Ein Schmerz bleibt dennoch

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Für 1200 Kinder wurde das SOS-Kinderdorf Hinterbrühl zur zweiten Heimat.

Ich war 30, arbeitete als Hotelfachfrau, und fragte mich zunehmend, ob ich diesen Beruf eigentlich noch länger machen möchte." Mit der Sinnkrise kam der mutige Aufbruch zu ganz Neuem: Brigitte Virgolini verließ die Hotel-Rezeption, ließ die anonymen, kühl wirkenden Hotelräumlichkeiten hinter sich und wurde Mutter von etlichen Kindern in einem freundlichen Dorf: Die heute 45-jährige Kärntnerin wurde SOS-Kinderdorf-Mutter im größten Standort Österreichs und Europas - in der Hinterbrühl in Niederösterreich. "Natürlich ist es anstrengend, aber ich habe es nie bereut," erzählt sie heute nach 14 Jahren Berufserfahrung. Das Kinderdorf, das sein Gründer Hermann Gmeiner zu einem "Schaufenster seiner Idee für die Welt" gestalten wollte, feierte vergangene Woche sein 50-jähriges Bestehen. Über 1200 Kinder sind seither im Kinderdorf aufgewachsen. Derzeit leben 100 Kinder in SOS-Kinderdorf-Familien und weitere 80 werden in den ergänzenden therapeutischen Einrichtungen betreut.

Während Virgolini ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen konnte, waren ihre Schützlinge diesem ausgeliefert und mussten schwere Schicksalsschläge einstecken. Vernachlässigung und Verwahrlosung durch ihre meist alkohol-oder drogenabhängigen Eltern machten es unmöglich, dass die Kinder länger in ihren Familien wohnen konnten. "Es ist bewundernswert, wie diese Kinder mit dem Erlebten umgehen." Neben der fürsorglichen Familienarbeit der Kinderdorf-Mutter kümmert sich ein Team aus Therapeuten, Psychologen und Pädagogen um die zum Teil traumatisierten Kinder und Jugendlichen. Zu Beginn des Kinderdorfes waren es noch vorwiegend Kriegswaisen, die in den ersten Häuserkomplexen des Dorfes eine Familie, Geschwister und Geborgenheit fanden. Heute, 50 Jahre später, wurden etliche Einfamilienhäuser neu gebaut und renoviert, ein Therapiezentrum "Das Bienenhaus" wurde errichtet, zwischen den freundlichen Häusern liegen Spielplätze und Grünflächen, dahinter die Ausläufer des Wienerwaldes - einladend und fröhlich, so wie Gmeiner seine Idee vor sich sah.

"Dennoch: Schmerz und Sehnsucht bleiben", erzählt die Kinderdorf-Mutter Virgolini. Trotz aller Geborgenheit, trotz umfassender therapeutischer Hilfe bleibt die Sehnsucht, bei den leiblichen Eltern zu leben. "Die Arbeit mit und die Kontaktpflege zu den leiblichen Eltern ist für die positive Entwicklung der Kinder wichtig", betont auch Monika Franta, Geschäftsführerin des SOS-Kinderdorfes in Niederösterreich.

Virgolinis sechsköpfige Kinderschar bekam erst vor kurzem Nachwuchs: Ein dreijähriges Kind wurde aufgenommen. "Meist kommt ein Elternteil bei der Übergabe mit. Damit verdeutlichen die Eltern, dass sie mit der Übergabe einverstanden sind. Das ist sehr wichtig", erzählt Virgolini. Die Geschwisterkinder erleichtern die Eingewöhnung eines Kindes erheblich. Virgolini hat auch einen leiblichen Sohn, der in der Familie aufwächst. "Er wurde in die Kinderdorf-Familie hineingeboren und war von Anfang an dabei," verneint die Alleinerziehende Probleme, die sich daraus ergeben könnten.

Das älteste Mitglied ihrer Familie ist ein 20-jähriger Jugendlicher, der bald studieren wird, aber weiterhin im "Hotel Mama" leben darf. "Es ist illusorisch anzunehmen, dass unsere Jugendlichen mit 18 Jahren vollkommen auf eigenen Beinen stehen", betont Franta, die mehr Unterstützung für junge Erwachsene von der Gesellschaft einmahnt.

Neue Kinderdorf-Mütter oder Väter zu finden, ist ein ebenso dringliches Problem. In den nächsten Jahren gehen etliche Mütter in Pension, die mehrere Generationen von Kindern in das selbstständige Leben begleitet haben. "Willkommen sind auch Paare, mit diesen wurden bereits gute Erfahrungen gemacht", sagt Franta. "Schon derzeit sind die Kapazitäten ausgefüllt, viele Kinder müssen auf einen Platz im Kinderdorf warten", bedauert Brigitte Virgolini.

www.sos-kinderdorf.at

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