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Ur-Thema für die Religion - nicht nur im Christentum verbotsbelastet: * Religionswissenschafter (Georg Schwikart, Adolf Holl) bewerten den Umgang der Religionen mit Sexualität. * Für Orientierung aus christlicher Perspektive, aber jenseits moralischer Zeigefinger plädiert der Sexualmediziner Kurt Loewit ebenso wie das Buch des evangelischen Theologen Kurt Lüthi. * Auch die Bibel kennt Erotik pur: Eingestreute Zitate aus dem Hohelied sollen Lust machen, im Liebesbuch des Alten Testaments zu lesen. Redaktion: Otto Friedrich

Religiöse wie sexuelle Erfahrungen werden oft mit denselben Begriffen beschrieben, mit "Leidenschaft", "Ekstase", "Verzückung", "Seligkeit". Ob Sexualität als schöpferische Kraft, als geheimnisvolles Mittel der Fortpflanzung oder gar als dämonische Energie verstanden wird, hängt jedoch vom Gesamtkonzept der Glaubenslehre ab.

Akt von Himmel und Erde

Den Anbeginn der Welt stellten sich viele Völker als Sexualakt von Himmel und Erde vor. Nicht nur in Europa sollen sich in alter Zeit junge Paare im Frühling auf Feld und Acker gepaart haben, um die Kräfte der Fruchtbarkeit zu entfesseln. Gemeinschaftliche Orgien fanden von Irland bis Griechenland statt, und auch bei Hindus, Sufis und christlichen Sekten. Restbestände dieser Feierlichkeiten fanden sich lange Zeit in Maibräuchen, Neujahrsfesten und im Karneval. Doch während früher religiöse und sexuelle Erlebnisse verschmelzen konnten, ist heute der transzendente Aspekt weithin verloren gegangen.

Aber auch eine Tradition der asketischen Lustfeindschaft gehört zur Geschichte der Sexualität. Und das nicht nur bei den Christen. Mit der Zeit haben sich die Sichtweisen innerhalb der religiösen Systeme gewandelt. Wenn aber Sexualität als Akt der intimen Begegnung von Menschen Gemeinschaft (also "Kommunion") zu schaffen vermag, dann ähnelt das dem Wollen der Religion. Auch sie strebt eine Verbindung zwischen Gott und Mensch, Himmel und Erde, Ewigkeit und Jetztzeit an.

Viele Mythen der Welt erzählen, dass die ersten Menschen Frau und Mann in sich vereinten: Die indischen Götter Brahma und Vischnu sind doppeltgeschlechtlich. Das chinesische Yin-Yang-Prinzip besagt, Harmonie entstehe erst im Ausgleich weiblicher und männlicher Kräfte. In persischen Schöpfungsgeschichten heißt es, das erste Menschenpaar sei in einem einzigen Körper zur Welt gekommen, bis Ahura Mazda sie trennte.

Was nun macht die Frau zur Frau und was den Mann zum Mann? Als die Reflexion über diese Fragen weniger differenziert war, schien die Antwort relativ einfach: Die Mitte der Frau ist die Klitoris, vom griechischen Wort "kleitos" für "berühmt, gepriesen", was große Hochachtung ausdrückt. Die Klitoris dient nicht unmittelbar der Fortpflanzung, sondern dem Lustempfinden. Deswegen war - und ist leider immer noch - bei manchen Völkern seit Jahrtausenden die Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen Brauch. Es gibt zur Rechtfertigung der "weiblichen Beschneidung" eine Anzahl negativer Mythen, zum Beispiel, dass die Klitoris giftig sei oder dass es der Frau schade, Lust empfinden zu können. Zwei Millionen Mädchen und Frauen erleiden alljährlich dieses Schicksal.

Noch größer waren die Ängste vor dem Menstruationsblut: Es könne Feldfrüchte vernichten, Eisen rosten lassen und Messer stumpf machen, glaubte man; vor allem: es mache rituell unrein. Orthodoxe Juden geben keiner Frau die Hand, sie könnte ja gerade menstruieren. Frauen war früher während der Periode der Eintritt in eine Kirche verboten. Und auch die Nichtzulassung von Frauen zur Priesterweihe mag mit dumpfer Furcht vor der "Entweihung des Altares" zu tun haben. Menstruierende Frauen dürfen den Koran nicht berühren.

Aber auch eine entgegengesetzte Sicht war möglich. Ein Schöpfungsmythos erzählt, aus Menstruationsblut seien die ersten Menschen geformt worden. Man schrieb ihm magische Kräfte zu und benutzte es für religiöse Riten. Der Geschlechtsverkehr während der Regel unterlag einem allgemeinen Tabu, wurde aber auch gerade in dieser Phase angestrebt, weil man die Blutung als Zeichen besonderer Fruchtbarkeit deutete.

Energiesymbol Phallus

Das männliche Geschlechtsteil gilt vor allem im erregten Zustand als Garant von Kraft, Energie und Fruchtbarkeit. Der erigierte Penis - oft im Verhältnis zum Körper übertrieben vergrößert - zierte Götterstatuen und -bilder. Als mehr oder weniger offensichtliche Phallussymbole gelten heute noch Kirchtürme, Maibäume, Zigarren, Kanonen und Gewehre. Wenn die Sieger der Grand-Prix-Autorennen Champagner aus zuvor geschüttelten Flaschen herausspritzen lassen, symbolisiert dies die Ejakulation. Umgekehrt erinnert der rheinische Brauch, am Altweiberdonnerstag den Männern die Krawatten abzuschneiden, an eine Entmannung.

