Pittermann - © Foto: picturedesk.com / First Look / Günther Pichlkostner

Elisabeth Pittermann: Gegen den Missbrauch von "Sterbehilfe"

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Bis Jahresende ist eine Neuregelung des assistierten Suizids notwendig. Doch auf den lange angekündigten Gesetzesvorschlag wartet man bis heute. Wie muss er aussehen, um Missbrauch möglichst zu verhindern? Und was ist im Hospizbereich nötig? Ein Einwurf.

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Bis Jahresende ist eine Neuregelung des assistierten Suizids notwendig. Doch auf den lange angekündigten Gesetzesvorschlag wartet man bis heute. Wie muss er aussehen, um Missbrauch möglichst zu verhindern? Und was ist im Hospizbereich nötig? Ein Einwurf.

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Der Verfassungsgerichtshof hat im Dezember 2020 entschieden, das generelle Verbot von assistiertem Suizid als verfassungswidrig aufzuheben. Seit Jahren bemühen sich verschiedene Gruppen um diese Aufhebung. Von vielen Menschen wurde zwar davor gewarnt, dass ein Dammbruch und Missbrauch nicht auszuschließen seien. Doch das ließ die anonym entscheidenden Richter unbeeindruckt.

In Österreich ist Suizid nicht verboten, daher ist der selbstbestimmte, allein ausgeübte Suizid – auch wenn er überlebt wird – nicht strafbar. Bis auf wenige Menschen mit krankheitsbedingten Ausnahmen (z.B. Lähmungen) kann jeder, der will, sich selbst töten. Nach Ansicht der Verfechter des assistierten Suizids muss man allerdings nicht schwer erkrankt sein für die Möglichkeit des assistierten Suizids: Es genügt der Wunsch zu sterben.

Als Fachärztin mit fast 40-jähriger Spitalserfahrung habe ich bei schwerstkranken Menschen manchmal den Wunsch nach Hilfe zum Sterben erlebt. Wenige Minuten später wünschten die selben Patienten aber oft ein weiteres Gespräch, in dem sie von ihren Symptomen und Ängsten berichteten – mit der Bitte um Hilfe, die Leiden zu lindern und das noch verbleibende Leben zu erleichtern.

Tod an einem Stichtag?

Gesunde können sich im Allgemeinen nicht vorstellen, dass auch schwer beeinträchtigte Menschen noch ihr Leben lieben und eine Verbesserung ihres Zustandes wünschen. Suizide bei unseren Patienten gab es äußerst selten, meist wurde er gemeinsam mit dem Partner begangen, der sich offensichtlich ein Leben ohne seinen Lebensmenschen nicht vorstellen konnte.

Oft muss ich an einen Film denken, den ich in den 1990er Jahren in der ORF-Sendereihe „kreuz und quer“ sah. Er handelte von einem an Amyotropher Lateral-Sklerose (ALS) erkrankten Menschen. Dieser wurde von einem Arzt besucht, der feststellte, dass das Leben des Erkrankten nur mehr beschwerlich sei, er ersticken würde und die Pflege für seine Frau unzumutbar wäre: Daher sei es besser, mit dem Leben Schluss zu machen. Der Patient ging schweren Herzens darauf ein, man einigte sich, dass er in wenigen Wochen anlässlich seines 50. Geburtstag getötet würde. An besagtem Tag kam der Arzt tatsächlich, um ihn zu töten. Der Patient weinte bitterlich und wollte diesen Schritt nicht setzen, doch der Arzt überredete ihn und setzte die tödliche Injektion.

Druck auf die Schwächsten

Dies war für mich so erschütternd, dass meine Vorbehalte gegen Tötungen noch mehr verfestigt wurden. Die entschiedene Ablehnung von Tötungen jeglicher Art hat aber auch persönliche Gründe: Sie beruht darauf, dass die Haltung meiner Eltern in Diktaturzeiten unerwünscht war, dass meine Mutter außerdem schwer behindert und „rassisch“ verfolgt war und meine Großmutter aufgrund einer falschen Annahme ermordet wurde. Ich habe keine religiösen Motive, sondern die große Angst vor einem Dammbruch und Druck auf die Schwächsten in unserer Gesellschaft. Wie rasch sich Gesellschaften wandeln können und ethische Grenzen sich verschieben, hat man in der Vergangenheit gesehen – und kann es auch heute leider erleben.

Immer wieder wird in Diskussionen vorgerechnet, wie teuer bestimmte Menschengruppen sind: Alte, Kranke, Menschen mit Beeinträchtigungen, psychisch Kranke und solche, die von der Allgemeinheit versorgt werden müssen. Ich fürchte, der Druck in Richtung einer vorzeitigen Beendigung des Lebens wird sich bei Freigabe des assistierten Suizids verstärken.

Die Verfassungsrichter haben dennoch diesen Schritt gesetzt. Umso mehr stellt sich jetzt die Frage, wie Missbrauch bestmöglich verhindert werden kann. Aus meiner Sicht sollten nur Menschen im Vollbesitz ihrer mentalen Kräfte assistierten Suizid in Anspruch nehmen können, zudem muss eine schwere unheilbare Krankheit vorliegen, die in absehbarer Zeit zum Tode führt und die Menschen in ihrem Handlungsspielraum sehr einschränkt. Die Volljährigkeit ist ebenso Bedingung.

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