Eleven der Wissensgesellschaft

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In der 5A-Klasse am Realgymnasium Polgarstraße in Wien arbeiten alle Schülerinnen und Schüler bereits mit Laptops. Die furche hat sie besucht.

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In der 5A-Klasse am Realgymnasium Polgarstraße in Wien arbeiten alle Schülerinnen und Schüler bereits mit Laptops. Die furche hat sie besucht.

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Ohne Laptop wird der 14-jährige Gymnasiast Florian Motlik in Zukunft nur schwer auskommen. Gemeinsam mit seinen 31 jungen Kollegen der 5A-Klasse am Realgymnasium in der Wiener Polgarstraße bildet er die "Laptopklasse". Das altbewährte Hausübungsheft wird ihn bis zur Matura nicht mehr begleiten, denn seine Arbeiten sendet er künftig großteils nur noch als E-Mail an seinen Lehrer. Es gibt also keine Entschuldigung mehr, dass er es daheim vergessen hat.

Die Computerprogramme Word, Access und Delphi hat der Schüler im kleinen Finger. Alltag im Zeitalter der Wissensgesellschaft. "Das Internet fasziniert mich, weil ich wichtige Informationen binnen drei Sekunden herunterladen kann. Sie sind auf Knopfdruck da", sagt Florian. "Trotzdem verwende ich es nur für bestimmte Zwecke." Chatten im World Wide Web? "Nein, das ist mir zu unpersönlich", betont der junge Mann. "Vor dem PC verblödest du, weil du die Menschen nicht siehst. Ich werde deppert, wenn ich ständig aufs Kastl schau und mich mit fremden Menschen unterhalte. Die können doch erzählen, was sie wollen." Er trifft seine Freunde lieber in der "realen Welt". Familie und Freunde gehen vor. Erst dann kommt der Computer.

Die Laptopklasse am Realgymnasium Polgarstraße im 22. Wiener Gemeindebezirk nimmt an einem Pilotversuch des Unterrichtsministeriums teil, das im Rahmen seiner "IT-Qualifikationsoffensive" zunächst an einigen Schulen den Einsatz von Notebooks als persönliches Arbeitsinstrument für jeden Schüler erprobt. Die Klasse hat den Schwerpunkt Informatik. Das Ministerium trägt rund 80.000 Schilling pro Klasse zur Erstellung der Infrastruktur bei. Zuwenig für 32 Laptops, von denen einer bis zu 40.000 Schilling kosten kann. "Diese Investition ist für viele Eltern einfach zu teuer", so der Direktor der Schule, Alf Mathuber. Es sei schwierig gewesen, das Projekt auf die Beine zu stellen: Lehrer und Eltern suchten nach einem möglichen Sponsor. Dieser wurde gefunden, und zwar der Arzneimittelhersteller Baxter AG. Mathuber: "Möglich wurde das Projekt letztendlich durch diese Firma, die Notebooks im Wert von einer dreiviertel Million Schilling den Schülerinnen und Schülern zur Verfügung stellte." Baxter-Vorstandsmitglied Gordon Busenbark sieht in den Jugendlichen der 5A-Klasse wiederum "zukünftige Angestellte", denn, "Computerkenntnisse werden für Schulabgänger immer wichtiger."

Coach und Moderator Auch der Unterricht ist anders gestaltet: "Der Lehrer", so Mathuber, "fungiert weniger als Wissensvermittler denn als Coach und Moderator." Sogar die Schularbeiten werden auf dem Laptop geschrieben. Für die Schüler heißt es künftig, eigenverantwortlicher und selbstständiger zu arbeiten, sprich die immense Flut von Informationen zu filtern. Englisch ist in der Laptopklasse die hauptsächliche Arbeitssprache.

Die Kosten, die sich durch das Anbinden an das Internet ergeben, übernimmt das Unterrichtsministerium. "Wenn der Schüler ein Notebook kaputt macht, bekommt er es kostenlos ersetzt", versichert Ministerialrat Rudolf Apflauer. "Bis Ende 2001 sollen alle Schulen - das sind in Österreich 6.300 Schulen - an das Internet angeschlossen werden." Derzeit sind etwa 4.000 Schulen bereits im Internet: von der Volksschule, bis zu den höheren Schulen und den pädagogischen Akademien.

Alle ans Netz Für die Landesschulinspektorin des Stadtschulrates für Wien, Henrike Kschwendt-Michel, ist das Modell der Laptopklasse am Realgymnasium Polgarstraße nicht flächendeckend, weil "die Laptops von privater Seite, sprich von den Eltern oder von Sponsoren finanziert werden müssen."

