Eine Stadt sucht Freiwillige

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Der Bedarf an freiwilliger Tätigkeit ist enorm: Die erbrachte Leistung entspricht 425.000 Arbeitsplätzen. Worum es geht, zeigt die Freiwilligen-Messe, sagt Gründer Michael Walk.

Das Volumen ist beachtlich: Knapp die Hälfte der Bevölkerung leistet regelmäßig Arbeit als Freiwllliger. Nach seiner Tätigkeit für eine Bank organisiert Social Entrepreneur Michael Walk die im Oktober angesetzte Freiwilligen-Messe.

DIE FURCHE: Die Messe-Idee entstand aus Ihrer CSR-Abschlussarbeit beim Wiener Nachhaltigkeitsinstitut "Plenum“, inspiriert von der Münchner Freiwilligenmesse. Warum bewerben Sie Freiwilligenarbeit in Wien?

Michael Walk: Auf dem Land ist Freiwilligenarbeit viel selbstverständlicher in das Alltagsleben integriert. Bei der Feuerwehr, in der Kirche, bei der Blasmusik, beim Roten Kreuz usw. Je größer die Stadt, desto wichtiger ist freiwilliges Engagement. In Städten erleben Menschen mitunter die Ohnmacht der Unüberschaubarkeit der Gestaltungsmöglichkeiten. Alles wird von oben nach unten organisiert, ohne große Möglichkeiten sich partizipativ in diese Vorgänge einzubringen.

DIE FURCHE: Ist die Stadt das sprichwörtlich harte Pflaster für Freiwilligenarbeit?

Walk: Ich will Stadtmenschen motivieren, die Gesellschaft in der sie leben, aktiv mit zu formen. Jeder soll wissen: Ich kann mich einbringen. Ich kann etwas für die Gemeinschaft tun.

DIE FURCHE: Zivilgesellschaftliches Engagement, frei nach John F. Kennedy: Frage nicht, was der Staat für dich tun kann, sondern was du für den Staat tun kannst?

Walk: Genau. Freiwilligenarbeit ist das Gegenteil zur top-down-bestimmten Passivhaltung der Menschen, die gewohnt sind, dass alles von oben nach unten verwaltet und bestimmt wird. Freiwilligenarbeit ist bottom-up, von unten nach oben. Menschen gestalten in kleinen Projekten ihre Gesellschaft mit. Und das ist gerade in Städten wichtig, weil deren Lebensformen zur Anonymisierung und Individualisierung beitragen und solidarisch ausgerichtete Kollektive selten bis gar nicht mehr entstehen. Jeder lebt mehr oder weniger für sich selbst.

DIE FURCHE: Viele Menschen erwarten vom Sozialstaat von der Wiege bis zur Bahre versorgt zu werden. Das hat ja auch etwas Entlastendes für das Individuum. Vieles deutet darauf hin, dass die sozialen Netze in Zukunft breitmaschiger gestrickt sein werden. Müssen Freiwillige diese Lücken schließen?

Walk: Der Staat wird nie für alles sorgen können. Das weiß man auch aus der Organisationstheorie. Je hierarchischer, desto krisenanfälliger. Je breiter die Organisationsstrukturen, desto krisenresistenter. Das gilt auch für eine Gesellschaft. Je mehr freiwillige Netzwerke existieren, je mehr Menschen in solchen Organisationen eingebunden sind, desto eher wird man in Krisensituation aus sich selbst heraus handeln können. Der Staat braucht beides. Eine aktiv mitgestaltende Zivilgesellschaft und eine soziale Absicherung für die Menschen.

DIE FURCHE: Das EU-Themenjahr 2012 steht unter der Devise "Aktives Altern“. Verlangt eine älter werdende Gesellschaft auch nach mehr freiwilligem Engagement?

Walk: Unbedingt. Schon jetzt leisten Tausende Menschen innerfamiliär diese Arbeit. Da pflegen 65-jährige Töchter ihre 85-jährigen Mütter. Um nicht missverstanden zu werden. Freiwilligenarbeit kann und soll niemals notwendige professionelle Pflege ersetzen. Aber das menschliche Momentum der personalen Zuwendung, wie das Händehalten, Zuhören und Geschichtenerzählen, das kann sehr wohl jeder Mensch mit Empathie leisten. Und diese Mitmenschlichkeit wird in Zukunft immer wichtiger. Es gibt viele Organisationen, die genau solche Menschen suchen und deswegen habe ich auch die Freiwilligenmesse ins Leben gerufen.

