Emanzipation in SCHLIMMER ZEIT

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Im jordanischen Flüchtlingslager Za'atari leben vor allem Frauen - und sie haben es in vielerlei Hinsicht schwer. Für einen nachhaltigen Friedensprozess ist die Einbindung der Frauen und Mädchen essentiell.

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Im jordanischen Flüchtlingslager Za'atari leben vor allem Frauen - und sie haben es in vielerlei Hinsicht schwer. Für einen nachhaltigen Friedensprozess ist die Einbindung der Frauen und Mädchen essentiell.

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Djamala A. sitzt vor einem Teppich, an dem sie mit anderen Frauen im Flüchtlingslager Za' atari gearbeitet hat. Die 47-jährige Syrerin lebt seit vier Jahren hier. "Das Leben ist oft sehr schwer für mich. Ich lebe alleine mit meinen drei Kindern. Zwei meiner Söhne wurden in Syrien vor meinen Augen vom IS umgebracht, mein Mann ist ebenfalls bereits tot." Das Weben hilft ihr dabei, die traumatischen Erlebnisse für eine kurze Zeit zu vergessen und lenkt sie von ihren alltäglichen Sorgen ab. Seit einem Jahr bringt sie auch anderen Frauen das Weben bei. "Es geht mir besser, wenn ich was zu tun habe und anderen etwas beibringen kann." Die Halle, in der wir uns befinden, bildet das Zentrum der "Oase", einer sicheren Zone innerhalb des Lagers, die von UN Women, der Frauenorganisation der Vereinten Nationen, als Rückzugsort für Frauen angelegt wurde. Hier können Frauen Zuflucht vor Gewalt finden, sich austauschen, oder einer Arbeit nachgehen. Es gibt unterschiedliche Lernprogramme, wie Alphabetisierungskurse, Englischunterricht oder Computerkurse. Ein kleiner Raum nebenan dient den Kindern als Kindergarten und Schule.

Das Leben in Za'atari birgt für Frauen täglich mehrere Herausforderungen. Mitten in der jordanischen Wüste, nur wenige Kilometer von der syrischen Grenze entfernt, wurde das Lager im Sommer 2012 kurzerhand errichtet, um den massiven Flüchtlingsstrom aus Syrien abzufangen. Ursprünglich als provisorisches Lager gedacht, zählt Za'atari nun mit rund 80.000 BewohnerInnen zu den größten "Städten" Jordaniens. Temporäre Zelte wurden durch Container ersetzt, es gibt zahlreiche Einkaufsmöglichkeiten, elf Schulen und zwei Krankenhäuser. Rund 80 %der dort lebenden Flüchtlinge sind Frauen und Kinder, viele davon Alleinerzieherinnen. Ihre Männer befinden sich häufig im Krieg, wurden bereits getötet oder versuchen den mühevollen Weg nach Europa zu bewältigen. Je länger der Krieg andauert, desto knapper werden die Ressourcen und die Zuwendungen der internationalen Organisationen reichen für eine mehrköpfige Familie oftmals nicht aus.

Schutz vor Gewalt

Mit "Cash for Work"-Programmen versucht UN Women gezielt, Frauen in dieser schwierigen Situation zu unterstützen. Die Programme sollen den Frauen das Erlernen neuer Fertigkeiten ermöglichen und sie aus der Isolation holen. "Allerdings ist es vorerst am wichtigsten, die Frauen vor Gewalt zu schützen. Es geht dabei oft ums Überleben", erklärt Heba Zayyan, Projektkoordinatorin bei UN Women Jordanien. Häusliche Gewalt, Prostitution und frühe Kinderehen zählen zu den häufigsten Problemen, mit denen Mädchen und Frauen im Lager konfrontiert sind. Insbesondere ökonomischer Druck, mangelnde Perspektiven und ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit tragen zu deren Zunahme bei.

Die Anzahl der Eheschließungen syrischer Mädchen unter 18 Jahren ist in den vergangenen Jahren von 13 %auf ein Drittel gestiegen. Elternteile sehen die Heirat oft als einzige Möglichkeit, um ihren Töchtern eine Zukunft zu bieten. Dies bestätigt auch ein Mitarbeiter des Flüchtlingshochkommissariats der Vereinten Nationen, "zudem werden viele junge Mädchen an Männer aus Saudi-Arabien oder Ägypten verkauft. Die Ausweglosigkeit, in der sich viele Familien befinden, lässt ihnen oft kaum eine andere Wahl", fügt er hinzu.

Majdoleen Hassan, syrische Rechtsanwältin und Menschenrechtsaktivistin, bestätigt dieses Phänomen: "Die Bedingungen in den Lagern sind im Allgemeinen sehr schlecht. Viele Frauen sind gezwungen zu heiraten oder werden als Sklavinnen verkauft. Um dies zukünftig zu verhindern, müssen wir das Thema in den Mittelpunkt rücken." Hassan musste ebenfalls aus Syrien fliehen und kam im Sommer 2016 aufgrund einer Verschärfung ihrer Situation im Libanon nach Österreich. Sie ist mit elf weiteren Frauen Teil des Syrian Women Advisory Board, das dem UN-Sondergesandten für Syrien, Staffan de Mistura, berichtet.

