Endlich erwachsen - PLÖTZLICH ALLEIN

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Mit dem 18. Geburtstag werden auch soziale Probleme volljährig: Für jene Jugendliche, die ohne stützendes Elternhaus aufgewachsen sind, bricht die Unterstützung abrupt ab.

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Mit dem 18. Geburtstag werden auch soziale Probleme volljährig: Für jene Jugendliche, die ohne stützendes Elternhaus aufgewachsen sind, bricht die Unterstützung abrupt ab.

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Diese Woche hat Abbas Putzdienst, aber Shander hat ihm in der Küche geholfen: "Weil wir wussten, dass Sie kommen", kokettiert er, als er den Besuch durch die Wohnung führt. Seit Oktober wohnen der 18- und der 19-Jährige mit fünf gleichaltrigen Burschen in einer WG in der Wiener Josefstadt. Shander ist ein Spaßvogel, Abbas eher introvertiert. Ali geht in die HTL. Mohammed möchte Krankenpfleger werden und macht deshalb gerade zwei Deutschkurse gleichzeitig. Sie sind sehr unterschiedlich, aber ein Detail in ihrer Geschichte teilen sie: Alle sind aus Afghanistan nach Österreich geflüchtet, als sie noch minderjährig waren. Sie lebten in Häusern für "unbegleitete minderjährige Flüchtlinge", besuchten Deutschkurse, hatten Bezugspersonen und Rechtsberater. Bis zu ihrem 18. Geburtstag. Dann mussten sie ausziehen. Die Betreuung brach ab.

Für die meisten Jugendlichen ist der 18. Geburtstag ein lang herbeigesehnter Grund zum Feiern: Sie dürfen Auto fahren, Schnaps trinken, Verträge abschließen. Sie müssen ihre Eltern weder um Erlaubnis noch um Rat fragen - können aber, wenn sie es wollen. Mit 21 wohnen 70 Prozent der Österreicher immer noch bei den Eltern.

Selbstständigkeit als Imperativ

18 ist ein schönes Alter, wenn man ein Zuhause hat. Junge Menschen, die nicht in ihrer Familie aufwachsen konnten, stehen nach ihrem 18. Geburtstag aber oft vor neuen Schwierigkeiten.

Fast 11.000 Kinder und Jugendliche in Österreich lebten 2013 bei Pflegeeltern oder in sozialpädagogischen Einrichtungen. Für sie wird die Selbstständigkeit mit dem 18. Geburtstag zum Imperativ. "Viele wollen rasch auf eigenen Beinen stehen", sagt Herta Staffa von der Mag Elf, dem Wiener Amt für Jugend und Familie, das für Fremdunterbringungen zuständig ist.

Eine ähnliche Erfahrung hat Michael Gnauer von SOS Kinderdorf gemacht, der selbst jahrzehntelang als Sozialarbeiter in Jugend-Wohngruppen gearbeitet hat: "Mit 18 glauben viele, sie haben alles im Griff." Er weiß aber auch, wie es oft weitergeht: "Wenig später werden sie aber oft von der Realität eingeholt." Das Erwachsenenleben überfordere sie. Ein familiäres Netz, das auffangen kann, gibt es nicht.

Heute ist Gnauer bei SOS Kinderdorf für den Bereich Anwaltschaft zuständig. Die Organisation fordert von der Politik, dass auch über 18-Jährige Anspruch auf Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe haben sollen. Eine Petition soll Familienministerin Sophie Karmasin erreichen, ein Initiativantrag liegt im Familienausschuss des Parlaments. "Erwachenwerden braucht Zeit", sagt Gnauer: "Ausgerechnet diejenigen, die es sowieso schon schwer haben, bekommen keine Chance zum Nachreifen." Im Erstentwurf des Bundesrahmengesetzes, das 2013 nach fünf zähen Verhandlungsjahren beschlossen wurde, war ein Rechtsanspruch auf Hilfe für junge Erwachsene bis 21 vorgesehen. Der schaffte es aber nicht in Letztversion. Übrig blieb lediglich eine Ermessensentscheidung. Das heißt: Wenn die Kinder- und Jugendhilfe es für nötig hält, kann die Betreuung verlängert werden.

Für Gnauer reicht das nicht: "Mit dem 18. Geburtstag wird man von jemandem mit einem Rechtsanspruch zu einem Almosenempfänger", meint er. Dadurch steige der Druck auf Jugendliche, Sozialarbeiter und Einrichtungsbetreiber, bis zu diesem Tag alles unter Dach und Fach zu bringen.