Früh übt, sich wer im Zeitalter des Internets bestehen will. Nicht jede Familie kann sich einen Internetzugang leisten. Hier schafft die ministerielle PC-Offensive Abhilfe: Mit Jahresende soll in Wien jede Volksschulklasse zwei Bildschirme, Internetzugang und Farbdrucker haben. Diese PC-Offensive ist einzigartig in Europa. Derzeit sind etwa neunzig Prozent der Wiener Volksschulklassen mit je zwei PC ausgestattet.

Computer in Volksschulklassen, Laptops als Lehrmittel: Die Schüler der Laptopklasse des Realgymnasiums Polgarstraße sind die junge Generation einer Wissensgesellschaft, deren Konturen immer deutlicher werden. Was erwartet sie im Berufsleben? Der deutsche Soziologe Helmut Willke, Professor an der Universität Bielefeld, sieht in der Arbeit der Zukunft zunehmend Wissensarbeit, die "nicht mehr in der Umformung von Material und der Verwendung von Rohstoffen besteht, sondern in der Umformung und Verarbeitung von Symbolen und Wissenselementen zu neuen Wissensprodukten."

Der Arbeitsmarkt der Zukunft werde folgendermaßen aussehen: "Im oberen Segment von rund 20 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung in den entwickelten OECD-Gesellschaften haben wir die echten Wissensarbeiter." Diese seien "hochprofessionelle, hochkompetente Personen mit exzellenter Ausbildung, die global mobil sind und nicht die geringsten Sorgen haben, eine Anstellung zu finden." Die 20 Prozent im unteren Segment können jedoch mit der Wissensgesellschaft nicht mithalten. Willke: "Entweder sind sie nicht qualifikationsfähig oder nicht willig." Die Einschätzungen des Soziologen sind besorgniserregend: 20 Prozent der Bevölkerung seien "für diese Gesellschaft verloren und hätten keine Chance, sich auf die Anforderungen der Gesellschaft einzustellen." Dazwischen liegt eine großes Segment, das 60 Prozent aller arbeitsfähigen Personen umfasst. Sie bringen, so Willke, "hohe Qualifikationen mit und müssen in der Lage sein, eine starke Dynamik zu entwickeln." Das heißt: "Sie müssen sich permanent fort- und weiterbilden."

Ende nie?

Am lebenslangen Lernen wird auch unsere Laptopklasse nicht vorbei- kommen, um in der Arbeitswelt bestehen zu können. Nach Willke wird es "an den Rändern dieser mittleren Gruppe nach oben und unten eine hohe Fluktuation geben." So werden demnach Arbeitskräfte mit bestimmten Qualifikationen und Erfahrungshintergründen sehr rasch in "die obere Schicht der Wissensarbeiter aufsteigen können." Voraussetzung dafür ist jedoch, dass ihre Qualifikationen gefragt sind.

Hundertprozentige Sicherheit, einen stabilen Arbeitsplatz zu haben, werden allerdings auch qualifizierte Gruppen nicht haben, schätzt Willke: "Es kann durchaus geschehen, dass ganze qualifizierte Gruppen in das untere Segment abstürzen, weil sie wegen einer neuen Technologie, eines neuen Produkts oder eines neuen Programms nicht mehr benötigt werden." Der Soziologe nennt hier als Beispiele Banksachbearbeiter und Versicherungsarbeiter. Selbst wenn sie qualifiziert sind und eine seriöse Lehre durchlaufen haben, kann es ihnen passieren, dass sie mit "einem neuen Softwareprogramm, einer neuen Technologie oder mit der Umstellung auf Telebanking schlicht ihren Arbeitsplatz verlieren."

Für Willke ist Wissen eine Ressource, keineswegs "eine feststehende Wahrheit". Das Wissen, das sich die Schüler der Laptopklasse in der Schule und später im Berufsleben aneignen, ist also im steten Wandel begriffen: "Es ist ein Wissen, das nicht nur einmal erworben wird, sondern das kontinuierlich aufgebaut und revidiert, neu aufgebaut und durch Erfahrung verändert wird."

Klares Fazit: Für die 31 Schüler der Laptopklasse warten also auch noch nach dem Schulabschluss große Anstrengungen, um auch noch in einigen Jahren am Arbeitsmarkt bestehen zu können.

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