Die Beschneidung der Vorhaut wird meist religiös begründet: Gott habe es so befohlen. Wissenschaftler bemühten sich, hygienische Gründe anzuführen, etwa, dass die Partnerinnen beschnittener Männer weniger Gebärmutterhalskrebs hätten als die unbeschnittener. Dennoch ist der weitverbreitete Brauch damit nicht eindeutig zu erklären. Der Wunsch, der Gottheit symbolisch die Männlichkeit zu opfern, mag dahinter stehen.

Der lange Weg zur Ehe

Dass die monogame und auf Dauer angelegte Ehe ein Sonderfall der Geschichte sei, davon sind heute Ethnologen, Historiker und Soziologen überzeugt. Dennoch war in allen uns bekannten Gesellschaften die Beziehung von Frau und Mann einem Mindestmaß an Ordnung unterworfen. Die Ehe, eine Vereinigung von mindestens zwei Menschen, die füreinander Verpflichtungen und Verantwortung übernehmen, ist nicht automatisch ein religiöser Tatbestand, doch die Religionen spielen in der Regel eine nicht unerhebliche Rolle. Sie wollen mitbestimmen bei der Partnerwahl, bei Beginn und Beendigung der Ehe und schließlich bei der Frage nach dem Ehezweck, also der Legitimierung von Sexualität.

Doch das ist eine relativ späte kulturelle Entwicklung. In einer frühen Entwicklungsstufe des homo sapiens war das Wissen um die Hervorbringung von Nachwuchs gemeinsam durch Frau und Mann noch nicht gegeben. Vielmehr wurde darin ein Akt autonomer weiblicher Schöpferkraft gesehen. In matriarchalen Religionsformen verehrte man daher eine Muttergottheit, die ohne Zutun eines Mannes Leben hervorbringt. Während das frühe Christentum der Ehe kritisch bis ablehnend gegenüberstand, waren in anderen Religionen sogar die Götterwelten wie Familien organisiert: In Griechenland, Rom und Germanien beispielsweise heirateten die Götter, zeugten Kinder, liebten und hassten sich.

Die Institution Ehe hat einen weiten Weg hinter sich, von einem religionslosen Beginn der Menschheit in grauer Vorzeit - in der wahrscheinlich Promiskuität herrschte (freie Wahl und häufiger Wechsel der Sexualpartner) -, bis zur Auflösung der monogamen Ehe in der Moderne, in der auch die formende Kraft der Religion nachlässt. Insofern würde sich der Kreis schließen. Allen Versuchen religiöser Einflussnahme zum Trotz hat die Ehe doch immer eigenen Gesetzen gehorcht und sich Vorschriften der Religionen nur mäßig angepasst.

Sanktionierung einer Option

Dass Frauen Frauen lieben und Männer Männer, ist keine Eigenart der Neuzeit. Im alten Griechenland wurde die Ehe von gebildeten Männern als lästige Pflicht betrachtet, um Nachkommen zu zeugen. Erotik erlebte man hingegen mit gleichgeschlechtlichen Partnern, die keine Partner im eigentlichen Sinne waren, sondern "Lustknaben". Lesben werden nach der griechischen Insel Lesbos bezeichnet, die als "Insel der Frauen" galt und nach der Sage von den Amazonen beherrscht war.

Die Einstellungen der Religionen zur Homosexualität sind unterschiedlich. Im allgemeinen wird sie als abnormal zumindest verpönt, wenn nicht verdammt. Männer unterliegen dabei strengeren moralischen Weisungen als Frauen. Dahinter mag sich die Vorstellung verbergen, der Mann sei der eigentlich Zeugende, der sich seiner Aufgabe versagt.

Verzicht als Gewinn?

Ein genereller Verzicht auf sexuelle Aktivität wird nicht immer begrüßt: Die Priester der alten Israeliten mussten verheiratet sein; für Brahmanen gilt das noch heute. Ohne Ehefrau konnte ein Mann nicht oberster römischer Priester werden; er verlor sein Amt, wenn die Frau ihn verließ oder starb. Andere Kulturen betrachteten die Sexualität argwöhnisch und gelangten so zu einer ablehnenden Haltung. Die Manichäer forderten die Aufgabe jeglicher sexuellen Aktivität. Mönche und Nonnen aller Religionen definieren sich auch über dauernde sexuelle Enthaltsamkeit. Für katholische Priester, für die Priesterinnen des Vestatempels in Rom, für die Seherin des Orakels von Delphi galt bzw. gilt der Zölibat und die Jungfräulichkeit. Wenigstens zeitweiligen Verzicht auf Geschlechtsverkehr fordern die Religionen an Fasten- und Trauertagen, vor bestimmten Festen oder Ritualen.

Ein Thema der Religion

Die Hormonausschüttungen, die den Sexualtrieb auslösen, lassen sich nachweisen. Aber dass Paarungsverhalten auch lust- und liebevoll sein kann, ist damit nicht begründet. Für die Fortpflanzung allein ist dies nicht notwendig, der bloße Befruchtungsvorgang würde ausreichen. Die Glaubenslehren weisen aber stets darauf hin, dass Sex mehr sein muss als Triebbefriedigung: der Fortpflanzung dienlich, als Metapher der Vereinigung mit dem Göttlichen, aber auch leidenschaftlicher Ausdruck der Zuneigung zweier Menschen. Sexualität gehört grundlegend zum Menschsein, deswegen wird sie auch immer ein Thema der Religion sein.

Der Autor, Religionswissenschaftler und kath. Theologe, lebt in St. Augustin bei Bonn. Er ist Autor zahlreicher Sachbücher zu religiösen und sprituellen Themen.

Buchtipp:

Vom Autor des Beitrags zum Thema:

Sexualität in den Weltreligionen

Von Georg Schwikart, Gürtersloher Verlagshaus 2001, 208 S., geb., e 18,50

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