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Ein Leben lang sterben lernen

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Bei den Salzburger Hochschulwochen befaßt sich Renate Hausner mit der Kulturgeschichte des Sterbens: Ein Gespräch über Leben und Tod.

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Bei den Salzburger Hochschulwochen befaßt sich Renate Hausner mit der Kulturgeschichte des Sterbens: Ein Gespräch über Leben und Tod.

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DIEFURCHE: Warum scheint heute das Nachdenken über den Tod aus dem Leben ausgeblendet zu sein? renate hausner: Sterben und Tod sind für die meisten in weiter Ferne von der Mitte des Denkens und Fühlens angesiedelt: Erstens verleiht uns die relativ hohe Lebenserwartung das Gefühl, zumindest für ein paar Jahrzehnte fast „unsterblich” zu sein. Zweitens haben wir Sterben und Tod weitgehend aus der alltäglichen Lebenswirklichkeit verbannt, bringen die Sterbenden etwa in sterile Krankenhäuser. Und drittens haben sowohl Quantität wie Qualität der Präsentation von Sterbeszenen in den Medien in unserem Empfinden zu erschütternder Nivellierung von deren Dramatik geführt.

DIEFURCHE: Wie erklären Sie diese Desensibilisierung? hausner: Die Flut von Todesbildern in der Rerichterstattung - Kriege, Hungersnöte, Seuchen, Naturkatastrophen - hat eine derartige Reizüberflutung ausgelöst, daß sich jeder Medienkonsument, wenn schon nicht mit äußerlichem Abschalten des Fernsehgeräts, so doch mit einem inneren Abschalten von Emotionen zu schützen versucht. Auch die Tatsache des massenweise „gespielten” Todes in Krimis, Gewalt-und Actionfilmen trägt dazu bei, daß die Grenzen zwischen Fiktion und Realität zu fließen beginnen.

DIEFURCHE: Auch wenn wir es nicht mehr wahrhaben wollen, gilt noch immer „ Mitten im Leben sind wir im Tod”. hausner: Retroffen werden wir vom Sterben eigentlich nur mehr beim Tod naher Angehöriger, oder wenn wir selbst, von Unfall oder lebensbedrohender Krankheit heimgesucht, nur knapp dem Tod entronnen sind.

DIEFURCHE: Wie reagieren Menschen des Internet-Zeitalters, wenn die Bilder des „virtuellen” Todes verblassen und der reale Tod in unseren Lebenskreis tritt? .

Hausner: Wir sind auf derartige Einbrüche in alltägliche Lebensgewohnheiten nicht vorbereitet. Weil wir, wie Martin Luther sagt, als Menschen „zum Sterben nicht geboren” sind, reagieren wir meist mit einer psychischen Krise.

DIEFURCHE: Verstärkt durch die Angst vor der „Zukunft nach dem Tod”? hausner: Die Frage nach dem Sinn des Lebens, die Rilanzierung unserer Taten und vor allem Nicht-Taten, führt zur Erkenntnis, daß wir zumindest gelegentlich auch gegen unsere ethischen Prinzipien gehandelt haben. Dies erweckt vor allem bei gläubigen Menschen Furcht vor Restrafung durch einen richtenden Gott. Für den Nicht-Gläubigen aber ist der Rlick in die Zukunft nicht weniger angstvoll besetzt. Er fragt sich: Wohin geht die Reise? Gibt es überhaupt eine Reise?

DIEFURCHE: Wie begegneten Menschen verschiedener Epochen dieser emotionalen Krise?

Hausner: Die Menschen haben zu allen Zeiten den Sterbeprozeß ausführlich reflektiert, sei es, um sterbenden Angehörigen hilfreich beistehen zu können, sei es aber auch, um sich selbst auf das eigene Ende vorzubereiten. Dies hat in einzelnen Epochen zur Ausbildung eines ganzen Katalogs von Anweisungen zum Sterben geführt. Entweder in Form eines Gewohnheitskanons von speziellen Verhaltensweisen und Ritualen, oder aber, etwa im Mittelalter, in Gestalt von schriftlich niedergelegten Regeln zur Sterbevorbereitung und Sterbebegleitung. In einem solchen Fall kann man von einer ausgeprägten Sterbekultur sprechen, einer Ars moriendi, die zu den humansten Leistungen menschlichen Kulturschaffens zu zählen ist.

