Eine ungeheure Öko-Katastrophe

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Ein Lokalaugenschein in Novi Sad und Pancevo, den am schwersten bombardierten Raffinerie- und Chemieanlagen Serbiens, machen das katastrophale Ausmaß der vom Krieg in diesem Land ausgehenden Umweltschäden deutlich.

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Ein Lokalaugenschein in Novi Sad und Pancevo, den am schwersten bombardierten Raffinerie- und Chemieanlagen Serbiens, machen das katastrophale Ausmaß der vom Krieg in diesem Land ausgehenden Umweltschäden deutlich.

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In die Luft freigesetztes Uran aus panzerbrechender Munition, liegengebliebene Clusterbomben, giftige Verbrennungsrückstände von Raketen, Zerstörungen ungeheuren Ausmaßes: Mit all diesen Problemen wird Jugoslawien noch sehr lange zu kämpfen haben. Zu den vielen menschlichen Tragödien im Kosovo und in Serbien kommen aber nicht nur die direkten Folgen des Krieges, sondern vor allem auch eine ökologische Katastrophe ungeheuren Ausmaßes.

Pancevo im Spätherbst 1999: Die Stadt liegt etwa 15 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Belgrad. Jeder zehnte Einwohner der zirka 140.000 Menschen hier war in der Raffinerie, der Petrochemie oder dem chemischen Düngemittelkomplex beschäftigt. Damit haben die NATO-Angriffe zunächst einmal die Lebensgrundlage der Einwohner Pancevos zerstört.

Weitaus schlimmer aber ist die massive Bombardierung verursachte Verseuchung der Umwelt, die nicht auf Pancevo und Serbien beschränkt ist, sondern auch die Anrainerstaaten donauabwärts gefährdet.

In Pancevo regiert seit den letzten Wahlen die zum Milosevic'-Regime oppositionelle "Demokratische Partei" - das hat die NATO allerdings bei der Planung ihrer Angriffe nicht tangiert. Folgendes Statement des Bürgermeisters von Pancevo, Milkovic', ist inzwischen von den Untersuchungskommissionen oft zitiert worden: "Erst in den nächsten zwei oder auch 20 Jahren wissen wir über die Folgen der Zerstörungen Genaues. Ich fürchte, viele unserer Leute werden wir in der Onkologie finden, gegen ihren Krebs ankämpfend, viele in der Dermatologie oder den Zentren für Atemwegserkrankungen oder im Leichenhaus ... Aber für heute ist es genug, daß wir uns Sorgen machen, wie wir diesen Sommer und vor allem den nächsten Winter überstehen ..."

Gleich die ersten Angriffe zerstörten einen 100-Tonnen-Tank und drei Waggons mit je 30 Tonnen Vinylchloridmonomeren, einer extrem krebserregenden Verbindung. Es geschah um ein Uhr nachts, die Leute schliefen, während eine hochgiftige Wolke über Pancevo zog.

Ivan Zafirovic', Soziologe und Vertreter der "Grünen Partei der Voijvodina" im Stadtparlament berichtet: "Die Regierung hat verharmlost und abgewiegelt - erst Wochen später gelangte das wahre Ausmaß der Gefahr an die Öffentlichkeit!" Man befürchtete eine Panik und es gab keinerlei Hilfe gegen die Umweltgifte. Ivan erzählt, daß er als Reservesoldat eine Gasmaske besitzt, der Filter jedoch nach zehn bis zwanzig Minuten ausgewechselt werden müßte. Aber wer in Pancevo oder Novi Sad hat schon eine Gasmaske zu Hause?

Die NATO-Angriffe im Mai und Juni zerstörten alle Anlagen, Tonnen von Quecksilber, Phenol, Benzol, Ammoniak, Benzopren und vor allem das hochgiftige Piralen wurden freigesetzt. Vor allem letzteres ist schlimm, ist doch die Erzeugung von Piralen in den USA seit 1997 verboten. Bei seiner Herstellung entsprechen die Sicherheitsvorschriften übrigens denen der AKW, denn ein Liter verseucht vier Millionen Liter Trinkwasser.

