"Ein Tropfen kann viel bewirken“

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Sie war in Afghanistan, Darfur und Haiti. Nun managt Sabine Wartha die Katastrophenhilfe der Caritas Österreich für die von Dürre betroffenen Menschen in Ostafrika - und wandelt ihren Zorn über die Ungerechtigkeit der Welt in Aktion.

Schon im Jänner dieses Jahres war Sabine Wartha im Bilde. Schon damals erfuhr sie von ihrer Partnerorganisation in Kenia, dass der Regen ausgeblieben und eine Katastrophe im Anmarsch sei. Die internationale Staatengemeinschaft hätte damit beginnen können, Tiefbohrbrunnen zu graben - und sich mit jedem präventiv investierten Euro sieben Euro Katastrophenhilfe erspart. Doch für einen Ausbau der Katastrophenvorsorgeprogramme waren keine Mittel vorhanden. "Es ist schon frustrierend, wenn man von Jänner bis Frühsommer weiß, dass eine Katastrophe absehbar ist, aber kein Geld da ist,“ sagt die 43-jährige Tirolerin mit Zorn in der Stimme. "Man muss erst Fotos von hungernden Kindern zeigen, damit etwas passiert.“

"Wo kommt die her? Unvorstellbar!“

Jetzt erst, wo die emotionale Erschütterung groß genug geworden ist, wo über 12,5 Millionen Menschen auf Nothilfe angewiesen sind und angesichts verendeter Viehherden vor dem Nichts stehen, jetzt kann sie helfen. Rund eine Million Euro sind seit den ersten Spendenaufrufen bei der Caritas Österreich eingelangt, weitere Gelder erhält man im Rahmen der Aktion "Nachbar in Not“. Wie die Mittel eingesetzt werden sollen, um die Bedürftigsten zuerst zu erreichen, entscheidet Wartha Morgen für Morgen mit ihrem Krisenstab in der Caritas-Österreich-Zentrale in Wien-Ottakring.

Derzeit geht es unter anderem um die Frage, wo Autos am günstigsten zu mieten sind. Ohne PKWs und LKWs ist man in der betroffenen Region Masarbit im Norden Kenias verloren, weiß die Katastrophenhilfe-Chefin aus eigener Anschauung: Zwei Mal, 2006 und 2008, war sie selbst vor Ort. Die aufgesaugten Bilder hat sie bis heute in ihrem Kopf gespeichert: Leere und Dürre, Wüste bis zum Horizont - und mittendrin eine Frau mit Esel und Wasserkanister. "Ich habe mich gefragt: Wo kommt die her? Es war unvorstellbar!“, erinnert sie sich.

Oft könnten betroffene Gebiete erst nach stundenlanger Autofahrt auf schlechten Straßen erreicht werden. Umso wichtiger seien robuste Fahrzeuge - und eine funktionierende Logistik. Erst gestern habe sie mit Caritas-Mitarbeiter Florian Lems gesprochen, der vor Ort sei und die Lieferung der Hilfsgüter vom Großhändler in Nairobi nach Masarbit und in die einzelnen Dörfer koordiniere. "Wenn ich ein Bild habe von der Situation, kann ich besser mit den Anträgen auf Papier umgehen“, erklärt die drahtige Frau mit einem Blick auf die Afrika-Karte im Besprechungszimmer. "Eine Zahl ist nur eine Zahl, aber dahinter stehen Menschen.“

Es ist diese Verbundenheit mit den Menschen, die sie seit jeher antreibt: damals in Tirol, als sie gemeinsam mit ihrer engagierten Mutter Flüchtlinge betreut und jahrelang Menschen in Schubhaft besucht; oder damals in den USA, wo sie als Austauschschülerin in Kontakt zur chilenischen Community kommt und realisieren muss, was die Militärdiktatur Pinochets mit den Menschen macht. Bewegt von ihren Erfahrungen studiert sie Politikwissenschaft, arbeitet für ein Caritas-Asylwerberprogramm in Stift Wilten und ist im Auftrag des Landes Tirol für die Betreuung bosnischer Flüchtlinge zuständig. Dann folgt sie ihrer Sehnsucht, in die Welt hinauszugehen und mitanzupacken: zuerst für das UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) in Guatemala, dann zweieinhalb Jahre lang für die Caritas Österreich im Kosovo, und schließlich für das UN-Entwicklungsprogramm UNDP in Serbien. Als 2002 aus Wien der Anruf kommt, ob sie bereit sei, die Katastrophenhilfe der Caritas zu übernehmen, sagt sie Ja - mit der Vorstellung, diesen Job wohl nicht allzu lange auszuhalten. Mittlerweile sind es fast zehn Jahre geworden.

Eine lange Zeit, in der Sabine Wartha mehr Elend sieht, als viele Menschen verkraften können: Sie ist in Afghanistan, im Irak, in Syrien, in Darfur, in Liberia und Malawi. Sie lernt, sich vor Ort professionell den Herausforderungen zu stellen und die schlimmen Bilder nach hinten zu drängen. Doch wenn sie im Flugzeug Richtung Heimat sitzt, kommen sie wieder hoch.

"Ich könnte kaum etwas Sinnvolleres tun“

Als sie 2007 Mutter einer Tochter wird, nimmt sie sich selbst eine Katastrophen-Auszeit. Unterstützt von ihrem Ehemann und einem dichten, sozialen Netz ist sie zwar in der Caritas-Zentrale Teilzeit aktiv. Doch erst 2010 folgt mit Hilfe ihrer Familie wieder ein einwöchiger Einsatz in einer Großkatastrophe: Es ist im völlig zerstörten Haiti, wo sie mitansehen muss, wie halbnackte, von Fliegen belagerte Kinder auf Müllbergen nach Essen suchen. "Das als Mutter zu sehen, war bedrückend“, erzählt Wartha. "Diese Bilder lassen mich nicht los.“

Doch sie treiben sie auch an: wie ihr Zorn über billig gebaute Häuser in Erdbebenzonen, über illegale Siedlungen in Überschwemmungsgebieten - und über die derzeitige Katastrophe in Ostafrika, die man zumindest lindern hätte können, wenn man rechtzeitig geholfen hätte. Stellt man sich da nicht manchmal die Frage nach dem Sinn? "Ich könnte kaum etwas Sinnvolleres tun - und noch reicht meine Kraft“, sagt die 43-Jährige. "Meine Kolleginnen, Kollegen und ich: Wir alle wollen das Leben verbessern und eine gerechtere Welt schaffen. Auch wenn das nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist, aber ein Tropfen kann schon viel bewirken.“

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