Ein Jahr der Zuspitzung

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Das alte Jahr 2008 bescherte der Welt eine enorme Wirtschaftskrise. Deren Ausmaß und Schäden sind nicht abzusehen. Mit Ursachen und Folgen hat man sich zu befassen. Marktwirtschaft und Demokratie stehen diesmal nicht auf dem Spiel.

Alles debattiert zur Jahreswende Krise und Rezession, doch auf die gestellten Fragen gibt es - noch - keine Antwort. Niemand vermag abzuschätzen, wie lange die Rezession dauern wird, keiner kann Auskunft geben, wie hoch die globalen Schäden sein werden. Die Summen, die seit dem totalen Zusammenbruch einer völlig hypertrophen Finanzierungsindustrie nachrichtlich im Umlauf sind, übersteigen jegliches Vorstellungsvermögen. Für Österreichs Banken werden 100 Milliarden Euro bereitgestellt, für jene Deutschlands über 480 Milliarden. Ein Defraudant in den USA soll einen Schaden von 50 Milliarden Euro angerichtet haben, andernorts wiederum benötigen Staaten Notstandsbeihilfe für die Währung oder die Ölrechnung. Es ist ein Desaster, in welches die Welt von dumm-dreisten Söldnern zynischer Warlords des angelsächsischen Kapitalismus getrieben wurde.

Das Entsetzen über den Schaden für Millionen Hausbesitzer, Sparer und Arbeiter ist flächendeckend. Die Empörung über die Rentenkapitalisten, die ihr Geld arbeiten lassen, ist berechtigt. Der Ruf nach Vergeltung verständlich.

Märkte brauchen Regeln und Kontrolle

Und dennoch: Es bleibt die Methode erster Wahl, eine Gesellschaft unter anderem über privates Eigentum zu strukturieren und die Wirtschaft über Wettbewerb zu organisieren. Aber das ist nicht alles. Zum nötigen sozialen Ausgleich per Sozialstaat und Umverteilung gehören Prinzipien der Ökologie und der Nachhaltigkeit. Die drohen jetzt unter die Räder der Rettungsfahrzeuge des zu Hilfe gerufenen Staates zu geraten. Das ist schlimm genug, doch es drohen, man glaubt es kaum, weit größere Gefahren.

Deren erste besteht darin, sich angesichts des Kampfes gegen die Folgen der Wirtschaftskrise der Erforschung ihrer Ursachen zu entziehen. Das wird aber nötig sein, denn Märkte brauchen Regeln und Spieler ihre Kontrolleure. Und es wird nicht reichen, wie etwa hierzulande geplant, lediglich den Finanzdienstleistungsassistenten das - freie - Handwerk zu legen.

Der nächsten Gefahr, nämlich jener der bedenkenlosen Ausweitung staatlicher Aufgaben und Ausgaben, wird schon viel schwieriger zu begegnen sein, weil sie von der großen, dritten Gefahr ihre Kraft bezieht: dem verständlichen Ruf nach den einfachen Lösungen, dem inakzeptablen Wunsch nach dem starken Mann.

Wir haben uns hierzulande an Patronage gewöhnt, tauschen mit leichter Hand Mündigkeit und Eigenständigkeit gegen Sicherheit. Der quasi ständestaatlichen Klientelpolitik der Großparteien fehlen zwar zunehmend Größe und Klientel, aber die latente Bereitschaft, Gefolgschaft gegen Obsorge einzutauschen, ist fruchtbar noch. Nun ist in Tat und Wahrheit der Staat gefordert. Aber das vor uns liegende Wahljahr 2009 ist zwangsläufig eines der politischen Zuspitzung. Wenn die Rezession nach dem Abklingen von Kaufrausch und Korkenknallen einsetzt, werden wir das Umfeld kaum wiedererkennen.

Die Feindbilder der Populisten

Der Benennung eines Feindbildes - wie der EU - werden in den Debatten die Schuldzuweisungen folgen, etwa an die Adresse der Banken. Abgelöst werden diese überschießenden Wortschwälle der Populisten und Schlagzeilen des Boulevards dann von deren Aufforderungen an die Politik, endlich zu entscheiden, rasch und einfach. Das erfordere ja schon die Notlage einer ständig steigenden Anzahl an Arbeitslosen, wird es in Bälde heißen.

Im vorigen Jahrhundert haben - unter anderem - Not, Feindbilder und eine fragwürdige Beschäftigungspolitik der Diktatur den Weg geebnet. Vor diesen Gefahren waren die USA schon im 20. Jahrhundert gefeit, Europa ist es erst in diesem Jahrhundert. Marktwirtschaft und Demokratie sind stabil, müssen aber Einsicht, Fähigkeit zur Kurskorrektur und Leistungsvermögen 2009 neu beweisen: dass sie die Krise zwar nicht zeitgerecht erkannt haben, jetzt aber in der Lage sind, richtige Konsequenzen zu ziehen. Wir stehen zwar nicht vor unbewältigbaren, jedenfalls aber vor sehr schwierigen Zeiten.

claus.reitan@furche.at

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