"Eine dramatische Zuspitzung der Lage"

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Angesichts des Leids der Zivilbevölkerung in Syrien kann sich die Welt ein Wegsehen nicht leisten. Caritas-Präsident Landau fordert Engagement.

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Angesichts des Leids der Zivilbevölkerung in Syrien kann sich die Welt ein Wegsehen nicht leisten. Caritas-Präsident Landau fordert Engagement.

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Mit neun Millionen Vertriebenen hat der Bürgerkrieg in Syrien die weltweit größte Flüchtlingskrise ausgelöst. Eine diplomatische Einigung steht derzeit in weiter Ferne. Umso schlimmer ist die Lage in den Lagern der Vertriebenen außerhalb Syriens. Caritas-Präsident Michael Landau hat jene in Jordanien besucht und vermisst internationale Aufmerksamkeit.

Die Furche: Die Vereinten Nationen haben in der vergangenen Woche schockierende Zahlen zum syrischen Bürgerkrieg veröffentlicht. Demnach soll bereits die Hälfte der Bevölkerung vertrieben worden sein. Neun Millionen Menschen sind auf der Flucht. Sie selbst waren vor einigen Tagen im Krisengebiet in Jordanien und haben dort Flüchtlingseinrichtungen besucht. Wie sehen Sie die Lage?

Michael Landau: Ich wollte mir ein Bild von der Lage machen und habe deshalb unsere Hilfseinrichtungen mit der Leiterin der Caritas Auslandskatastrophenhilfe, Sabine Wartha, besucht. Ich muss sagen, dass sich gerade im vergangenen Jahr eine dramatische Zuspitzung der Lage ergeben hat. Die Furche: Inwiefern?

Landau: Es ist vor allem die Lage der Alten und der Kinder, die dramatisch ist. Die Unicef hat vor wenigen Tagen bekannt gegeben dass 5,5 Millionen Kinder unter den Vertriebenen sind, die unter extremen bis menschenunwürdigen Umständen leben müssen. Seit März 2013 hat sich die Zahl der Kinder in den Flüchtlingslagern vervierfacht. Über 40.000 Kinder sind schon als Flüchtlingskinder geboren.

Die Furche: Finden Sie denn, dass der Ansturm die internationalen Hilfsorganisationen überfordert?

Landau: Es geht hier nicht nur um die Organisationen. Zunächst gibt es eine ungeheure Solidarität der Jordanier. Ein Land mit knapp sechs Millionen Einwohnern hat bis zum heutigen Tag 650.000 Flüchtlinge aufgenommen. Das wäre so, als würde Österreich 800.000 Menschen Unterkunft geben. Als Caritas haben wir seit 2011 vier Millionen Euro in die Hilfe gesteckt. Wir tun also, was möglich ist, um die Bedingungen zu ändern. Aber wir sind natürlich mit einer immer dramatischer werdenden Situation konfrontiert. Es fehlt an Nahrungsmitteln, Hygiene- und Sanitäreinrichtungen und zum Teil müssen die Menschen in menschenunwürdigen Behausungen leben. Da überall sind wir aktiv. Insgesamt betreuen wir derzeit über 60.000 Menschen.

Die Furche: Konkret, wie ist die Situation der Kinder? Die UNO berichtet von über 2 Millionen traumatisierten Jugendlichen. Was ist davon in den Lagern bemerkbar?

Landau: Sie leiden nicht nur unter den psychischen Folgen des Krieges, sondern auch unter der Situation in den Lagern. Es gibt bereits Fälle von Polio und Masern, die Lebensbedingungen sind erbärmlich. Die Kinder müssen zum Teil Geld verdienen für ihre Familien und besuchen keine Schule, in den Häusern und Hütten gibt es vielfach keine Heizung. Man darf sich diese Länder nicht als warme Urlaubsdestinationen vorstellen. Im Winter ist es dort bitterkalt und die Kinder haben zum Teil nicht einmal Schuhe. Die Furche: Was man aus den vergeblichen Bemühungen um einen Frieden im Bürgerkrieg erkennen kann, wird an eine Rückkehr für die Vertriebenen in nächster Zeit nicht zu denken sein?

Landau: Die internationale Hilfsorganisation Oxfam hat eine Umfrage unter den Flüchtlingen gemacht. Der überwiegende Teil will so bald wie möglich nach Hause. Aber nur ein Drittel glaubt, dass das in nächster Zeit möglich sein wird.

Die Furche: Bleibt noch als Ausweg der Schutz in Drittstaaten, also auch in Österreich. Da ist bisher nicht sehr viel geschehen?

Landau: Österreich ist mit dem Beschluss, 500 Menschen aus Syrien aufzunehmen, schon einen Schritt in die richtige Richtung gegangen. Die Menschen brauchen Schutz, Sicherheit und Perspektive. All das kann Österreich bieten. Ich muss aber auch dazu sagen, dass ich mir mehr Engagement wünschen würde. Man kann große Krisen nur gemeinsam lösen, und Syrien ist die größte Krise der Gegenwart.

Die Furche: Generell gesagt, haben Sie Sorge, dass die Welt Syrien vergisst?

Landau: Gerade jetzt gibt es auch andere Pole der Aufmerksamkeit wie etwa die Ukraine. Wenn sich die Welt von Syrien abwendet, wird die menschliche Katastrophe aber dort noch größer. Dass es jetzt eine neue Syrienhilfe der ORF-Aktion "Nachbar in Not" gibt, soll auch verhindern, so viel Not zu vergessen. .

Die Furche: Wie kann der Einzelne helfen?

Landau: Schon mit 30 Euro kann ein Kind einen Monat lang mit den notwendigsten Dingen versorgt werden. Wir haben uns vorgenommen, 10.000 Kinder über ein Jahr lang zu unterstützen. Dazu brauchen wir die Hilfe der Spenderinnen und Spender. Dass unsere Hilfe nicht nur einen Augenblick lang wirkt, sondern einen langen Atem hat.

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