Harter Übergang

Herta Staffa sieht das anders: In den Jugend-WGs der Stadt Wien bereite man sich schon lange vor der Volljährigkeit darauf vor, und überlege gemeinsam, wie es weitergehen kann. "Niemand wird einfach vor die Tür gesetzt", sagt sie. Dass niemand auf der Straße landet ist auch Hannah Swoboda-Grafschafter und ihrem Team im Caritas-Wohnhaus JUCA zu verdanken. Seit mehr als 30 Jahren finden obdachlose junge Erwachsene dort einen vorübergehenden Platz zum Wohnen. Lange lag das Durchschnittsalter der Bewohner bei 27 Jahren. In den letzten Jahren sinkt es aber: "Momentan stehen wir bei 19 bis 20 Jahren", sagt Swoboda-Grafschafter, die die Problematik des 18. Geburtstags kennt: "Das gute, engmaschige Netz der Kinder- und Jugendhilfe bricht mit einem Tag zusammen." Das System der Erwachsenenhilfe, beobachtet sie, sei für viele 18-Jährige oft überfordernd. Die beiden Systeme griffen nicht gut ineinander über, kritisiert sie. Im JUCA werden Jugendliche daher ab ihrem 18. Geburtstag aufgenommen: "Weil die Kinder-und Jugendhilfe in vielen Fällen die Betreuung beendet und die Personen in die Wohnungslosigkeit entlässt."

Engagierte Helfer basteln Notlösungen

Auch Abbas, Ali und Mohammed aus der Burschen-WG in der Josefstadt mussten nach ihrem 18. Geburtstag Wege finden, um der Wohnungslosigkeit zu entkommen. Ali fand ein Zimmer in einer Privatwohnung das er mit sieben anderen Männern teilte. Abbas, der noch auf einen Entscheid des Asylgerichtshof wartete, kam in ein Flüchtlingsquartier für Erwachsene.

"Dort wohnen die Jugendlichen mit deutlich älteren Menschen zusammen, es gibt keine Tagesstruktur mehr", sagt Katharina Glawischnig von der asylkoordination: "Bei vielen jungen Flüchtlingen führt die Volljährigkeit zu einer psychischen Krise." Man könne auch häufig Bildungsabbrüche nach dem 18. Geburtstag beobachten, weil es niemanden mehr gäbe, der motiviert, oder schlichtweg ein Platz zum Lernen fehle.

Paten von Flüchtlingskindern, die volljährig werden, kennen dieses Problem. Auch Thomas Prader, Anwalt in Wien und selbst Pate im Programm "connecting people", gründete daher mit anderen Involvierten einen Verein und mietete eine 200-Quadratmeter-Wohnung. "Für junge Flüchtlinge, die volljährig werden und einen Aufenthaltstitel haben, ist es fast unmöglich, einen richtigen Mietvertrag zu bekommen", weiß Lore Ringel, die sich in der Flüchtlings-WG engagiert. Shander, Ali und die anderen sind Untermieter des Vereins, zahlen monatlich 350 Euro für ihr Zimmer.

Die WG bietet aber mehr als einen Platz zum Schlafen und Essen: Eine helfende Hand, ein guter Rat, wenn es nötig ist: Als Shander einen RSa-Brief nicht abholte, erklärten Ringel und ihre Kollegen ihm, was ein behördliches Schriftstück ist. Sie helfen Ali dabei herauszufinden, warum er schon seit zwei Monaten auf seine Mindestsicherung warten muss.

Dass viele 18-Jährige trotz ihrer prekären Lage nicht auf der Straße landen, liegt am persönlichen Engagement von Menschen wie Lore Ringel oder Thomas Prader. Auch viele Quartiere für Kinderflüchtlinge schaffen freiwillig Übergangslösungen und betreuen Volljährige weiter, ohne dafür bezahlt zu werden. Viele motivierte Sozialarbeiter unterstützen Jugendliche weiterhin, nachdem sie aus sozialpädagogischen Einrichtungen ausgezogen sind. "Man bastelt an Notlösungen", sagt Michael Gnauer.

Weniger für die, die mehr brauchen

Ein unzureichender Kompromiss ist für ihn auch die gesetzliche Option, die Unterstützung der Kinder-und Jugendhilfe bei individuellem Bedarf bis 21 auszuweiten. Das wird in den Bundesländern nämlich nach ungleichen Kriterien entschieden und nicht einmal einheitlich verfasst: In der Steiermark gab es 2013 achtmal so viele Verlängerungen wie in Salzburg, obwohl dort nur zweimal so viele Jugendliche leben. Niederösterreich etwa macht gar keine Angabe darüber.

In Wien ist die Verlängerung an eine Ausbildung geknüpft: "Wer im März 18 wird, aber erst im September seine Lehre abschließt, wird natürlich nicht aus der sozialpädagogischen Einrichtung geworfen", versichert Herta Staffa von der Mag Elf. Michael Gnauer sieht in der Koppelung der Betreuung an die Bildungsmaßnahme trotzdem ein Problem: "Ein Schul- oder Berufswechsel wird so unmöglich. Vergangenheitsbewältigung und Persönlichkeitsentwicklung kommen zu kurz."

Auch Swoboda-Grafschafter hat die Erfahrung gemacht, dass die optionale Verlängerung der Unterstützung, wie sie zur Zeit gehandhabt wird, Schwächen hat: "Beendet werden ausgerechnet die 'schwierigen' Fälle, die nicht in Ausbildung sind, bei denen Hilfsmaßnahmen bisher noch nicht gegriffen haben. Dabei bräuchten gerade diese Jugendlichen mehr Hilfe."

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