Sindbad - © Foto: Christopher Erben

Eine Brücke in die Berufswelt

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Menschen mit Pflichtschulabschluss sind besonders von Arbeitslosigkeit betroffen. Ein Projekt des Vereins „Sindbad“ soll dem vorbeugen. Jugendliche aus Brennpunktschulen werden mit Akademikern vernetzt, damit diese ihnen bei der Lehrstellensuche unter die Arme greifen.

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Menschen mit Pflichtschulabschluss sind besonders von Arbeitslosigkeit betroffen. Ein Projekt des Vereins „Sindbad“ soll dem vorbeugen. Jugendliche aus Brennpunktschulen werden mit Akademikern vernetzt, damit diese ihnen bei der Lehrstellensuche unter die Arme greifen.

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Managerin Nadine und Schülerin Julia sitzen in einem Café in der Wiener Alserstraße, vertieft in ein Gespräch. Die beiden kennen sich seit vergangenem November. Im Zuge eines Mentoring-Programms des Vereins „Sindbad“ bilden sie ein „Social-BusinessTeam“. Das Projekt wurde 2016 initiiert, um Schulabgänger aus benachteiligten Milieus durch Mentoren für das Berufsleben vorzubereiten. Auch bei den Treffen von Julia und Nadine geht es darum, Job-Perspektiven für Julia zu erarbeiten, die im letzten Semester eine Fachmittel- sowie Polytechnische Schule abgeschlossen hat, die aufgrund ihres hohen Migrantenanteils als sogenannte Brennpunktschule gilt.

„Im normalen Leben würden sich die beiden wahrscheinlich nicht begegnen“, erklärt Geschäftsführer Matthias Lovrek. Dabei wäre die Bekanntschaft eine Bereicherung für Mentee wie für Mentor. Er erklärt, dass das Mentoring im Schnitt acht bis zwölf Monate dauert. Bislang hätten es über 1000 Jugendliche durchlaufen. Die Teilnahme ist kostenlos, da die Maßnahme zu je einem Drittel von Unternehmen, von Spenden sowie der öffentlichen Hand getragen werde. Ein Konzept, das offensichtlich aufgeht. „Über 85 Prozent schaffen durch die Maßnahme den Einstieg in einen Beruf“, so Lovrek.

Vorstellungsgespräch wird trainiert

Ehrenamtliche Mentoren wie Nadine seien „die treibenden Kräfte“ von Sindbad. Sie gingen auf die Jugendlichen zu, stünden ihnen bei und gäben ihnen Rückhalt in schwierigen Zeiten. Neben der mentalen Untersützung geht es aber auch um die rein praktische – wie das Schreiben von Bewerbungen oder das Trainieren von Vorstellungsgesprächen. Lovrek: „Die Teilnehmer lernen viel voneinander und tauchen auch in die Lebenswelt des jeweils anderen ein.“ Kennengelernt haben sich Mentee Julia und Mentorin Nadine beim Speed-Dating in der Sindbad-Zentrale. Julia: „Wir tauschten sofort unsere Nummern aus und vernetzten uns auch gleich auf Instagram und Facebook. „Noch am selben Abend vereinbarten wir ein erstes Treffen in dem Café, in dem wir jetzt sind“, erzählt Nadine, die die Mitwirkung an dem Projekt als Ausgleich zur „Alltags-Bubble“ – sie arbeitet in einem internationalen Baukonzern – betrachtet und zusätzliche Erfahrungen sammeln will.

Julia wiederum wurde von ihren Eltern zur Teilnahme animiert. „Als sie von Sindbad erfuhren, waren sie begeistert.“ Julia erzählt, sie hätten ihr geraten, diese Chance zu nutzen, damit sie bald eine Lehrstelle findet. „Rund die Hälfte der Eltern wollen auch die Mentoren kennenlernen“, sagt Matthias Lovrek. Selten gäbe es aber einen direkten Austausch untereinander. Für Eva Flicker, Soziologin an der Universität Wien und wissenschaftliche Begleiterin des Projekts, tragen Sindbad und seine Mentor(inn)en wesentlich dazu bei, dass junge Menschen nicht im Stich gelassen werden. Sie weiß, dass Jugendarbeitslosigkeit nicht nur eine Bürde für die betroffene Generation ist, sondern für die gesamte Gesellschaft mit vielen Spätfolgen einhergeht. Die Jugendlichen selbst würden die negativen Effekte dieser Perspektivenlosigkeit unmittelbar spüren. So wären sie in ihrer Entwicklung gehemmt. Zudem könne es zu einer „Re-Traditionalisierung der Geschlechterbilder“ kommen, sagt Flicker. „Auch Gewalt und Gewaltbereitschaft hängen mit Jugendarbeitslosigkeit zusammen.“

Die Covid-19-Pandemie hat die schwierigen Job-Aussichten für Heranwachsende zusätzlich verschärft. „Infolge der Corona- krise nehmen die Unternehmen viel weniger Lehrlinge auf“, erklärt der Sindbad-Chef. Obwohl die Jugendarbeitslosigkeit in Österreich mit nur zwölf Prozent im EU-Vergleich gering sei, sei jeder Arbeitslose für ihn einer zu viel. „Je früher du in die Arbeitslosigkeit kommst, desto schwieriger wird es, sie wieder zu verlassen.“ Dennoch gibt sich Lovrek optimistisch und geht davon aus, dass mit der wirtschaftlichen Erholung auch wieder mehr Lehrstellen vergeben werden.

Know-how für Bewerbungsschreiben

Julia schiebt die Melange auf die Seite und breitet einen Ordner mit Bewerbungen auf dem Tisch aus. Vorsichtig blättert sie Seite für Seite um. Sie will eine Ausbildung zur Mechatronikerin machen, hatte bisher aber noch keine Zusage. Trotz Hilfestellung. „Dutzende Bewerbungen haben wir gemeinsam geschrieben“, sagt Akademikerin Nadine. Julia ist vor allem
enttäuscht, wie Unternehmen mit Bewerbungen umgehen. Viele würden auf ihre Schreiben gar nicht reagieren, nicht einmal absagen. Entmutigen will sie sich dennoch nicht lassen. Auch weil ihr Nadine mit ihrem Know-how unter die Arme greift.

Einmal im Monat treffen sich Julia und Nadine in ihrem Stammcafé. Mittlerweile ist das Treffen mehr als nur ein Mentoring-Termin. „Wir verstehen uns auch auf einer privaten und persönlichen Ebene“, erzählt Nadine.

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