Krieg und Flucht haben traditionelle Geschlechterrollen aufgebrochen. Viele Frauen erfüllen nun Aufgaben, die früher charakteristisch Männern vorbehalten waren. "Einige Frauen waren vor dem Krieg an den Haushalt gebunden. Jetzt, wo viele der Männer weg sind - im Krieg oder in Gefangenschaft -, sind es Frauen, die deren Positionen übernehmen", bemerkt Hassan. Neben Arbeitsstellen haben sich auch unterschiedliche Netzwerke herausgebildet, die dazu dienen, die Stellung von Frauen zu stärken. In Za'atari gibt es beispielsweise das Syrian Women Committee, das sich aus 22 Frauen der unterschiedlichen Bezirke des Lagers zusammensetzt. Das Komitee fungiert als Sprachrohr zwischen Community, Dienstleistern und Entscheidungsträgern, und macht auf die speziellen Bedürfnisse von Frauen aufmerksam.

Kämpferinnen gegen Extremismus

Gerade als Akteurinnen im Kampf gegen gewalttätigen Extremismus rückt die Rolle von Frauen neuerdings verstärkt in den Mittelpunkt. Zahlreiche Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen betonen die Notwendigkeit, Frauen in Strategien gegen Extremismus auf unterschiedlichen Ebenen einzubeziehen. Allerdings hinkt wie so oft die Umsetzung in den betroffenen Staaten hinterher.

"Extremismus ist ein zentrales Thema in Jordanien und wird immer bedeutsamer. Die große Herausforderung besteht darin, isolierte Orte, die einen Hort für Radikalisierung darstellen, zu öffnen" erklärt Zayyan. Flüchtlingslager gelten als beliebte Rekrutierungsstätten. Angeblich sollen 10-25 % der ärmeren Bevölkerung mit dem IS sympathisieren. Dies sind jedoch nur Schätzungen, verlässliche Daten hierzu gibt es nicht.

Laut einer Umfrage sind 71 %der JordanierInnen davon überzeugt, dass Frauen stärker von den Gefahren der Radikalisierung betroffen seien als Männer. "Es ist ein sehr sensibles Thema, und man muss vorsichtig sein, wie man damit umgeht", fügt Zayyan hinzu. "Frauen stehen oft zwischen der Funktion als Akteurin oder Gegnerin von gewalttätigem Extremismus. Diese Situation kann sehr gefährlich für sie werden." Müttern wird bei der Prävention aufgrund ihres starken Einflusses auf das Familienleben eine Schlüsselrolle zugeschrieben. Auch extremistische Gruppen haben dies erkannt, was am Anstieg der gezielten Rekrutierung von Frauen zu erkennen ist.

Dazu kommt, dass die Radikalisierung von Familienmitgliedern Frauen vor bislang nicht dagewesene Herausforderungen stellt. "Wir müssen sehr aufpassen, in welche Rolle wir Frauen drängen. Es passiert sehr häufig, dass Frauen aus den Communities ausgestoßen werden, wenn ihre Familienmitglieder sich extremistischen Gruppierungen anschließen. Dieser Aspekt wird leider sehr häufig ignoriert", erklärt Zayyan.

Wichtig sei es, Frauen auf allen Ebenen zu unterstützen und in Entscheidungspositionen zu bringen. Sie dürften nicht nur als Mütter, sondern müssten als zentrale Akteurinnen in ihrem Bereich gesehen werden - als Studentinnen, als religiöse Leitpersonen, als Entscheidungsträgerinnen. Auch die Inklusion von Betroffenen müsste besser funktionieren. Beratungsstellen kommt dabei eine grundlegende Funktion zu, sie sollen eine Plattform für Austausch und Zusammenschluss bieten. "Es ist essentiell, in Prävention zu investieren, und nicht nur zu reagieren." Für Hassan ist die Einbindung von Frauen in den Friedensprozess wesentlich, um eine nachhaltige Wirkung zu schaffen. "Diejenigen, die am meisten im Krieg verloren haben, sind auch diejenigen, die am besten wissen, wie Frieden erreicht werden kann. Daher ist es unabdingbar, Frauen in die Friedensgespräche einzubinden und als Akteurinnen gegen Extremismus wahrzunehmen."

Das Projekt

Cash for Work in Za'atari

Die von UN Women eingerichteten "Cash for Work"-Programme im Flüchtlingslager Za'atari erreichen pro Tag rund 230 Frauen. Die Arbeit soll den Frauen ein zusätzliches Einkommen ermöglichen und damit zu mehr Unabhängigkeit verhelfen. Arbeitsplätze werden dort geschaffen, wo Bedarf besteht. Darunter fallen u. a. die Herstellung von Schuluniformen und "Baby-Kits" für Neugeborene, sowie Unterricht und Kinderbetreuung. Jede verrichtete Arbeit wird bezahlt, die Dienstleistungen sind für die LagerbewohnerInnen kostenfrei.

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