Eltern sind "in", Politiker "out"

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Der Wunsch nach Individualität und Authentizität hat bei der Jugend zugenommen, und das ist wohl einer der Gründe, warum die Bedeutung der Vorbilder abgenommen hat", meint die Jugendforscherin Heide Tebbich vom Österreichischen Institut für Jugendforschung (ÖIJ) in Wien. Es gebe zwar keine aktuelle empirische Erhebung zum Thema "Jugend und ihre Vorbilder", trotzdem könne anhand der Entwicklung zwischen 1950 und Mitte der neunziger Jahre festgestellt werden, dass Vorbilder im Sinne von bestimmten Personen dramatisch an Bedeutung verloren haben. Für Tebbich hat das mehrere Gründe: Der Begriff selbst ist "out". Vorbild habe etwas mit Autorität zu tun und bei Jugendlichen habe die Autoritätsgedanke abgenommen. Sie wollen keine Kopie von jemandem sein, Individualität werde ganz groß geschrieben. Es gebe noch Identifikationsfiguren, aber da werde nicht die gesamte Person nachgeahmt, sondern nur Teilaspekte. Junge Menschen stellen sich heute eine "Identifikationskonzept" aus verschiedenen Personen zusammen, um damit ihre eigene Individualität zu unterstreichen.

Der Verlust an Identifikationsfiguren spiegelt sich auch in der Jugendkultur wider: die Musikrichtung Techno ist seit den neunziger Jahren ein ganz wichtiger Bestandteil der Jugendkultur. Bei Techno gibt es keine Personen mehr, die im Vordergrund stehen, abgesehen von DJs, die Kultstatus erlangt haben.

Laut Österreichischer Wertestudie 2000 vom Institut für Jugendforschung ist der Wunsch nach Selbstverwirklichung enorm, aber gleichzeitig ist auch die Bedeutung schützender Beziehungen gestiegen. Die Wichtigkeit von Freundschaften hat die Bedeutung der Familie sogar überholt. Tebbich stellt allerdings fest, dass die Vorbilder vom Nah- in den Fernbereich gerückt sind. In den fünfziger und sechziger Jahren kamen die Vorbilder noch eher aus dem Bereich der Familie. Wenn Jugendliche heute Vorbilder nennen, beziehen sie sie vor allem aus dem Medien-, Pop- und Filmbereich.

Es gibt auch geschlechtsspezifische Unterschiede. Die Burschen, vor allem die 11- bis14-Jährigen haben vor allem Sportler als Vorbild. "Bei unserer Studie Mitte der neunziger Jahre lag aber die Mutter bei den Mädchen an erster Stelle der Vorbilder". Mädchen können auf Vorbilder im Nahbereich zurückgreifen, Burschen sind mehr darauf angewiesen sich Vorbilder aus dem Fernbereich zu suchen. Das könne etwas mit den abwesenden Vätern zu tun haben, meint Tebbich. "An der traditionellen Aufteilung in der Familie hat sich nicht sehr viel geändert. Man sieht das ja daran, wieviele Väter in Karenz gehen. Viele Männer glänzen durch Abwesenheit und die Jugendlichen äußern daran ihre Kritik. Ein Vater, der nicht da ist, kann schwer als Vorbild auftauchen."

Bei der Straßenbefragung der furche (siehe oben) fiel auf, dass die Jugendlichen die eigenen Eltern zunächst nicht als Vorbild nannten. Erst nach genauem Nachfragen sagten eigentlich alle, dass sie ihre Eltern vorbildlich in bezug auf Persönlichkeit oder Beruf finden. Die Eltern werden zwar bewundert, aber meist wurden auch andere Vorbilder genannt.

Die Jugendlichen würden ihre Eltern schon sehr differenziert sehen, bekräftigt Heide Tebbich. Der Generationskonflikt nehme ab, da der Erziehungsstil der Eltern partnerschaftlicher geworden sei. So sind die Eltern Vertrauenspersonen, vor allem für die Mädchen die Mutter. "Allen Gerüchten zum Trotz sind Eltern wichtige Ansprechpartner. Das Elternhaus, das angeblich an Bedeutung verliert, ist ein Mythos, der sich so nicht bewahrheitet", resümiert die Jugendforscherin.

Bemerkenswert ist, dass Politiker als Vorbilder bei Jugendlichen überhaupt nicht mehr auftauchen. Traditionelle Politik wird abgelehnt, die Politiker haben ein schlechtes Image.

Aber Jugendlichen ein Desinteresse an gesellschafts- und sozialpolitischen Fragen zu unterstellen sei unrichtig, meint Frau Tebbich. Denn das Interesse an (basis-)demokratischen Aktivitäten sei sehr hoch. Laut Wertstudie 2000 können sich viele auch eine Expertokratie vorstellen, allerdings bevorzugt ein Viertel der 1.000 befragten Jugendlichen zwischen 14 und 24 Jahren einen "starken Mann" als Führer. Man muss diese Zahlen allerdings relativieren, denn durch den Reifungsprozess zum Erwachsenen ist eine Entwicklung zur Distanz zu autoritären Mustern möglich. "Diese Aussagen sind geprägt durch das kindliche Gemüt, dass Konflikte durch Stärke und Kraft lösbar seien", erläutert dazu Günther Ogris, wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Jugendforschung. Mitbestimmung und Kompromisse auszuverhandeln seit weitaus komplizierter und verlange gewisse Reife und soziale Kompetenz.

Jugendliche sehen allerdings die Relevanz der traditionellen Politik nicht mehr und lehnen sie daher ab. Es ist ihnen klar, dass es meistens nicht um Inhalte geht, sondern nur um Parteipolitik. Auch der hierarchischen Struktur in Parteien stehen sie kritisch gegenüber. Ein Politiker müsse Inhalte glaubhaft vertreten können, er solle authentisch sein, dann würde er eher als Vorbild auftauchen. "Es gibt aber für Jugendliche attraktive Politiker, zum Beispiel Jörg Haider als Oppositionspolitiker. Er war attraktiv, allerdings weniger wegen der Inhalte, sondern aufgrund seines Auftreten, seines ,Stylings', wegen des Rebellentums gegen die traditionelle, alteingesessene Politik", stellt dazu Heide Tebbich fest.

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