Emanzipation im Kriechgang

Werbung
Werbung
Werbung

Zehn Jahre nach der Weltfrauenkonferenz in Peking wird nun in New York geprüft, ob die damals beschlossenen Maßnahmen für mehr Geschlechtergerechtigkeit umgesetzt wurden. Der Schwung von einst ist jedenfalls verflogen.

Take Beijing home" - "Nehmt Peking mit nach Hause": So lautete der Appell am Ende der vierten Weltfrauenkonferenz in der chinesischen Hauptstadt, zu der sich im September 1995 rund 10.000 Delegierte eingefunden hatten. Die Frauen sollten die Dynamik mit nach Hause nehmen, um die in Peking verabschiedete Aktionsplattform umzusetzen. Zwölf strategische Handlungsfelder wurden darin definiert - von "Frauen und Armut" über "Gewalt gegen Frauen" bis hin zum Bereich "Frauen und Medien". Die Aktionsplattform war als Handlungsanleitung konzipiert, um die 1979 verabschiedete Anti-Diskriminierungskonvention cedaw (Convention on the Elimination of all Forms of Discrimination against Women) unter den Vorzeichen der Globalisierung zu aktualisieren und zu konkretisieren.

Globale Ernüchterung

Zehn Jahre nach Peking ist dieser Schwung verflogen. Dabei gebe es heuer eine Reihe von Jahrestagen zu begehen: Vor 60 Jahren erklärte die uno-Charta die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen zum prägenden Prinzip der Vereinten Nationen. 1975 wurde das Internationale Jahr der Frau begangen, auf das von 1976 bis 1985 die von der uno ausgerufene Weltfrauendekade folgte. Ebenfalls 1975 fand in Mexiko-Stadt die erste Weltfrauenkonferenz statt. Peking 1995 - das größte internationaleFrauentreffen aller Zeiten - stellte dann den Höhepunkt der un-Konferenzen im Jahrhundert der Emanzipation dar.

Vieles ist in diesen sechs Jahrzehnten erreicht worden. Die Anerkennung von Frauenrechten als Menschenrechten sowie die Brandmarkung von Gewalt gegen Frauen sind Meilensteine im Bewusstseinsprozess und in der Rechtsentwicklung. Schließlich darf nicht vergessen werden, dass selbst bei der ersten Weltfrauenkonferenz 1975 der Tatbestand der Gewalt gegen Frauen überhaupt noch nicht auf der internationalen Bewusstseinsebene angekommen war.

"Gewalt gegen Frauen ist wahrscheinlich das größte Tabu überhaupt im Kampf der Geschlechter um die Vorherrschaft in der Gesellschaft und in der Familie", meint Lilian Hofmeister, zehn Jahre Mitglied der Bundesgleichbehandlungskommission und Regierungsdelegationsmitglied bei der Weltfrauenkonferenz in Peking. "Faktum ist, dass etwa in der österreichischen Rechtsordnung bis zur Zweiten Republik die Züchtigung von Frauen entweder explizit im Gesetz erlaubt war oder zumindest geduldet wurde."

Spätestens in der Weltfrauendekade stieg nach den Worten der österreichischen Frauenforscherin Brita Neuhold "das Selbstbewusstsein der Frauen sprunghaft an, sie begannen sich auf den verschiedensten Ebenen einzumischen'"'. Vor allem aber nahm die Solidarität und das Gefühl der Zusammengehörigkeit unter Frauen - auch über die Grenzen von Politik und Kultur hinweg - zu.

Fortschritte hat es auch nach Peking gegeben, zumal auf der rechtlichen Ebene. Innerhalb der Europäischen Union wurde die Verpflichtung zum Gender Mainstreaming im Amsterdamer Vertrag von 1999 verankert. Die Union wird darin aufgefordert, die Gleichstellung von Frauen und Männern in all ihren Agenden zu fördern. Für Österreich wäre hier das Gewaltschutzgesetz zu nennen, das 1997 in Kraft getreten ist.