DIE FURCHE: Welche Vorteile bietet die Messe für die Besucher?

Walk: Die Messe ist ein Convenience-Produkt. Ich habe dort die Möglichkeit mit über 60 Organisationen ins persönliche Gespräch kommen und mich zu fragen: "Was passt zu mir?“ Dieser unverbindliche, niederschwellige Zugang und der freie Eintritt sind mir sehr wichtig. Wir wollen informieren und Möglichkeiten zur freiwilligen Mitarbeit aufzeigen, aber niemanden zwangsbeglücken.

DIE FURCHE: Der Ruf nach mehr Freiwilligkeit wird von der Gewerkschaft auch kritisch gesehen. Man fordere von Menschen Tätigkeiten, die eigentlich bezahlt werden müssten, lautet einer der Vorwürfe.

Walk: Es gibt eben verschiedene Formen der Arbeit. Es gibt die bezahlte Arbeit, es gibt die Arbeit, die Menschen freiwillig in Hobbys stecken, weil sie einfach Freude macht, wie Modellbau, Musizieren, diverse Sammelleidenschaften, Haustiere, und es gibt freiwillige Tätigkeiten, die dem Allgemeinwohl zugutekommen. Hier beginnt die Freiwilligenarbeit wirksam zu werden, weil Menschen das Bedürfnis haben, zu helfen und für andere da zu sein. Wenn Arbeit eine Wiese ist, dann ist Freiwilligenarbeit eine Blumenwiese!

DIE FURCHE: Sind Sie selbst auch ehrenamtlich tätig?

Walk: Ich habe zwei Jahre lang einer gebrechlichen Frau ihre Einkäufe erledigt und jede Woche zwei Stunden ihre Einsamkeit durch Gespräche und Spazierengehen durchbrochen. Dafür bedarf es keiner professionellen Ausbildung. Aber ich entlaste dadurch die bezahlte Heimhilfe, die dafür keine Zeit hat. Derzeit organisiere ich in einem Verein Hilfsprojekte für Afrika. Mir war immer wichtig, mich neben meiner beruflichen Aktivität auch sinnvoll sozial zu betätigen.

DIE FURCHE: Kann Freiwilligenarbeit bei der Integration von Menschen mit Migrationshintergrund brückenbildend wirken?

Walk: Mit großem Erfolg, wie zahlreiche Beispiele zeigen. Integration führt primär über die Sprache. Wir erleben, wie Jugendliche von Migranten die schon lange in Österreich leben, weder gut deutsch noch ihre eigene Sprache beherrschen. In vielen Organisationen stellen sich Freiwillige zur Verfügung, um diesen jungen Menschen Sprachkompetenz zu vermitteln, ohne die sie nie einen adäquaten Job finden werden.

DIE FURCHE: Nehmen die Hilfsorganisationen die Idee der Freiwilligenmesse gut an?

Walk: Es haben sich mehr angemeldet als wir im Künstlerhaus unterbringen können, weshalb wir schon seit August eine Warteliste führen.

DIE FURCHE: Was ist aus Ihrer Sicht der Lohn der freiwilligen Tätigkeit?

Walk: Ich sehe vier große Bereiche: Etwas Sinnhaftes tun, Freude daran haben, neue Kompetenzen erwerben und sympathische Menschen kennenlernen. Ich erweitere also auch mein soziales Netzwerk und meine Integration in der Gesellschaft.

DIE FURCHE: Es gibt den romantisierten Hardcore-Begriff vom Helfer, der für sich selbst nichts fordert, sich jedwedes quid pro quo verbietet. Darf es bei Freiwilligenarbeit auch ein gerüttelt Maß an Egoismus geben, wie etwa den Gedanken, dass mein Einsatz für andere auch Vorteile für mich bringt?

Walk: Das muss sogar so sein. Zuallererst der emotionale Benefit. Ich fühle mich wohl, es geht mir gut dabei. Freiwilligenarbeit muss immer so sein, dass ich am Schluss mehr mitnehme als ich eingebracht habe.

DIE FURCHE: In den USA ist freiwilliges soziales Engagement fast schon Bedingung für eine berufliche Karriere.

Walk: Auch bei uns achten immer mehr Personalchefs darauf, ob Bewerber sich wo ehrenamtlich einbringen, weil Soft Skills wie Empathie, Teamgeist und soziale Kompetenz auch im Job gefragt sind.

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