Eine „Psychotante“ zum Abreagieren

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Wenn Kinder mit den schulischen Regeln nicht zurechtkommen und ihr Verhalten auffällt, kommen Beratungslehrer zum Einsatz. Renate Hofbauer berichtet über ihren Beruf zwischen den Fronten.

Renate Hofbauers kleines Büro ist gefüllt mit Spielmaterialien aller Art, an den Wänden hängen Kinderzeichnungen. Es gibt auch zwei Styropor-Platten, die manchen Schülern zum Abreagieren dienen. „Ich hatte einmal einen Schüler, der manchmal zu mir ins Büro kam, um seine Aggressionen abzubauen, und sagte: Wenn ich Sie nicht hätte, ich glaube, ich würde zerplatzen.“

Renate Hofbauer ist Beratungslehrerin an der Volksschule Börsegasse und an der Kooperativen Mittelschule Renngasse im ersten Wiener Bezirk. Keine sogenannte Problemschule an einem sozialen Brennpunkt – doch Kinder, die mit ihrem Verhalten aus dem Rahmen der schulischen Norm fallen, gibt es auch hier. Beratungslehrerinnen und -lehrer arbeiten mit Kindern, die soziale und emotionale Auffälligkeiten haben, um die schulische Integration zu unterstützen.

„Es kann nie genug geben“

In Wien sind derzeit rund 200 solcher Beratungslehrer tätig (inklusive „Psychagogen“, die eine andere Entstehungsgeschichte haben, aber ein ähnliches Tätigkeitsfeld abdecken). Es gibt sie an jeder Pflichtschule. In den AHS gibt es diese Unterstützung in der Form nicht. Der Bedarf sei gedeckt, meint Hofbauer. Ihr Vorgesetzter, Bezirksschulinspektor Richard Felsleitner, pflichtet ihr bei und fügt hinzu: Es kann freilich nie genug geben.

Angefangen hat alles vor rund 35 Jahren, in einer Zeit, in der man für Neues im Bildungsbereich aufgeschlossen gewesen sei, erzählt Felsleitner, der im Stadtschulrat Wien für sonderpädagogische Zentren zuständig ist und somit auch für sozial und emotional benachteiligte Kinder, die bis in die 70er Jahre hinein oft genug in Heime gesteckt wurden. Fortschrittliche Lehrer wollten den Umgang mit diesen Kindern grundlegend ändern. Erste Beratungslehrerstellen wurden geschaffen. Die Bundesländer zogen nach. Heute gibt es in allen Bundesländern dieses Berufsfeld, teils mit anderer Bezeichnung.

Die Devise war klar: „Kinder machen Probleme, weil sie Probleme haben“, fasst Felsleitner das Credo zusammen. Mit anderen Worten: Beratungslehrer betrachten das gesamte System, in dem ein Kind lebt – Familie, Schule, Klasse. Ihre Tätigkeit sei Beziehungs- und Vertrauensarbeit, sagt Hofbauer. Nur wenn alle in diesem System bereit seien, andere Perspektiven einzunehmen und Veränderungen vorzunehmen, könne sich die Situation für ein Kind mit Verhaltensauffälligkeiten verbessern. Nicht immer würden alle Lehrer hinreichend kooperieren, berichtet Hofbauer über ihre Erfahrungen und jene ihrer Kolleginnen. Es brauchte Zeit, sich Anerkennung zu verschaffen, denn der Erfolg von Hofbauers Arbeit ist schwer messbar. Es gebe „neidische Reaktionen“ mancher Lehrer, die meinten: Beratungslehrer müssten ja nicht in der Klasse stehen. Andererseits klagen Lehrer immer wieder medial, dass sie zu wenig Unterstützung bekommen.

Dass Verhaltensauffälligkeiten zunehmen würden, können weder Hofbauer noch Felsleitner bestätigen. Es habe sich aber die Qualität der Auffälligkeiten verändert, so ihre langjährige Erfahrung. Die Ausdrucksformen sind in der Volksschule andere als in der Mittelstufe der Zehn- bis 14-Jährigen. In der Volksschule hat Hofbauer es häufig mit Kindern zu tun, die als aggressiv, laut oder destruktiv auffallen. Auch die Trennung der Eltern belastet immer mehr Kinder, deren innere Konflikte und Trauer irgendwann auffällt. Lehrer würden nun auch mehr Sensibilität dafür haben, wenn Kinder sich übermäßig zurückziehen, sagt die Beratungslehrerin, die früher Volks- und Hauptschullehrerin war und sich als Beratungslehrerin fortgebildet hat. In der Kooperativen Mittelschule sind es oft kleinere Gruppen, die auffallen, die Streit haben, und mit denen Hofbauer arbeitet. Bei kleineren Kindern arbeite sie viel über Spiele, auch Bewegung, manche Kinder müssten schlicht lernen, zu verlieren. Das seien oft behütete Einzelkinder. Bei Konflikten gehe es oft darum, dass Kinder einmal miteinander reden und nicht über die Beratungslehrerin ihre Klagen vermitteln wollen.

Je nach Situation werden die Eltern einbezogen, bei Streitereien in Gruppen eher nicht. Hofbauers Erfahrung: Es kommen eigentlich durchwegs nur die Mütter, viele Kinder wachsen bei der Mutter auf. „Sie sind übermuttert und untervatert. Zu Hause die Mutter, die etwas von ihnen möchte, in der Schule die Lehrerin, die etwas möchte – manche dieser Kinder leiden irgendwann an der ‚Mama-Taubheit‘.“

Hofbauer arbeitet vernetzt, etwa mit der Jugendwohlfahrt oder anderen Einrichtungen für Kinder. Wie genau die Zusammenarbeit mit den neu eingesetzten Schulsozialarbeitern sein wird, die seit Schulbeginn an Wiener Schulen tätig sind, ist für Hofbauer in der Praxis noch nicht ganz geklärt. Sie sollten laut Bildungsstadtrat Christian Oxonitsch mehr zwischen Familie und Schule fungieren, also im Freizeitbereich oder mit Schulschwänzern arbeiten. Sie sind mobil im Einsatz und sollen vor allem in sozialen Brennpunkten mit Kindern und Jugendlichen zur Prävention von Gewalt, Mobbing oder Drogenproblemen arbeiten. Die Grünen kritisieren, dass an allen 400 Pflichtschulen ein Schulsozialarbeiter tätig sein solle, denn nur so kenne der die Probleme des Standortes und könne Vertrauen aufbauen. Das betont auch Hofbauer. Es sei wichtig, immer vor Ort zu sein, sagt sie, sie kenne die Schüler und deren Probleme.

Schwer messbarer Erfolg

Für manche Kinder, vor allem in der Gruppe, sei sie die „Psychotante“, erzählt Hofbauer und lächelt darüber. Dennoch kommen nicht selten diese Kinder zu ihr ins Büro und schütten ihr Herz aus. Dass ihr Erfolg schwer messbar ist, ist Hofbauer bewusst. Manchmal würden Selbstzweifel kommen. Ihre Arbeit sei langwierig, brauche die Mitarbeit der Lehrer, Kinder und Eltern, die freiwillig sein müsse. Dennoch würde sie diesen Beruf wieder ergreifen, sagt die 59-jährige Pädagogin. Positives Feedback motiviert sie. So erinnert sich Hofbauer an ein Mädchen aus sehr schwierigem familiärem Umfeld. Sie hat versucht, das Mädchen in ihrem Selbstbewusstsein zu stärken, ihr Mut zu machen, Nein zu sagen. Später kam das Mädchen mit den Worten auf sie zurück: Sie haben mir sehr geholfen.

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