Dennoch zeigt die Realität weltweit nach wie vor ein düsteres Bild. Nach Feststellungen des UN-Weltbevölkerungsfonds wird mindestens jede dritte Frau in ihrem Leben geschlagen, zum Sexualverkehr gezwungen oder in anderer Weise missbraucht. In der Bevölkerungsstatistik fehlen über 60 Millionen Mädchen auf Grund von selektiver Abtreibung, Kindesmord oder Tod durch Vernachlässigung. Besorgnis erregend ist auch die Zunahme von Frauen- und Mädchenhandel sowie Zwangsprostitution. Auch Praktiken wie die weibliche Genitalverstümmelung werden trotz internationaler Ächtung und nationaler Strafgesetze weiterhin millionenfach durchgeführt (siehe Seite 3).

In vielen Ländern mangelt es nicht nur an der Umsetzung der neuen Rechtsvorschriften. Es fehlt allenthalben der Wille, die strukturellen Ungleichgewichte - insbesondere auch jene ökonomisch-sozialer Natur - anzugehen.

Gerade die aktuelle, auf Liberalisierung ausgerichtete Wirtschaftspolitik stellt eine große Hürde auf dem Weg zur Gleichstellung der Geschlechter dar, betont der jüngste Bericht der Europäischen Frauenlobby, einem bei der eu in Brüssel tätigen Dachverband von mehr als 4000 europäischen Frauen-NGOs. Von der so genannten "Flexibilisierung" der Beschäftigungsstrukturen und dem damit verbundenen Sozialabbau sind Frauen wesentlich stärker betroffen als Männer. Die Feminisierung der Armut schreitet in Europa und auf globaler Ebene voran. Immer mehr Frauen sind weltweit in prekären Arbeitsverhältnissen ohne würdigen Lohn und ohne soziales Netz tätig. Diese ökonomische Schlechterstellung beeinträchtigt weiter den Zugang von Frauen zu Gesundheit und Bildung. Ganz düster ist die Situation in der wto (Welthandelsorganisation), betont Brita Neuhold. Hier gebe es weder auf dem Papier noch in der praktischen Arbeit das geringste Bekenntnis zu Gendergerechtigkeit.

Eine weitere Gefahr erwächst den Frauen aus den neuen religiösen Fundamentalismen. Der drohende Rückschlag hatte sich schon vor Peking angedeutet, und zwar bei der un-Konferenz für Bevölkerung und Entwicklung 1994 in Kairo. Damals war es vor allem der Vatikan, der versuchte, die Festschreibung der Selbstbestimmungsrechte der Frau über ihren Körper, ihre Sexualität und die Geburtenkontrolle zu verhindern.

Frauenfeindliche Phalanx?

Im Jahr 2000, bei der uno-Sonderversammlung "Beijing+5", traten die konservativen christlichen und muslimischen Kräfte noch viel entschlossener auf. Die Front zwischen Konservativen und Progressiven war so hart, dass viele Frauen sich dezidiert gegen die Abhaltung einer fünften Weltfrauenkonferenz aussprachen. Statt dessen einigte man sich lediglich auf eine Sondersitzung der un-Frauenstatuskommission "Beijing +10", die derzeit - von 28. Februar bis 11. März - in New York statt findet. Zentrales Ziel für New York sei laut Brita Neuhold, dass die Aktionsplattform und die Anti-Diskriminierungskonvention cedaw voll bestätigt werden und sich die Staaten zu deren Umsetzung bekennen.

Danach bleibt den Frauenorganisationen nur eines: Weiter Druck zu machen. Oder wie es kürzlich der Titel einer Tagung zum Thema "Beijing+10" ausdrückte: "Wir wollen endlich Taten sehen!"

Nähere Informationen unter www.un.org, www.womenlobby.org, www.oneworld.at/wide,

www.horizont3000.at

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung