborne Ranger Infanterie und unterrichtete Psychologie an der Militärakademie in West Point. Der 44jährige mit dem empathisch-sorgenvollen Blick eines Gymnasiallehrers gilt als "Experte fürs Töten". Ein Killologe, sozusagen. Killologie nennt er selbst seine wissenschaftliche Erforschung des destruktiven Aktes. Ihn interessieren die Faktoren, die den Schritt zum Töten erschweren. Oder erleichtern.

Dabei hat er eine Phase in der Freizeitschule der Gewalt entdeckt, die in der militärischen Ausbildung weitgehend tabu ist. Das Verknüpfen von Leid und Sterben mit Vergnügen. Jugendliche der Spaßgesellschaft lernen, den Tod von Menschen lustig oder zumindest als nicht unangenehm zu empfinden. "Der Teenager sieht, wie Leute grausam umgebracht werden, gleichzeitig trinkt er seine Cola und schmust mit der Freundin. Intensiver kann die Verbindung zwischen Gewalt und Gefühl kaum sein." Diese "klassische Konditionierung", mit der Soldaten auf das Töten programmiert wurden, "gilt heute als moralisch untragbar und wird nicht mehr angewandt", meint Grossman. Vielleicht auch, weil die Hemmschwelle zu töten doch größer ist, als jeder Anreiz einer "Belohnung".

Das automatische Reagieren auf Reize, die operante Konditionierung, ist da viel effizienter. Und ist bei so manchen Computerspielen noch gründlicher: Die Videometzeleien führen den Spielern so viele Ziele gleichzeitig vor, daß man sehr schnell sein muß. Und sich nicht lange bei einem "Kill" aufhalten kann.

Wie auf dem Video Gleichzeitig spornt die Belohnung - Gutpunkte für Kopfschüsse, Applaus oder Lob des Spielmoderators im PC - zu verschärftem Training an.

"Ohne den Film wäre das nicht passiert," meinte ein psychologischer Gutachter im Prozeß gegen einen Fünfzehnjährigen, der 1996 vor dem Landgericht Passau stand. Er hatte seine Cousine und seine Nachbarin mit einer Axt schwer verletzt. Strafmildernd für den Jugendlichen wirkte sein "suchtartiger Konsum von Horror-Videos". Die Tat hatte er im Kostüm einer Videofigur, des Jason aus "Freitag der 13. - Ein Neuer Anfang", ausgeführt.

Auch Militärpsychologe Dave Grossman wird demnächst als Gutachter vor Gericht stehen: Die Eltern der Mädchen, die am Schulhof Michael Carneal umgebracht wurden, klagen Videoproduzenten auf 130 Millionen Dollar. Grossman wird sagen, dass Videospiele dem Burschen das Töten beigebracht haben. "Natürlich ist er für seine Tat verantwortlich," sagt er. "Aber die Spiele gaben ihm das Können, seine Tat auszuführen."

Auch in der Videoabteilung einer Billigpreis-Buchkette in Wien wird gemordet. Ein paar Knirpse testen an der Play-Station die Kassette mit dem Titel "James Bond". Ein Ding zwischen Pistole und Gewehr wandert über hysterisches Treiben am Bildschirm. Dunkle Figuren flüchten, ein Klick, ein Schrei. "Cool", meint der Kleine am Joystick, Schultasche am Rücken.

"Jedes Kind kann sich Gewaltvideos kaufen, wenn es nur Geld in der Tasche hat." Gertrude Haberl*, Mutter von vier Buben, erlahmt zunehmend in ihrem Kampf gegen das gewaltige Freizeitverhalten der Kinder. Eines Tages überraschte sie ihren 17jährigen beim Betrachten der Raubkopie eines Videos. Er zeigte die Vergewaltigung von Frauen im Krieg. "Du nervst", meinte der Bursche auf ihre Bemühung, mit ihm zu reden. Sie ging zu schärferen Kontrollen der Schränke in den Kinderzimmern über. Und sie ging in die Video-Abteilung ums Eck, um zu sehen, was legal verkauft wird, am Markt. James Bond-Spiele, bei der menschliche Gestalten unter Applaus weggefegt wurden, hielt sie nicht geeignet für ihre Volksschulkinder. "Gnädige Frau," sagte ein Verkäufer, "seien Sie nicht hysterisch. Kinder wachsen heute anders auf als früher!"...

*Name von der Redaktion geändert.

TIPS & INFOS "Stop teaching our kids to kill", Dave Grossman, Random House, New York, Oktober 1999.

Enquete "Gewalt in den Medien", Tagungsbericht, herausgegeben vom Familienministerium und dem ORF "... so brauch ich Gewalt!": Wie Fernsehgewalt produziert und bekämpft wird. H.W. Ludwig/ Guido Marc Pruys, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden - Baden, 1998 "Warum töten wir?" Interview mit Leutnant Dave Grossman, Die Zeit, 23. September 1999.

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