Stromabwärts droht Minimata-Krankheit Deutsche Experten befürchten nach ihren Untersuchungen, daß donauabwärts in Serbien, Rumänien und Bulgarien die berüchtigte "Minamata-Krankheit" auftreten könnte. Sie trat 1953 in Japan auf: Fischer hatten dort nach dem Genuß quecksilberverseuchter Fische schwere Seh-, Hör-, Tast- und Bewegungsstörungen. Bei fast 100 Erkrankten trat der Tod ein, eine viel größere Zahl litt Jahrzehnte an den Folgen.

Eine ähnliche Gefahr bedroht jetzt die Donau-Anrainer - und zwar gerade die armen Menschen. Denn sie leben von den Donaufischen, die mit Quecksilber verseucht sind.

Ärzte raten den Menschen hier, in den nächsten Jahren keine Kinder zu zeugen, Schwangeren wird in einigen Fällen die Abtreibung angeraten. Bei ihren Angriffen auf Pancevo hat die NATO argumentiert, hier würde Giftgas zum Einsatz gegen die Kosovo-Albaner erzeugt - keine der internationalen Kommissionen hat diese Behauptung verifiziert.

Neben Pancevo sind die riesigen Raffinerieanlagen in Novi Sad am schwersten zerstört worden. Nachdem das Regime Milosevic' keinerlei Verhandlungsbereitschaft gezeigt hatte, intensivierte die NATO ihre Luftschläge. Über 66.000 Tonnen Öl aus den zerbombten Tanks verseuchten Wasser, Erde und Luft. Über 100 Meter hoch schlugen die Flammen, eine schwarze Riesenwolke hüllte die 300.000 Einwohner Novi Sads tagelang in Nacht und Nebel.

Das Trinkwasser ist äußerst gefährdet "Am schlimmsten aber war", so berichtet ein Ingenieur von der Raffinerie, "daß zwei Tage vor dem Waffenstillstand, also am 8. und 9. Juni, an die 60 B-52-Bomber mit über 100 Ein- und Zwei-Tonnen-Bomben einen Bombenteppich über die Raffinerie und die Umgebung legten. Wir hatten alle Leute evakuiert, aber als die Verhandlungen ein positives Ende zeigten, sind alle zurückgekehrt. Niemand hat mehr mit diesem B-52-Angriff gerechnet. Es gab nichts zu löschen, kein Wasser, keinen Kanal mehr, alle 31 Tanks wurden gleichzeitig getroffen. Was sich in den bereits ausgeflossenen Tanks noch an hochgiftigen Rückständen am Boden befand, verbrannte in einer Giftwolke!"

Die Trinkwasserversorgung Novi Sads ist gefährdet. Die eigentliche Zeitbombe aber tickt noch: Noch sind die Giftstoffe - darunter Piralen aus den zerstörten Trafo-Stationen der Stadt - nicht ins Grundwasser gelangt. Sie sickern aber langsam ein. Beschleunigt wird der Vorgang durch die Schneedecke im Winter werden.

Drei Dutzend Pumpstationen an der Uferpromenade der Donau in Novi Sad fördern Donauwasser in die Kläranlagen zur Trinkwasseraufbereitung für die Stadt und Umgebung, aber von Trinkwasser kann man wohl nicht mehr sprechen.

"Würde die Donau in die Gegenrichtung fließen, also durch Ungarn, Österreich, Deutschland, dann gäbe es ob der Verseuchung einen großen Aufschrei in Europa", sagte ein Vertreter des "World Wildlife Fund" (WWF) bei einer Pressekonferenz in Wien. Der WWF ist eine der wenigen Organisationen, die sich im Rahmen des "Donau-Karpaten-Projekts" mit dem "Ökozid" befaßt - die meisten "Grünen" schweigen, wie Umweltschützer in Serbien verbittert feststellen.

Der Autor ist freier Journalist und Umweltaktivist.

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