Eine Frage der Selbstachtung

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Kein Kompromiss in der PID-Debatte wird dem Machbarkeitswahn in der Fortpflanzungsmedizin Einhalt gebieten können, schreibt die FAZ.

Als die Abgeordneten des Deutschen Bundestages Ende 1989 das Embryonenschutzgesetz beschlossen, verweigerten sie bewusst zahlreichen technischen Möglichkeiten ihre Zustimmung. Unter das Verbot sogenannter fremdnütziger Verwendung von Embryonen, die im Reagenzglas erzeugt worden waren, fiel seither nach landläufiger Meinung auch die Präimplantationsdiagnostik (PID). [?] Anfang Juli machte der Fünfte Strafsenat des Bundesgerichtshofs der Illusion des PID-Verbots ein Ende. Nach einer in provokativer Absicht erstatteten Selbstanzeige eines Reproduktionsmediziners bogen die Richter im Einvernehmen mit der Bundesanwaltschaft und in bester sophistischer Tradition deutschen Richterrechts Sinn und Wortlaut des Embryonenschutzgesetzes so lange, bis sie keinen Anlass mehr dafür sahen, das Aussondern von Embryonen mit "schweren genetischen Schädigungen" unter Strafe zu stellen.

Materielle Gerechtigkeitsidee

Dass abermals Recht sein soll, was die Obersten Gerichte für Recht erklären, ist im Fall der PID jedoch kein unabwendbares Schicksal. Denn formal betrachtet, füllten die Richter nur eine Leerstelle aus, die der Gesetzgeber in den vergangenen zwanzig Jahren zu besetzen versäumt hatte: [?] Dieses Versäumnis hat die Berliner Politik nun eingeholt. [?] Unabhängig von deren Ausgang ist eine gesetzliche Entscheidung über PID eine Frage der Selbstachtung des Gesetzgebers gegenüber einer sich selbst ermächtigenden Richterschaft geworden.

Diese kann sich freilich zugutehalten [?], einer materiellen Gerechtigkeitsvorstellung Geltung verschafft zu haben, die in der Gesellschaft mittlerweile die Oberhand gewonnen zu haben scheint: An die Stelle der Achtung vor dem Wunder des Lebens und einer Haltung vorbehaltlosen Geschehenlassens ist der Anspruch getreten, dass ein Kind "gewünscht" sein muss, damit es vom Zeitpunkt der Empfängnis an angenommen werden kann.

Mehr noch: Aus der Hoffnung, das gewünschte Kind gesund auf die Welt bringen zu können, ist angesichts der stets größeren Möglichkeiten vorgeburtlicher Diagnostik eine fast schon moralische Verpflichtung geworden, nichts unversucht zu lassen, um alle natürlichen Risiken von Schwangerschaft und Geburt nach dem neuesten Stand der Technik zu minimieren. [?] Die durch nichts außer einem Plan- und Machbarkeitswahn zu erklärende absurd hohe Rate von Kaiserschnitten ist das eine Ende dieser Entwicklung; das andere: die Selbstverständlichkeit, mit der eine mutmaßlich mit genetischen Fehlern behaftete Leibesfrucht eliminiert wird, ehe sie den Eltern und der Gesellschaft zur Last fallen kann. [?]

Ein Kind "unter dem Herzen"

Und selbst eine Schwangerschaft stellt sich heute als Abfolge von Untersuchungen dar, die den Parametern eines Qualitätsmanagements gehorcht - weit weg von dem Gefühl, ein Kind "unter dem Herzen" zu tragen, wie es in der kommenden Adventszeit in den alten Weisen aufs Neue besungen wird.

Nach dem äußerst knappen Sieg der PID-Gegner auf dem Bundesparteitag der CDU steht kaum zu erwarten, dass die Mehrheit der Abgeordneten des Deutschen Bundestages für ein bedingungsloses Verbot der Präimplantationsdiagnostik votieren wird. Doch wie immer ein "Kompromiss" aussehen wird: Wenn es nicht gelingt, der selbststeuernden Logik der Technisierung entstehenden Lebens Einhalt zu gebieten und die Fixierung auf das Ungeborene als Risikofaktor zu durchbrechen, dann wird jede Entscheidung wieder unter dem Vorbehalt stehen, neuen Formen der Selektion und der Machbarkeit im Wege zu stehen. Wie das Embryonenschutzgesetz.

* Frankfurter Allgemeine, 20. November 2010

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