DIEFURCHE: Wie unterscheidet sich der Umgang mit Tod und Sterben im Mittelalter von dem heutigen? hausner: 'Es ist wichtig, zwischen „Sterbebegleitung” und „Sterbevorbereitung” zu unterscheiden. Reides im Hinblick darauf, daß im Mittelalter die Sterbestunde extrem angstbesetzt war: Die Menschen lebten in der Überzeugung, der Teufel benütze die äußerste physische Schwäche des Sterbenden dazu, noch einmal mit größter Gewalt dessen Seele zu versuchen, um sie endgültig zu gewinnen. Dies aber wollten die himmlischen Mächte verhindern und bemühten sich ihrerseits, die Seele vor den Anfechtungen des Teufels zu bewahren. - Über dem Sterbenden tobte in dieser Vorstellung also ein apokalyptischer Kampf transzendenter Mächte. Der Sterbende selbst mußte in diesem Kampf aktiv gegen die Versuchungen ankämpfen.

DIEFURCHE: Wie hat in einem solchen Schreckensszenario „ Sterbebegleitung ” ausgesehen?

Hausner: Die „Sterbebegleitung” war fast rein spirituell. Kleriker, aber auch Laien, leisteten Reistand durch Gebete und rituelle Formeln. Psychologische oder medizinische Retreuung spielte dabei eine untergeordnete Rolle. Ein Erlaß des IV. Laterankonzils verfügte gar, daß kein Arzt einem Kranken Medizin für den Leib verabreichen dürfe, ehe er ihn nicht dazu angehalten habe, nach einem geistlichen Arzt, einem Reichtvater zu fragen. Die größte Angst des mittelalterlichen Menschen galt dem „zweiten”, dem seelischen Tod, der mit jedem Mittel verhindert werden sollte. Die körperlichen Nöte und Ängste wurden dem Sterbenden eher zur Duldung empfohlen, weil man meinte, daß durch Ertragen von Leid ewige Sündenstrafen im Diesseits abgebüßt werden könnten: Sterbebett also als eine Art Purga-torium mit kathartischer Funktion.

DIEFURCHE: Das ist das Gegenteil von dem, was heute,unter „Sterbebegleitung” verstanden wird hausner: Heute steht die physische Sanierung an erster Stelle, dann folgen psychologische und soziale Retreuung. Spirituelle Retreuung, im Mittelalter fast einzige Methode der Sterbebegleitung, spielt heute kaum eine Rolle. Das zeigt sich am eindrucksvollsten im dramatischen Rückgang der Krankensalbung. In den 60er Jahren empfingen, wie mir ein Krankenhausseelsorger berichtete, noch 90 Prozent der Katholiken dieses Sakrament, das damals freilich auch post mortem gespendet wurde, gegenwärtig sind es nur mehr fünf Prozent. Das halte ich für besonders bedauerlich, da die nach dem II. Vatikanum für die Sterbebegleitung ausgewählten Texte in hohem Maß

' Trost und Hoffnung spenden könnten. Die katholische Theologie hat,mit

' dem II. Vatikanum auf dem Gebiet der Sterbehilfe eine erstaunliche Wende vollzogen: Ris dahin war das Rild der Sterbestunde angstbesetzt und mit der Reschwörung von Teufeln und Dämonen noch direkt von der mittelalterlichen .Ars moriendi beeinflußt. Das Mittelalter endet in bezug auf kirchliche Sterbebegleitung erst in den 70er Jahren dieses Jahrhunderts.

DIEFURCHE: Was bedeutete „Sterbevorbereitung” im Mittelalter und was heute? Wie können wir lernen, uns mit unserem Tod zu versöhnen?

Hausner: Im Mittelalter galt es, sich lebenslänglich auf den Endkampf der Todesstunde vorzubereiten. Dies geschah am sichersten durch Weltflucht. Empfohlen war also Lebensführung mit Rlickrichtung auf die letzte Redrängnis, eine Integration des Sterbeprozesses ins Leben hinein: ein totes Leben als Preis für einen lebensspendenden Tod. Wieder ist die heutige Sicht genau umgekehrt: „Ars moriendi als Ars vivendi” erfordert keineswegs Weltflucht. Die wichtigste Voraussetzung für eine Re-wältigung der Angst vor dem Tod ist eine lebenslange Reschäftigung mit dem Sterben. Das kostet Überwindungskraft, denn, wie Seneca sagt: „Nicht den Tod fürchten wir, sondern den Gedanken an den Tod.” Wichtig wäre es darum, das Leben immer wieder vom Tod her aufzurollen, die Ereignisse jedes Tages vom Rlickwinkel der Todesstunde her zu interpretieren. Außerdem kann Sterben auch schon im täglichen Leben eingeübt werden, indem wir Ereignisse in unserem Leben, die mit „Abschied” zu tun haben, als kleine „Tode” verstehen und bejahen lernen: etwa Verlust, Trennung oder die Wahrnehmung unserer Regrenztheit. Diese kleinen „Tode” gilt es, bewältigen zu lernen, um für den einmaligen großen Tod besser gerüstet zu sein.

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