"Ein neues Verhältnis zur Monogamie"

Werbung
Werbung
Werbung

Die konservativsten Politiker leben ja heute meistens in den schrägsten Liebesverhältnissen. (Matthias Horx)

Heute kehren wir eher wieder zu den Liebesformen unserer Ur-Vorfahren, der Jäger und Sammler zurück. Es gibt in der globalisierten Welt eine Renaissance der 'nomadischen Liebe'.

Matthias Horx ist ein viel beschäftigter Mann, und er hat ein großes Thema: die Zukunft. Sein jüngstes Buch widmet sich der Liebe. Die FURCHE erreichte ihn für ein schriftliches Interview.

DIE FURCHE: Führt der digitale Kapitalismus zur Transformation der romantischen Liebe, wie dies vielfach beschrieben wird?

Matthias Horx: Romantische Liebe gibt es schon seit Hunderttausenden, wenn nicht Millionen Jahren. Sie ist ein bio-mentales Programm, das einen Mann und eine Frau zum bedingungslosen Zusammensein führt - das hat natürlich etwas mit der Fortpflanzung zu tun, sonst würden Menschen wohl kaum die Mühen der Elternschaft auf sich nehmen. Aber sie ist auch eine spirituelle Erfahrung. In der Liebe verbinden wir uns mit und durch den anderen mit der ganzen Welt. Das hebt unsere existentielle Einsamkeit auf. Liebe ist Kreativität, Chaos, Überwältigung; wer jemals wirklich geliebt hat, weiß das.

DIE FURCHE: Wie könnten künftige Liebesbeziehungen aussehen?

Horx: Wir könnten die Liebe maschinisieren, also es in Zukunft mit Robotern tun. Wir könnten unsere Liebes-Verträge an die moderne individualistische Welt anpassen -also mehr "Flüssigkeit" der Partnerschaft, bis hin zur Polyamorie. Und wir könnten ein neues, intelligenteres Verhältnis zur Monogamie entwickeln. Das nenne ich "ko-evolutionäre Liebe". Sie besteht in der Kunst, die Regressionen und Abschürfungen der Liebe im Laufe einer längeren Partnerschaft nicht zu akzeptieren. Es geht darum, sich in der Partnerschaft ständig selbst weiter zu entwickeln. Dadurch bleibt man attraktiv, und die Leidenschaft erneuert sich lebenslang. Es gibt vielleicht bislang nur wenige, die das hinbekommen. Aber es werden mehr.

DIE FURCHE: Wie sieht dann das Familienmodell der Zukunft aus?

Horx: Familie ist immer eine ständige Improvisation. Und sie "erfindet" sich aus den gesellschaftlichen Bedingungen heraus immer wieder neu. Die Familie der Agrar-und Feudalgesellschaft war patriarchalisch und auf die Aufzucht möglichst vieler Kinder zentriert. Die Kleinfamilie der Industriegesellschaft diente in ihrer strikten Arbeitsteilung dem Fabrik-und Büro-Alltag. Heute haben wir eine zunehmende Familienvielfalt. Die konservativsten Politiker leben ja meistens in den schrägsten Liebesverhältnissen. Heute kehren wir eher wieder zu den Liebesformen der Jäger und Sammler zurück. Es gibt in der globalisierten Welt eine Renaissance der "nomadischen Liebe".

DIE FURCHE: Folgt die Partnerwahl bald nur noch den Algorithmen der digitalen Welt?

Horx: Sicher nicht. Man kann durch das Internet mehr Menschen kennenlernen, aber man verliebt sich aus anderen Gründen. Das liegt daran, dass der Liebesfunke immer mit dem völlig Un-Erwarteten, einem großen Wunder(n) zu tun hat. Wenn wir uns verlieben, spüren wir im anderen einen Aspekt der Welt, der tiefe Verbundenheit hervorruft, aber auch ein tiefes Staunen. Echte Liebe entsteht im Unerwarteten. Algorithmen hingegen basieren auf einem ewigen Vergleich, einem ständigen "Ranking". Dadurch hält man Partnerschaft irgendwann für einen Supermarkt.

DIE FURCHE: Wie sehen Sie den "Kampf der Geschlechter" - Stichwort #MeToo?

Horx: Ich fürchte, wir erschöpfen in den derzeitigen "Gender Wars" die Energien der Liebe, indem wir da etwas verwechseln. Ich weiß gar nicht, was die #MeToo-Debatte mit Liebe zu tun hat. Da geht es doch um Gewalt, das Gegenteil von Liebe. Und Liebe wiederum kann man nicht auf "Mann versus Frau" verengen. Das Weibliche und das Männliche haben sich immer schon in jedem Menschen individuell gemischt. Das heißt nicht, dass der ewige Tanz des Weiblichen und Männlichen aufhört. Das geht immer wieder heftig von vorne los.

DIE FURCHE: Schon heute gibt es Sex-Roboter, aber sind auch richtige Liebesbeziehungen zwischen Menschen und Roboter denkbar?

Horx: Es gibt sicher Menschen, die eine starke libidinöse Projektion auf animierte Maschinen entwickeln können -teils aus tiefer Einsamkeit, teils, weil wir menschliche Eigenschaften in Dinge hineinprojizieren. Aber im Grunde ist die Roboter-Liebe ein Elend, eine Niederlage des Menschlichen - der endgültige Triumph der Einsamkeit. Die Sehnsucht nach dem anderen Menschen, in dem wir uns erkennen und entwickeln können, aber wird existieren, solange wir Homo sapiens sind. Und das wird, allen Unkenrufen zum Trotz, noch lange sein.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung